Die automobile Königsklasse ging nach dem Rennen in Ungarn in die Sommerpause.
F1 ohne deutsche Fahrer? „Kein Wunder“
Erst Ende August werden sich die Räder des Vollgaszirkus beim Grand Prix von Belgien auf dem Traditionskurs in Spa in den Ardennen weiterdrehen. (DATEN: Der Rennkalender der Formel 1)
Allein: Schon jetzt ist abzusehen, dass die Formel 1 in Deutschland, zu Michael Schumachers Zeiten eine Sportart, die sogar – was Fanbeliebtheit und Medieninteresse betraf - mit „König Fußball“ konkurrieren konnte, in einen ewig langen grauen Herbst eintauchen wird.
Formel 1: Deutschland nicht einmal mehr Nebendarsteller?
Kommt es zum schlimmsten Fall, wird die Formel 1 in der Automobilnation Nummer eins völlig vom Radar verschwunden sein. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur Formel 1)
Es gibt dann kein Rennen mehr, kein Team mehr mit schwarz-rot-goldenem Ambiente und, ganz fatal, im schlimmsten Fall sogar keinen deutschen Fahrer mehr.
Soll heißen: Wenn Legendensohn Mick Schumacher keinen Rennstall für 2023 findet, ist Deutschland in der Formel 1 noch nicht einmal mehr Nebendarsteller. Es spielt überhaupt keine Rolle mehr. (DATEN: Die Fahrerwertung der Formel 1)
Und dieses Szenario ist nicht gänzlich auszuschließen. Denn wenn Schumachers aktueller Haas-Rennstall zur Erkenntnis kommt, dass der Fluch, einen der bekanntesten Nachnamen der Motorsportgeschichte als Fahrer zu haben, größer ist als der Segen, ist seine Karriere vorerst beendet.
Mick Schumacher fehlt Flair von Oscar Piastri
Das Problem: Schumacher junior, der im zweiten Anlauf die Nachwuchsserien Formel 3 und Formel 2 gewann und so Hoffnung und Begehrlichkeiten weckte, versprüht nicht den Zauber, der von seinem Vater ausging oder vom neuen Nachwuchsstar der Vollgasszene, dem Australier Oscar Piastri. (BERICHT: Ein Top-Talent spielt mit seinem Ruf)
Um den jungen Australier, der noch kein einziges Formel-1-Rennen absolviert hat, streiten jetzt schon die etablierten Rennställe von Alpine und McLaren. Dabei gewann Piastri die gleichen Nachwuchsserien wie Schumacher - allerdings als Neuling schon in der ersten Saison.
Deshalb liegt bei ihm der Verdacht nahe, dass man ein Jahrhunderttalent an der Angel habe. Bei Schumacher dagegen zweifeln die Experten.
Ralf Schumacher sieht Problem im Motorsport hierzulande
Fest steht: Die rosigen Zeiten, als Deutschland in Michael Schumachers Comeback-Jahr 2010 bis zu sieben Piloten in der Startaufstellung stellte, Mercedes ein eigenes „Nationalteam“ propagiert hat und RTL zeitweise über zehn Millionen Zuschauer pro Rennen hatte, sind vorüber.
RTL-Nachfolger für die Übertragungsrechte, der Münchner Pay-TV-Sender Sky, ist heute zwar noch zufrieden mit der Quote von annähernd einer Million Zuschauer pro Rennen, doch in Zukunft werden sie den Aufschwung nicht halten können.
Durch den Rücktritt von Sebastian Vettel und die unsichere Zukunft von Mick Schumacher droht dem Sender Ungemach. Besonders ihr Vorzeige-Experte Ralf Schumacher ist sich der kritischen Situation bewusst.
Der ehemalige Formel-1-Star (sechs Siege) und Onkel von Mick ist durch seine analytische, aber auch ironische und schlagfertige Art zu kommentieren, einer der Garanten des bisherigen Aufschwungs von Sky.
„Dann müssen wir halt Max Verstappen als Deutschen verkaufen“, ironisiert er bei SPORT1, „aber klar ist: Die Formel 1 in Deutschland sowie der gesamte Motorsport hier haben ein Problem.“
Zahlreiche Gründe für den F1-Niedergang in Deutschland
Allein: Wie konnte es passieren, dass Formel-1-Deutschland in ein Loch fiel?
Dafür gibt es mehrere Gründe. Einer: Die Fankultur hat sich verändert.
Vor der Zeit von Michael Schumacher waren Formel-1-Rennen in Hockenheim oder am Nürburgring deshalb ausverkauft, weil von der Formel 1 faszinierte Fans den gefährlichen Rad-an-Rad-Kampf zwischen Jochen Rindt und Jackie Stewart, Niki Lauda und James Hunt oder später Ayrton Senna und Alain Prost live verfolgen wollten - obwohl deutsche Piloten keine Rolle spielten.
Michael Schumacher erweckte Formel-1-Deutschland nicht nur aus dem Dornröschenschlaf, er sorgte ähnlich wie heute Max Verstappen in den Niederlanden für eine Welle der kollektiven Euphorie.
Die Formel 1, besonders in der Intellektuellenszene eher kritisch beäugt, war plötzlich angesagt. Dank Schumacher diskutierten Mechaniker und Mediziner, Lehrer und Lehrlinge gemeinsam über seine Siege, Niederlagen oder Skandale.
Und selbst die, die ihn nicht mochten, mussten sich eingestehen: „Uns Schumi“ hatten einen festen Platz im Herzen und Hirn der Deutschen.
Doch der Schumacher-Hype, die Schumania, hatte auch Nachteile, die die Formel-1-Landschaft heute in Deutschland zu spüren bekommt.
Nachfolger Sebastian Vettel mit seinen vier WM-Titeln wurde hierzulande nicht so akzeptiert wie der „Messias“ selbst. Selbst bei seinen ersten drei WM-Titeln in den Jahren 2010 bis 2012 interessierten sich in Deutschland mehr Fans für Schumachers Comeback bei Mercedes, das zur gleichen Zeit stattfand.
Als er nicht überzeugen konnte, verringerte sich das Interesse immens - die TV-Quoten erreichten längst nicht mehr die Zahlen wie zu Schumachers Glanzzeiten.
Auch die Industrie verliert das Interesse
Gleichzeitig ließ das Interesse der Industrie nach, besonders das von Mercedes.
Mit Norbert Haug hatte Mercedes zu Glanzzeiten einen populären und volksnahen Charaktertypen als Motorsportchef, der Mercedes ein deutsches Gesicht gab, auch noch mit viel schwäbischem Geschmäckle.
Heute identifizieren sich selbst die Mitarbeiter am Stammsitz in Stuttgart nicht mehr mit dem Team, das vom österreichischen Geschäftsmann Toto Wolf geführt wird und an dem der Konzern nur noch ein Drittel der Anteile hält.
Die Vollgasproduktionsstätten stehen allesamt in England, die überwiegende Zahl der Mitarbeiter hat ebenso einen britischen Pass wie die beiden Piloten Lewis Hamilton und George Russell.
Und selbst wenn Audi und Porsche nach der finalen Bestätigung des Motorregelwerks für 2026 in Kürze ihr Ticket für den immer elitärer werdenden Vollgaszirkus lösen, ist kaum Besserung in Sicht.
Denn beide VW-Töchter interessiert lediglich der weltweite Marketingaspekt, nicht das Ansehen in ihrem Heimatland. Sie wollen in den USA und China Autos verkaufen. Wenn notwendig, mit Fahrern aus diesen Ländern.
Keine Identifikationsfiguren in Deutschland
Die Folge: In Deutschland fehlen die Identifikationsfiguren, die Kinder und Jugendliche als Initialzündung aber brauchen.
„Zu Michaels Anfangszeiten wollten die Jungs plötzlich alle Kartfahren“, beobachtete Ralf Schumacher. „Auch wenn es damals schon teuer war, gaben die Eltern das Geld dafür aus. Heute ist das nicht mehr so. Eine normale Kartsaison kostet gut und gerne 200.000 Euro. Die Nachwuchsserien fangen bei 500.000 an. Wer kann und will sich das noch leisten?“
In Deutschland kaum jemand, deshalb fehlen die Talente. Nach dem Duell zwischen Mick Schumacher und David Beckmann 2014 holte kein deutscher Junior mehr den Titel des deutschen Kartmeisters.
David Schumacher schaffte es 2017 auf Rang zwei - doch ohne Förderprogramme tut sich selbst der Sohn von Ralf Schumacher schwer auf dem Weg nach ganz oben. Dabei ist Schumi IV das letzte Nachwuchstalent, auf das Deutschland setzen könnte. (BERICHT: Nächster Schumacher peilt F1 an)
Hier sieht der Vater auch das Kernproblem: „Motorsport ist einfach viel zu teuer geworden“, sagt Ralf Schumacher. „In vielen anderen Ländern wird er deshalb staatlich gefördert. In Deutschland nicht. Deshalb ist es kein Wunder, dass es kaum noch Talente gibt, die das Zeug haben, es bis in die Formel 1 zu schaffen.“
Sebastian Vettel als Symbol einer neuen Zeit
Die Antwort, warum die Formel 1 in Deutschland bald vom Radar verschwindet, gibt ausgerechnet auch Sebastian Vettel.
Der Heppenheimer repräsentiert nämlich den neuen, eher kritischen Zeitgeist, der gerade auf der Überholspur rast. Vettels Werte haben sich im Laufe der Jahre verschoben.
Dachte er in jungen Jahren einzig und allein daran, den Erfolgen seines Idols Michael Schumacher hinterherzujagen, sieht er heute keinen großen Sinn mehr darin, sich an einem Sport zu beteiligen, dessen Macher nur ans Geldverdienen denken.
Die selbst ethische Bedenken über Bord werfen, indem sie ihre Rennen an autoritäre Staaten wie Saudi-Arabien, China, Aserbaidschan oder Bahrain verkaufen, in denen Menschenrechte mit den Füßen getreten werden. Und die nur über Umweltschutz reden, aber de facto nicht willens sind, zeitnah (also vor 2026) mit CO2-neutralem Sprit zu fahren.
Die Formel 1 in Deutschland - angesichts dieser Entwicklungen droht sie vom Radar zu verschwinden.