Campbell Wright konnte es selbst nicht fassen. Als der junge Mann mit der Vokuhila-Frisur, einem Meisterwerk einer Haarpracht, in der Verfolgung am Samstag beim entscheidenden vierten Schießen auch die letzte Scheibe erfolgreich umklappen ließ, schaute er urplötzlich erschrocken. Überrascht von sich selbst, überrascht von seinem erneuten Coup. Schon zum zweiten Mal hatte es der 22–Jährige bei den Biathlon-Weltmeisterschaften in Lenzerheide auf das Podest geschafft, wieder holte er Silber.
Auf Wolke sieben

Nein, nicht Sturla Holm Laegreid, nicht Emilien Jacquelin, nicht Sebastian Samuelsson, nicht Tommaso Giacomel - derjenige, der Superstar und Überflieger Johannes Thingnes Bö beim Saisonhöhepunkt in der Schweiz am dichtesten auf den Fersen ist, heißt tatsächlich Wright. Das ist insofern erstaunlich, als der für die USA startende Neuseeländer noch nie zuvor bei einem Weltcuprennen auf dem Podest stand. Eine kleine Sensation also als vorläufiger Höhepunkt eines langen Weges, den ihm zu diesem Zeitpunkt nur wenige Fans und Experten zugetraut hatten. Doch der Erfolg kommt nicht von ungefähr.

„Wussten, dass Campbell sehr gut ist“
„Eine Medaille kann man nie planen - und mit einem kleinen Team sowieso nicht“, sagte sein Trainer Armin Auchentaller im Gespräch mit SPORT1 über den Mann der Stunde, der sich in diesem Winter als 18. des Gesamtweltcups in die erweiterte Elite vorarbeitete. Für ihn ist in Zukunft sogar noch mehr möglich: „Wir wussten schon, dass Campbell sehr gut ist. Aber er befindet sich noch in der Entwicklung und nicht am Zenit.“ Es sei „irgendwie eine Überraschung, aber irgendwie auch nicht“ gewesen. Wright trägt immerhin das blaue Trikot des besten Athleten in der Nachwuchswertung. Dennoch sagt Auchentaller auch: „Dass es ausgerechnet bei der WM so weit nach oben geht, ist schon eine Überraschung“.
Mehr noch: Es ist ein Aufstieg wie Phönix aus der Asche, so scheint es zumindest. Auffallend war vor allem die Nervenstärke von Wright. Sonst oft ein Problem mit Konstanz und Beständigkeit, ließ er sich von den Besten wie Bö oder Giacomel nicht einschüchtern. Dem zweiten Platz im Sprint hing er einen Tag später einen weiteren zweiten Platz im Jagdrennen an. „Ich bin auf Wolke sieben“, schwärmte Wright danach mit breitem Grinsen und versicherte: „Ich bin mir sehr sicher, dass sie in beiden Ländern feiern werden und glücklich sind“. In den USA und in Neuseeland, meinte er. Denn eigentlich stammt Wright vom anderen Ende der Welt.
Wrights besonderer Weg in die Weltspitze
Zum Wintersport kam er als kleiner Junge auf der 1.600 Meter hoch gelegenen Snow Farm, dem einzigen Langlaufgebiet des Inselstaates im südlichen Pazifik. Auch einen Schießstand gab es dort, einst mit privatem Geld von Familien- und Vereinsmitgliedern finanziert. Der italienische Ex-Biathlet Luca Bormolini, der in Neuseeland als Trainer arbeitete, brachte ihn so ans Gewehr. Mit 16 Jahren startete Wright erstmals bei internationalen Wettkämpfen im IBU-Junior-Cup, drei Jahre später folgte das Weltcup-Debüt - und 2023 ein historischer Coup.
Bei den Junioren-Weltmeisterschaften holte Wright Gold im Sprint. Nie zuvor gewann ein Mensch von der Südhalbkugel bei einem offiziellen IBU-Wettkampf. Allerdings stand im gleichen Zuge fest: Langsam wurde das neuseeländische Team für einen weiteren Aufstieg zu klein. Kaum Hilfe von Trainern, keine medizinische Abteilung, keine Aussicht auf Staffel-Einsätze - all das bewog ihn im Laufe der Zeit zum Wechsel ins US-Team. Seine Eltern sind Amerikaner, er selbst besitzt die doppelte Staatsbürgerschaft, der Wechsel des Verbandes war daher kein Problem. Doch ein bisschen Wehmut bleibt.
Schon nach dem Silber-Triumph im Sprint verriet der Youngster, dass noch immer zwei Herzen in seiner Brust schlagen. Wright ist sehr dankbar dafür, was er in Neuseeland „bekommen habe“ - doch mit den strukturellen und finanziellen Möglichkeiten zu trainieren, die die USA bieten, das sei nun eine „ganz andere Nummer“. Neuseelands Biathlon-Chef Tim David legte ihm deshalb keine Steine in den Weg und betonte: „Wir wollen nur das Beste für Campbell. Wir verlieren hier nicht einen Kiwi - wir geben einem Kiwi die beste Chance, ein Weltklasse-Athlet zu werden und ein tolles Leben zu führen.“
Wright? „Er ist eine Frohnatur“
Das scheint zu funktionieren. In den USA konnte Wright den Grundstein für seine großartigen Erfolge legen, unter Auchentaller steigerte er sich kontinuierlich. Bei der WM 2024 in Nove Mesto zeigte er bereits zwei Top-15-Resultate auf, zum Start der laufenden Saison verpasste er das Podest nur um vier Sekunden. „Campbell ist ein absoluter Profi, wenn es um Disziplin im Training und den Wettkämpfen geht“, schilderte der italienische Trainer: „Er ist eine Frohnatur, hat bei allem Spaß und bringt die nötige Lockerheit mit, ist aber auch immer seriös. Er macht es uns Trainern sehr leicht: Er hört zu und setzt um, was er soll.“
So ist Wright für die Amerikaner längst ein riesiges Geschenk. „Mit seiner Art zieht Campbell unbewusst das ganze Team mit. In dieser Hinsicht ist er unser Leader - auch wenn er es selbst gar nicht merkt“, schwärmt Auchentaller von seinem Schützling, der mit seinen beiden Silbermedaillen ganz nebenbei für eine erste kleine WM-Party sorgte. „Es wurde ordentlich gefeiert, das kann ich sagen“, antwortete der Südtiroler verschmitzt lächelnd auf eine entsprechende Frage: „Wir haben uns nach dem Wettkampf mit dem Staff und zwei, drei anderen Teams in der Wachskabine getroffen und Bier gezapft.“
Bemerkenswert: Im Medaillenspiegel liegen die USA plötzlich auf Platz vier. Gleichauf mit Schweden - und wie die schier übermächtigen Norweger mit bisher zweimal Edelmetall. „Wir sind es nicht gewohnt, da mitzumischen“, scherzte Auchentaller. Ein frecher Spruch in Richtung der skandinavischen Kollegen blieb allerdings aus. „Bei den Trainern sehe ich nur glückliche Gesichter, weil sie wissen, wie schwer es ist, als kleine Nation vorne reinzulaufen. Deshalb sind die beiden Medaillen auch für alle anderen kleinen Nationen. Es macht ihnen Mut, immer hart zu arbeiten.“
„Das Beste, was ich je geschafft habe“
Was für die Amerikaner jetzt noch möglich ist? „Das ist das Beste, was ich je geschafft habe. Und wir haben noch nicht einmal WM-Halbzeit“, sagte Wright nach der Verfolgung selbst. Am Mittwoch steht der Einzel auf dem Programm, am Sonntag zum Anschluss der Massenstart, dazwischen die beiden Staffeln. Natürlich haben auch die USA keine gestandene Mannschaft. Und zwei herausragende Rennen machen noch keinen Weltklasse-Athleten. Das Selbstvertrauen aber ist nach den so erfolgreichen Tagen spürbar gestiegen.
Zwei Chancen, alleine weiteres Edelmetall zu holen. Eine im Team. „In der Staffel haben wir uns in diesem Winter schon stark präsentiert. Wir erwarten uns immer einen Platz zwischen fünf und zehn“, erklärte Auchentaller: „Alles, was darüber hinausgeht, hängt davon ab, ob die anderen Mannschaften für uns mitspielen.“ Einen einzigen Biathlon-Weltmeister brachte die USA erst hervor. Lowell Bailey gelang dieses Kunststück 2017. Vielleicht schafft es Wright ja sogar, die Nummer zwei zu werden. Ausgeschlossen ist nichts.