Daley Blind wischte seine Tränen mit dem Trikot aus seinem Gesicht, als er bedachten Schrittes den Rasen der Johan-Cruyff-Arena verließ.
Blinds besondere Geschichte
In der 64. Spielminute des Auftaktspiels der Niederlande wurde der erfahrene Fußball-Profi ausgewechselt. Zu diesem Zeitpunkt führte Oranje mit 2:0 gegen die Ukraine und das späte sportliche Drama beim 3:2-Erfolg war noch nicht abzusehen. Drama und Emotionen waren aber auch bei diesem Abgang allgegenwärtig.
"Ich habe mit mir gerungen, ob ich spiele", verriet Blind nach der Partie. Die Gründe dafür liegen in den schockierenden Geschehnissen um seinen Freund Christian Eriksen und einem verhängnisvollen Champions-League-Spiel im Dezember 2019.
Blind musste Defibrillator implantiert werden
Blind ist einer der erfolgreichsten Spieler des aktuellen Teams von Oranje. Er holte sechsmal die niederländische Meisterschaft, wurde in seinem Heimatland Fußballer des Jahres und gewann mit Manchester United den FA Cup und die Europa League. In jenem Dezember wurde er aber von jetzt auf gleich daran erinnert, was wirklich wichtig im Leben ist.
Damals war der Verteidiger für seinen Herzens- und Heimatklub Ajax Amsterdam in der Königsklasse gegen den FC Valencia aktiv. Er klagte über Schwindelgefühle. Nach der Partie kam es zu einer erschreckenden Diagnose: eine schwerwiegende Herzmuskelentzündung.
Blind setzte zwei Monate aus. In dieser Zeit wurde ihm ein Kardioverter-Defibrillator implantiert. Fast ein Jahr nach dem Vorfall gegen Valencia dann der nächste Schockmoment. In einem Testspiel mit Ajax gegen Hertha BSC sank der gebürtige Amsterdamer zu Boden und fasste sich an die Brust.
Wenig später konnte er allerdings Entwarnung geben. Der Defibrillator soll einen elektrischen Impuls ausgestoßen haben, der Blind zu Boden sinken ließ. Gleich nach diesem Schreckmoment ging es ihm aber wieder gut.
Auch heute spielt der 31-Jährige noch mit seinem Defibrillator. Laut Ärzten bestehe auf dem Platz keine Gefahr - und trotzdem hat der tragische Vorfall um Eriksen alles aufgewühlt.
Blind erwog Verzicht auf Ukraine-Spiel
"Der gestrige Tag hat mich sehr geprägt. Abgesehen von der Tatsache, dass ich Christian als Freund gut kenne", sagte Blind bei der NOS und bezog sich dann auf seine tränenreiche Auswechslung: "Ich hatte eine Menge Schwierigkeiten damit, aber ich bin stolz, dass ich es geschafft habe. Dann kommen die ganzen Emotionen einfach raus."
Der Verteidiger hatte ernsthaft einen Verzicht auf den niederländischen EM-Auftakt erwogen: "Ich habe durchaus darüber nachgedacht, nicht teilzunehmen. Die Bilder und der Moment hatten einen großen Einfluss, und ich habe deswegen nicht gut geschlafen. Ich musste wirklich eine große Hürde nehmen, um aufzulaufen."
Blind hat zusammen mit Eriksen drei Jahre bei Ajax verbracht. Aus Mitspielern wurden Freunde. Freunde, die nun auch ein tragisches Erlebnis und schlimme Erinnerungen verbindet.
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Blind mit Appell wegen Eriksen
"Wir saßen mit einer Reihe von Jungs zusammen, die auch Abdelhak Nouri erlebt haben, und auch mit Teamkollegen von Christian", beschrieb Blind den Moment, als er im Fernsehen seinen Freund mit dem Tod ringen sah: "Es hat so eine große Bedeutung. Für mich hatte es einen hohen Wiedererkennungswert und das machte es intensiv. Auch für meine Familie. Meine Eltern, meine Frau."
Nouri hatte im Jahr 2017 in einem Testspiel gegen Werder Bremen einen Herzstillstand erlitten - im Trikot von Ajax Amsterdam. Erst einige Monate später erwachte er aus dem Koma, heute ist er ein Pflegefall. Auch dieser Fall hatte einigen Akteuren der Niederländer in den Köpfen herumgespukt.
"Ich bin mir sicher, dass Blind mit dem, was gestern passiert ist, eine schwere Zeit hatte", sagte Bondscoach Frank de Boer nach dem knappen Sieg gegen die Ukraine.
Nach der positiven Entwicklung bei Eriksen hatte Blind allerdings aufgeatmet: "Wenn es nicht gut gelaufen wäre, würde es noch mehr im Kopf herumspuken. Er ermutigt sogar seine Teamkollegen, jetzt zu spielen. Deshalb habe ich mich auch entschieden, mitzuspielen. Auch weil ich laut den Ärzten sicher bin."
Eriksen meldete sich am Montag mit ersten Worten aus der Klinik in Kopenhagen. Er wolle nun vor allem verstehen, was passiert sei. Blind hatte für die nächsten Wochen und Monate einen Appell in Richtung von Verantwortlichen, der Öffentlichkeit und den Ärzten parat: "Lassen Sie ihn in Ruhe. Spekulieren Sie nicht über seine Zukunft. Geben Sie ihm Zeit und Raum, sich zu erholen."
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