An seinem 95. Geburtstag lehnte Harrison Dillard lässig neben vier Champagner-Flaschen an einer Torte, die mit Gold überzogen war.
Eine Legende, die Unerreichtes schaffte
Für die US-amerikanische Leichtathletik-Legende Dillard, die dann mit 96 Jahren am 15. November 2019 tragisch an Magenkrebs sterben sollte, war Gold Programm. Viermal gewann der Mann aus Cleveland Gold bei Olympischen Spielen. Mit einem Olympiasieg im Sprint- und Hürdenlauf gelang ihm eine Leistung, die bis heute sonst keiner erreichte.
Doch sein erster Gold-Triumph gelang ihm nicht in seiner Spezialdisziplin Hürdenlauf, sondern im Sprint über die 100 Meter. Nachdem er bei den US-Ausscheidungsrennen über die 110-Meter-Hürden gescheitert war, ging er 1948 als drittqualifizierter US-Starter in London über die 100 Meter an den Start - und gewann.
Lange Leidenszeit bis Gold
Sein erster Triumph bei Olympia dabei war an Dramatik nicht zu überbieten. Im Londoner Olympiastadion im Jahr 1948 waren 83.000 Zuschauer, darunter der König und die Königin von England, beim 100-Meter-Finale Zeugen eines Rennens, dessen Ausgang nicht knapper hätte sein können. Erst das Zielfoto, das zwei Minuten auf sich warten ließ, sah Dillard im Duell mit seinem Landsmann Barney Ewell vorn. In einer Zeit von 10,3 Sekunden egalisierte Dillard zudem den Olympischen Rekord.
Spätestens am Abend dieses Erfolgs sollte Dillard sein Erreichtes realisieren können. Als er zum Abendessen den olympischen Speisesaal betrat, spendeten ihm die versammelten Athleten langen Applaus.
Wenig später legte Dillard mit der Staffel nach und holte über 4x100 Meter das nächste Gold.
Dillard schreibt Geschichte
Doch das Historische sollte Dillard vier Jahre später bei den Spielen von Helsinki schaffen. Der 100-Meter-Olympiasieger wurde auch Olympiasieger über die 110-Meter-Hürden. Ein Double, das bis heute niemandem gelang.
Und wieder war die Dramaturgie des Erfolgs kaum zu toppen. Im Ziel wurden für Jack Davis und Dillard jeweils 13,7 Sekunden gemessen, doch als Sprinter hat Dillard die Nase knapp vorn im Zielfoto.
Sein Gold-Quartett komplettierte Dillard in Helsinki mit einem erneuten Sieg in der 4x100 Meter-Staffel und zog damit mit seinem Vorbild Jesse Owens gleich. Owens, der wie Dillard aus Cleveland stammte, gewann 1936 bei den Olympischen Spielen von Berlin Gold über 100 Meter, 200 Meter, 4x100 Meter und im Weitsprung und war eine Inspiration für Dillard.
Owens grüßt Dillard
Nach seinen Olympiasiegen hielt Cleveland für Owens eine Parade ab. Dillard beobachtete das Treiben mit vier oder fünf Freunden, Owens zwinkerte ihnen zu und sagte: „Hallo Jungs.“
Daraufhin beschloss der 13-Jährige so zu werden wie Owens. Unterstützt wurde Dillard dabei von seiner Mutter, die Geld sparte, um ihm die Fahrt zum Leichtathletiktraining zu ermöglichen. „Wir hatten nicht viel, aber sie schien immer ein paar Münzen für mich aufzubewahren“, sagte Dillard, der von seinem Trainer Ivan Greene wegen seiner Statur „Bones“ genannt wurde.
Dabei begann das Leben von Dillard kompliziert, wie seine Mutter berichtete. „Der arme Junge litt an Rachitis und konnte nicht einmal aufstehen, bis er 16 Monate alt war.“ Aber das Sprinten war seine Veranlagung. „Ich habe meine Schnelligkeit von meinem Vater William Dillard geerbt“, sagte er einst. „Als ich 14 war und ziemlich schnell, konnte Papa mich in einem Rennen schlagen.“
„Ich bin so dankbar“
Am 15. November 2019 verlor Dillard das Rennen gegen den Krebs. Bei seiner Geburtstagsfeier ein Jahr vor seinem Tod gab es nicht nur Champagner und eine Gold-Torte, sondern auch eine Dankesrede des Jubilars.
„Ich bin so dankbar für die Leute, die aufgetaucht sind“, sagte Dillard. „Hier gibt es viele Menschen, die mir im Laufe der Jahre so viel bedeutet haben. Ich sehe sie nicht mehr jeden Tag, aber ich habe die Chance, sie zu sehen, mit ihnen zu sprechen und die Erinnerungen wiederherzustellen.“
Seine Leistungen über die 100 Meter und im Hürdensprint werden immer in Erinnerung bleiben.