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Als der deutsche Fußball seinen "Boss" verlor

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Als der deutsche Fußball seinen "Boss" verlor

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Als der Fußball seinen „Boss“ verlor

Helmut Rahn, der Held des „Wunders von Bern“ 1954, wäre heute 95 Jahre alt geworden. Die auch für ihre lockere Art und viele Eskapaden in Erinnerung gebliebene Kultfigur starb, kurz bevor ihr ein filmisches Denkmal gesetzt wurde.
Helmut Rahn im Jahr 1959 während seiner Zeit beim 1. FC Köln
Helmut Rahn im Jahr 1959 während seiner Zeit beim 1. FC Köln
© IMAGO / Otto Krschak
Denis de Haas
Helmut Rahn, der Held des „Wunders von Bern“ 1954, wäre heute 95 Jahre alt geworden. Die auch für ihre lockere Art und viele Eskapaden in Erinnerung gebliebene Kultfigur starb, kurz bevor ihr ein filmisches Denkmal gesetzt wurde.

Da stand er auf dem Balkon des Hotels Belvédère und gab eine Parodie zum Besten. „Prima schnittfeste Tomaten, Leute! Oma-Lutsch-Birnen für zahnlose Großmütter, Rotkohl, Weißkohl, Wirsing, Spinat. Leute, heut wird alles verschenkt“, brüllte Helmut Rahn im Stil einer Marktfrau. Seine Teamkollegen lachten sich schlapp.

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Diese Szene schrieb der Nationalmannschaftskapitän Fritz Walter später nieder. Er erlebte den komödiantischen Auftritt während der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 - dem Turnier, in dem sein Zimmerkollege Rahn zur Legende wurde.

Helmut Rahn war der Held der WM 1954

Am 4. Juli musste der Angreifer in Bern aus dem Hintergrund schießen. Er zog ab und Radiokommentator Herbert Zimmermann bejubelte das „Toooor, Toooor, Toooor, Toooor“ zum 3:2 über Ungarn. Rahns zweiter Treffer des Spiels brachte Deutschland den Titel. Nicht nur das: Das von Bergmannssohn Rahn vollendete „Wunder von Bern“ galt als wahre Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland, des „Wir sind wieder wer“ der jungen Nation, neun Jahre nach dem Ende des vom NS-Reich entfesselten Weltkriegs.

Der Torschütze, der heute 95 Jahre alt geworden wäre, wurde zum Volkshelden. 250.000 Fans feierten Rahn beim Empfang in Essen. Den Klub aus seiner Heimatstadt führte der Mann mit dem Spitznamen „Boss“ auch noch zur Deutschen Meisterschaft. 1955 gewann Rot-Weiss Essen das Endspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern mit 4:3. Es herrschte Rahnsinn im Ruhrgebiet.

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„Fußball damals, das war eigentlich die Achse Herberger, Walter, Rahn. Er war und ist eine der letzten Legenden“, erinnerte sich später ein gewisser Franz Beckenbauer.

Der wuchtige Angreifer erhielt zu dieser Zeit auch lukrative Angebote. Real Madrid wollte Rahn verpflichten, ebenso der Racing Club Buenos Aires. Doch der „Boss“ blieb im Ruhrgebiet und verbrachte gerne Zeit mit seinen Kumpels. Mit ihnen stand er in seiner Essener Stammkneipe „Friesenstube“ gerne an der Theke. Zu später Stunde kam das Thema oft auf Bern. „Hömma Helmut, erzähl mich dat dritte Tor“, hörte der Nationalspieler dann. Und Rahn erzählte.

Er zahlte auch mal eine Lokalrunde. Von der Weltmeisterprämie in Höhe von 2500 D-Mark war bald nichts mehr übrig. Also musste Rahn nebenbei arbeiten gehen. Er pachtete eine Tankstelle und war auch als Kraftfahrer unterwegs.

Mit 2,6 Promille in die Baugrube

Tore schoss der Rechtsaußen weiterhin. Doch Rahn schaffte es nicht nur mehr aus sportlichen Gründen in die Schlagzeilen. Im Juli 1957 steuerte er sein Auto mit 2,6 Promille in eine Baugrube. Die alarmierten Polizisten traktierte Rahn mit Fäusten. Die Strafe: zwei Wochen Gefängnis, ohne Bewährung.

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Der DFB sperrte Rahn sogar für ein Jahr. Bundestrainer Sepp Herberger wollte auf seinen Spieler aber nicht verzichten, auf seinen "Meister der positiven Improvisation". Er schätzte Rahns Unberechenbarkeit. Die auf dem Fußballplatz, wohlgemerkt.

Der DFB begnadigte Rahn. Der Essener fuhr mit zur WM 1958 nach Schweden, erzielte dort seine Treffer - sechs an der Zahl. Mit dem damals 17-jährigen Brasilianer Pelé teilte er sich Platz zwei der Torschützenliste. Deutschland schied dennoch im Halbfinale aus.

Wechsel zu Twente Enschede

Ein Jahr nach diesem Turnier wechselte Rahn den Verein. Beim 1. FC Köln machte er vor allem durch Eskapaden auf sich aufmerksam. 1960 zogen die Domstädter ins Endspiel um die Deutsche Meisterschaft ein. In der Nacht vor dem Finale soll Rahn sich dann betrunken haben. Er spielte dennoch. Köln unterlag dem Hamburger SV mit 2:3.

Danach schwänzte der 1954er-Weltmeister ein Testspiel, eine Trainingseinheit sowie den Empfang beim Bürgermeister. Die Kölner trennten sich von ihrem prominenten Angreifer. Und Rahn wechselte zum Sportclub Enschede in die Niederlande. Herberger nominierte damals keine Spieler von ausländischen Klubs. Rahns Nationalmannschaftskarriere war also vorbei.

1963 kehrte der Angreifer nach Deutschland zurück und schrieb im Trikot des Meidericher SV Geschichte - als erster Rotsünder der neu gegründeten Bundesliga. Er verpasste Harald Beyer von Hertha BSC einen Kopfstoß und musste anschließend vom Feld. Zwei Tage nach seinem Platzverweis rief Rahn den Sender Freies Berlin an und bat, in einem Wunschkonzert für ihn das Lied „Glück und Glas, wie leicht bricht das“ zu spielen.

Diese später im Spiegel erzählte Anekdote passte wieder zum Spaßvogel Rahn. Mit seinem trockenen Humor beglückte er die Öffentlichkeit jedoch selten. Rahn scheute nach seinem verletzungsbedingten Karriereende 1965 die großen Auftritte.

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Rahn starb kurz vor seiner filmischen Verewigung

Er betrieb mit seinem Bruder fortan einen Gebrauchtwagenhandel. Rahn frönte zudem der Brieftaubenzucht. Mit seiner Frau Gerti und seinen beiden Söhnen lebte der Fußballstar in einem Mietshaus seiner Heimatstadt, hatte sich von der Fußball-Szene am Ende abgekapselt. In Essen fand Rahn auch seine letzte Ruhe.

Rahn starb am 14. August 2003, kurz vor seinem 74. Geburtstag, knapp ein Jahr nach Wegefährte Fritz Walter - damals schon einer der noch letzten lebenden Helden von Bern, ehe auch Ottmar Walter, Hans Schäfer und schließlich Horst Eckel verstarben.

Den Kinostart von „Das Wunder von Bern“, der filmischen Verewigung des WM-Titels von Sönke Wortmann, im Herbst 2003 erlebte Rahn nicht mehr mit. Noch wenige Tage vor Rahns Tod sah der damalige DFB-Teamchef Rudi Völler den Film in einer Vorabvorführung. „Wir haben nachher zusammen gesessen und darüber diskutiert, wie wir Helmut Rahn im Oktober zur Premiere des Films aus seinem Haus locken können“, berichtete er: „Es ist traurig.“

Im Werk von Wortmann, der drei Jahre später auch die Erinnerung an das Sommermärchen 2006 mit seiner Doku prägte, ist Rahns Lebensgeschichte ein tragendes Element. Es ist die Geschichte eines humorvollen und direkten Menschen, der mit einem Schuss aus dem Hintergrund eine ganze Nation glücklich machte.