Roger Schmidt wirkte zuletzt wie ein Entfesselungskünstler. Wann immer der Trainer von Bayer Leverkusen in den vergangenen drei Jahren in der Klemme steckte, und das war nicht selten, befreite er sich auf wundersame Weise.
2:6 und doch zufrieden - für Schmidt wird's eng
Doch diesmal ist seine Lage besonders vertrackt: Nach dem demütigenden 2:6 (1:2) bei Borussia Dortmund hat Schmidt kaum noch Argumente auf seiner Seite. Wunderlich war am Samstag nur sein Blick auf die Realität.
"Das 6:2 hört sich sehr hart an, aber meine Mannschaft hat einen sehr guten Auftritt hingelegt", sagte der 49-Jährige zum Erstaunen vieler Beobachter. Er könne sich mit dieser Leistung "sehr gut identifizieren", und: "Das war ein guter Schritt in die richtige Richtung."
Miese Zahlen, schweigsame Bosse
Wenn die erste Liga-Niederlage mit vier Toren Unterschied seit dem 17. April 2011 (1:5 bei Bayern München) allerdings ein Schritt in die richtige Richtung ist, wird Schmidt seinen Weg nicht mehr lange gehen.
Denn die Fakten sind alarmierend.
Sämtliche Saisonziele sind nach der elften Niederlage (in der Vorsaison waren es insgesamt zehn) im 23. Saisonspiel in akuter Gefahr: In der Bundesliga gerät selbst ein Europa-League-Platz langsam außer Reichweite, es ist die schlechteste Bayer-Saison seit 14 Jahren. (Die Tabelle der Bundesliga)
Drei Pflichtspielpleiten in Serie bedeutet die längste Niederlagenserie unter Schmidt, sechs Tore hatte Leverkusen unter dem Coach noch nie kassiert. (Ergebnisse und Spielplan)
Im Achtelfinale der Champions League müsste bei Atlético Madrid nach dem 2:4 im Hinspiel ein Wunder her. Und den Joker, seine Mannschaft mal sehr hart zu kritisieren, hatte Schmidt schon vor dem BVB-Spiel gezogen. Der Druck auf ihn wird durch die Klatsche von Dortmund nicht kleiner.
Sportdirektor Rudi Völler und Geschäftsführer Michael Schade, in deren Händen eine Entscheidung liegt, bissen sich am Samstag auf die Zunge. Sie verließen das Stadion wortlos.
Bender und Kampl stützen Schmidt
Dafür äußerten sich die Spieler und stellten sich hinter ihren Trainer.
Lars Bender bezeichnete die Frage nach Schmidt als "völlig unangebracht" und betonte bei SPORT1: "Man hat gesehen, was für ein Feuer auf dem Platz war. Die Leidenschaft hat gestimmt, der Einsatz hat gestimmt – nur der ganze Spielverlauf hat nicht gestimmt."
Auch sein Teamkollege Kevin Kampl stellte klar: "Wir stehen definitiv alle hinter dem Trainer. Das hat man heute auch gesehen. Wenn wir nicht den richtigen Trainer hätten, hätten wir uns nicht so den Arsch aufgerissen und über weite Strecken ein so gutes Spiel auf den Platz gebracht. Man konnte von Außen sehen, dass wir für unseren Trainer spielen und nicht gegen ihn."
BVB bestraft Bayers Fehler eiskalt
Auch Schmidt hatte "über weite Strecken kein schlechtes Spiel" seiner Mannschaft gesehen. Das traf sogar in dem Sinne zu, dass Bayer ganz ordentlich mitspielte und zweimal sehenswert einen Anschlusstreffer erzielte (Kevin Volland/48. und Wendell/74.).
Die Verteidigung war jedoch ohne jeden Zugriff. Bereits zur Halbzeit hätte es 4:0 stehen können, ohne dass Bayer eine Torchance hatte. Am Spielende kam der Kollaps mit drei Gegentoren in 15 Minuten durch Christian Pulisic (77.), André Schürrle (85., Foulelfmeter) und Raphael Guerreiro (90.+2).
Für den BVB hatten zuvor schon der überragende Ousmane Dembélé (6.) und Pierre-Emerick Aubameyang (26./69.) getroffen. (Das Spiel zum Nachlesen im TICKER)
Die höhnischen Gesänge der Bayer-Fans in den Schlussminuten nahm Schmidt regungslos mit den Händen in den Hosentaschen.
"Es ist bitter. Wir haben uns den Arsch aufgerissen und kriegen trotzdem das vierte, fünfte und sechste Gegentor", haderte Kampl bei SPORT1: "Da bist du natürlich am Boden zerstört. Im Gegensatz zu letzter Woche waren aber viele positive Dinge dabei."
Resignation in Leverkusen
Dennoch macht sich in Leverkusen Resignation breit.
"Irgendwann muss man sich auch mal eingestehen, dass die Ziele außer Reichweite sind. Die Champions League ist weg. So, wie wir in den letzten Wochen und Monaten gespielt haben, haben wir uns das auch nicht verdient", sagte Bender zerknirscht.
Schon vor dem Spiel hatte auch Völler darauf verwiesen, dass es in dieser Saison nur noch darum geht, das Schlimmste zu vermeiden. "Wir dürfen nicht träumen, den Sinn für die Realität dürfen wir nicht verlieren", sagte er, "wir müssen die Distanz zu den Europa-League-Plätzen verkürzen. Platz sechs oder sieben, da müssen wir fest dran glauben."
Unmöglich ist das keineswegs. Auch andere Bewerber schwächeln bisweilen, zuletzt beispielsweise der 1. FC Köln, der drei Punkte entfernt liegt. Bayer tut aber gut daran, auf sich selbst zu schauen: "Jeder muss vor seiner eigener Haustür kehren, in den besten Zustand kommen und seine Leistung abrufen", forderte Volland.
In Dortmund gab es die nicht annähernd zu sehen.