Türkgücü München galt im Sommer 2020 mal als ein spannendes Projekt. Gerade von der Bayernliga aufgestiegen, wollte der Klub mit dem finanzstarken Investor Hasan Kivran nach erfolgreichen Jahren hoch hinaus. Das Ziel 2. Liga sollte es sein, so wurde es ganz selbstbewusst auf Instagram gepostet. Unter dem Hashtag #ÜberallFamilie war da zu lesen: „Zusammen sind wir stärker - gemeinsam in die 2. Liga“. (DATEN: Die Tabelle der 3.Liga)
Abrechnung mit Türkgücü: Ex-Trainer packt aus!
“Hochmut kommt vor dem Fall“ - so lautet ein bekanntes Sprichwort. Aktuell stehen die Münchner mit ihrem Trainer Andreas Heraf in der Tabelle auf Platz 18. Das 1:1 beim VfL Osnabrück am vergangenen Spieltag war äußerst glücklich und lässt die Gedanken an die Probleme des Vereins nur kurz in den Hintergrund rücken. Türkgücü steht vor dem Aus im Profifußball.
In der vergangenen Woche stellten die Verantwortlichen beim Amtsgericht München einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Der Verein firmiert nun unter dem Aktenzeichen 1513 IN 198/22. Zumindest das Nachholspiel gegen den Halleschen FC am Dienstag gilt finanziell gesichert. Und dann?
Kivran dreht Geldhahn zu
Sollte Türkgücü weiter am Spielbetrieb teilnehmen dürfen, bekäme man jedoch neun Punkte abgezogen. Sollten nicht ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen und Kivran den Geldhahn nicht ein Stückchen aufdrehen, um die Ausgaben für den Spielbetrieb zu rechtfertigen, fällt der Verein auf den letzten Platz ab - mit null Punkten. Für die bisherigen Spiele würden alle Punkte annulliert werden. Es geht ans Eingemachte, heißt also, dass ein Sanierungsplan über die Zukunft von Türkgücü entscheidet. Kivran war nicht gewillt ein Defizit von zwei Millionen Euro mit seinem privaten Geld auszugleichen.
„Ich versuche mich in diesen schweren Tagen auf das Sportliche zu konzentrieren. Das ist nicht einfach. Ich habe den Schritt, zu Türkgücü zu kommen, nicht bereut, aber natürlich habe ich es mir anders vorgestellt“, sagt Heraf zu SPORT1.
„Ich bin in dem Alter, in dem es um neue Erfahrungen geht und darum, neue Dinge im Leben kennenzulernen. Diese müssen nicht immer positiv sein oder Spaß bringen. Man kann aus jeder Herausforderung etwas lernen. Das mache ich gerade.“ (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der 3. Liga)
Corona-Gerüchte über Heraf
Als ob nicht schon alles schlimm genug wäre, gibt es aktuell auch noch Gerüchte, der Österreicher habe Anfang Januar ein Training geleitet, obwohl er einen positiven Corona-Schnelltest hatte. „Ich habe jetzt von irgendwo gehört, ich hätte im Januar coronapositiv ein Training geleitet – absoluter Schwachsinn!“, sagte Heraf der Bild.
„Ich kann versichern, dass an diesen Anschuldigungen nichts dran ist. Ich weiß, woher der Wind weht. Nach der Rückkehr aus dem Trainingslager hatte ich Kopfschmerzen und Magen-Darm-Probleme. Seit der Pandemie ist man sensibel, ich habe sofort einen Test gemacht – negativ. Vor dem Abschlusstraining vor dem Halle-Spiel (15.1., wurde abgesagt, d. Red.) hatte ich einen ungültigen Test. Direkt danach habe ich drei gemacht.“
Heraf ist seit einem Jahr schon der fünfte Trainer an der Heinrich-Wieland-Straße. Nach Alexander Schmidt, Serdar Dayat, Petr Ruman, Peter Hyballa. Dayat hat jetzt seinem Ärger Luft gemacht.
„Türkgücü war mein größter Fehler. Du kannst den Trainerjob dort nicht professionell ausüben. Warum gab es denn fünf Trainer in einem Jahr? Wenn ich gewusst hätte, was hintenrum alles läuft, hätte ich dort nie angefangen“, sagt Dayat im Gespräch mit SPORT1. „Ich habe es aber gemacht, weil ich Hasan Kivran einen Gefallen tun wollte und in der Jugend dort gespielt habe.“ (NEWS: Alle aktuellen Infos zur 3. Liga)
Dayat: „Türkgücü hatte mal Tradition“
Der Türke war von Ende Februar bis Anfang Mai 2021 Trainer von Türkgücü. Der 52-Jährige ist fassungslos und erinnert sich: „Früher spielten bei Türkgücü Jungs wie Erhan Önal, Savas Koc und Ilhan Mansiz. Türkgücü hatte mal Tradition.“
Dayat erhebt schwere Vorwürfe gegen Präsident, Mäzen und Gesellschafter Kivran, der ganz offensichtlich keine Lust mehr auf sein Spielzeug Türkgücü hat. Für Dayat ist der Unternehmer der Hauptschuldige für den Niedergang des Klubs. „Das Problem des Vereins ist Hasan Kivran. Er war nicht der Typ, der alle gemeinsam in ein Boot holt mit einem positiven Gefühl. Er gibt dem Trainer nur eine geringe Chance, hat immer reingeredet“, schimpft Dayat. „Aber man kann nicht alles allein kontrollieren. Jetzt ist der Name Türkgücü in Deutschland kaputt.“
Die Verantwortlichen wollten sich auf SPORT1-Nachfrage zu den Vorwürfen nicht äußern.
Vorwürfe gegen Kivran
Dayat berichtet von einem schwierigen Beginn bei Türkgücü. „Hasan Kivran hat sich nicht mal ein Training angeschaut. Er war nie da. Nach den ersten zwei Tagen habe ich mich schon unwohl gefühlt. Schon nach dem ersten Spiel habe ich es so bereut, dass ich bei Türkgücü unterschrieben habe.“
Dayat erinnert sich an einen erschreckenden Moment. „Kivran kam einmal zu Andreas Pummer (damaliger Co-Trainer, d. Red.) und Alper Kayabunar (aktueller Co-Trainer, d. Red.) und hat sie total angeschrien. Ein Vater darf nicht mal seine Kinder so anschreien, dachte ich mir. Egal, ob er der Geldgeber ist oder nicht. Ich dachte mir nur ‚Wo bin ich hier gelandet?‘“ Man müsse „kompetente Leute holen, um einen Verein zu führen“.
Und weiter: „Bei Türkgücü gibt es nur Vetternwirtschaft. Aber das geht nicht, es ist immer noch ein Profiklub und keine Kneipenmannschaft.“