Schon die Location für seine Comeback-Show war ein Hinweis darauf, dass Lucas Braathen die Welt retten will. Im „Ice Cube“ neben dem „007 Elements“ hoch über Sölden, also dort, wo James Bond die spektakuläre Jagd auf „Spectre“ begann, trat ein emotionaler, nachdenklicher und entschlossener junger Mann auf, der sich nicht mehr damit abfinden will, dass alles so bleibt, wie es ist - und schon gar nicht im alpinen Ski-Weltcup.
Er will die (Ski-)Welt verändern
Vor einem Jahr verkündete Braathen in Sölden: „I‘m out“, ich bin raus. Er fühlte sich gegängelt vom norwegischen Verband. „Ich habe viele Jahre meines Lebens damit verbracht, anderen zu gefallen - und ich war gut darin“, berichtete er.
Dann allerdings erkannte der Gewinner des Slalom-Weltcups 2023, „dass ich nicht jedem gefallen kann“, und: „Dass ich mich verloren habe bei dem Vorhaben, es allen recht zu machen.“
Braathen brach aus. Flog heim nach Norwegen, kündigte seine Wohnung, flog nach Brasilien, das Heimatland seiner Mutter Alessandra, verkroch sich auf einer einsamen Insel, trat als DJ auf und als Model - bis er im Januar erkannte: Das ist es nicht. „Ich habe“, sagte Braathen nun vor dem Weltcupauftakt, „herausgefunden, dass ich ein besserer Skifahrer als Model bin.“ Außerdem „wurde es härter und härter, die Show zu verfolgen, ohne ein Teil davon zu sein“.
Ski Alpin: Braathen für Brasilien
Ihm blieb nur die Rückkehr, aber eine ohne Zwangsjacke. Das heißt: Braathen ist nun mit einem eigenen, zehnköpfigen „Team Pinheiro“ unterwegs, geleitet vom norwegischen Vater Björn, unterstützt von einer Reihe namhafter Sponsoren. Vor allem aber: Er fährt jetzt für Brasilien - das erste Mal dort, wo er vor vier Jahren seinen ersten von mittlerweile fünf Weltcupsiegen gefeiert hat. Der Paradiesvogel fliegt wieder, aber er musste dafür seinen Käfig verlassen.
Braathen bringt eine Botschaft mit, sie lautet: Sei du selbst, auch wenn du anders bist. Vorbilder? „Was wäre Basketball ohne Dennis Rodman, was wäre Technologie ohne Steve Jobs, was wäre Fußball ohne Ronaldinho?!“ Und was wäre der alpine Skirennsport ohne Lucas Pinheiro Braathen? „Ich bin ein Showman“, sagte der 24-Jährige, betonte aber: „Ich bin nicht zurückgekommen, um nicht der Beste zu sein. Um die Leute zu inspirieren, musst du etwas Besonderes sein.“ Sprich: gewinnen.
Braathen als Inspiration
Inspirieren will Braathen etwa „200 Millionen Brasilianer“, er will ihnen zeigen, „was man erreichen kann, ganz egal, woher man kommt“. Deshalb: „Ich werde nicht aufhören, bis ich die Fahne oben auf das Podium getragen habe.“
Doch die brasilianische Welt ist nicht genug, Braathen will seinen geliebten Sport verändern. „Es ist Entertainment“, sagte er, „es geht um die Geschichten dahinter.“ Anders gesagt: der Weltverband müsse die verschiedenen Charaktere, die den Sport prägen, besser verkaufen.
Braathen sieht sich auf einer „Mission“. Der Skizirkus könne „nur wachsen, wenn mehr Unterschiede zugelassen werden, mehr Individualität. Um der Beste zu werden, musst du dich trauen, Dinge anders zu machen.“
Braathen hat einen Anfang gemacht, und sei es nur mit der Location, seinem Auftreten und dem Servieren von Caipirinhas: Seine früheren Teamkollegen mussten vor dem Weltcup-Auftakt in Reih und Glied antreten, im schnöden Raum eines Hotels.