Es klingt wie die Hollywood-Geschichte schlechthin.
Böhringer: Wunderkind oder PR-Gag?
Ein schwäbischer Student wird über Nacht zu dem Gesprächsthema der NFL und könnte bald Pässe von Tom Brady oder Aaron Rodgers fangen - Moritz Böhringer lebt diesen Traum.
In der erfolgreichsten Sportliga der Welt sind solche Heldengeschichten aber selten Zufall. Tatsächlich hat die NFL großes Interesse daran, dass der 22-jährige Superathlet zu einem Hit wird.
Die große Frage, die sich vor dem Draft, bei dem Jared Goff zum Nummer-1-Pick wurde, stellte: ist Böhringer mehr als ein Casting-Deutscher oder Marketing-Coup? Hat er wirklich das Zeug zum NFL-Receiver?
Böhringer: Mit YouTube zum Football
Im Vergleich zu Blockern wie Sebastian Vollmer oder den deutschen Verteidigern hat er es deutlich schwerer.
Die komplizierten Pass-Konzepte in der NFL und aggressive Press-Verteidigung der amerikanischen Cornerbacks sind für Böhringer völliges Neuland.
"Das ist sicher das größte Problem für jemanden mit so wenig Erfahrung. Die Instinkte fehlen. Du musst komplett bei null anfangen. Die Liga hat ihn sicher ausgegraben", sagt ein NFL-Scout im Gespräch mit SPORT1.
Böhringer spielt erst seit vier Jahren Football. YouTube-Videos von Running Back Adrian Peterson hatten ihn dazu animiert. 2015 spielte er gerade einmal eine Saison auf dem höchsten deutschen Level in der GFL für die Schwäbisch Hall Unicorns.
Der Football-Nowitzki?
Dass sich Scouts während der streng geheimen Draft-Vorbereitungen - unter der Maßgabe der Anonymität - überhaupt äußern dürfen, deutet ebenfalls auf ein Einwirken der Liga hin.
Das Interesse der Bosse um Commissioner Roger Goodell ist klar. Das Wachstumspotenzial ist riesig, 2017 wird erstmals ein Saisonspiel in Deutschland steigen. Ein Spieler, der in der Offensive regelmäßig den Ball bekommt und Touchdowns erzielt, könnte hierzulande einen Boom wie Dirk Nowitzki für die NBA auslösen.
"Ich hoffe, dass ich Football in Deutschland noch mehr Aufmerksamkeit bringen kann. Von Nowitzki bin ich aber noch meilenweit entfernt", betont Böhringer bei SPORT1.
Werte wie Calvin Johnson
Er ist in jedem Fall der perfekte Kandidat. Mit 22 Jahren ist er jung genug und bringt mit seinen 1,95 Meter und über 100 Kilogramm tatsächlich außergewöhnliche physische Veranlagungen mit. Beim Workout zeigte Böhringer auf den Punkt Topleistungen.
Sein 40-Yard-Sprint um 4,4 Sekunden und seine Sprungkraft wären unter den besten College-Receivern Top-5-Werte gewesen und vergleichbar mit dem jungen "Megatron" Calvin Johnson.
Diese Kombination kann man Scouts und Medien verkaufen - und das tut die NFL, beispielsweise mit Geschichten bei NFL.com und im ligaeigenen TV-Sender NFL Network.
"Es ist eine Win-Win-Situation. Ich bekomme die Chance, und die NFL die Werbung", meint Böhringer pragmatisch.
Ex-Profi gräbt Böhringer aus
Das NFL-Büro in London ist der Schlüssel. Der langjährige Profi Osi Umenyiora arbeitet schon länger an einer Pipeline aus der alten Welt in die NFL.
"Nur so kannst du das Spiel internationalisieren. Die Leute haben eine starke Verbindung zu Landsleuten", sagt der britische Super-Bowl-Champion mit den New York Giants.
Über Umenyiora und den ehemaligen NFL-Europe-Profi Aden Durde kam der Kontakt zur XPE Academy in Florida von Fitness-Guru Tony Villani zu Stande. Dort durfte Böhringer unter anderem mit NFL-Receiver Pierre Garcon arbeiten.
"Die NFL wäre froh, aber: Mo ist ein Phänomen. Seine Werte sind äußerst selten. Er ist groß und schnell wie die besten großen Receiver, und wendig wie die besten kleinen. Er ist beim Fangen ein Naturtalent", erklärt Villani, der regelmäßig mit US-Sportstars arbeitet, bei SPORT1.
6. oder 7. Draft-Runde realistisch
Die Experten sehen den stillen Deutschen (Spitzname "Silence") im Bereich der sechsten oder siebten Draftrunde. Acht Teams haben sich vor dem Draft bereits mit ihm getroffen.
"Allein seine Physis wird ihm einen Vertrag bringen. Da gibt es genug Coaches, die das Risiko eingehen und sehen, ob sie ihm das Spiel beibringen können", meint ein weiterer Teamverantwortlicher zu SPORT1.
Alle Experten sind sich einig, dass es vor allem mental eine brutal harte Aufgabe für Böhringer wird und er "mindestens ein, zwei Jahre" brauche, um regelmäßig das Feld zu sehen.
Die Chance, zu beweisen, dass er mehr als ein gecasteter Marketing-Coup ist, wird der Newcomer aber bekommen.