Vor ziemlich genau einem Jahr stand Mark Nzeocha noch auf dem Feld, als die San Francisco 49ers in den Wildcard-Playoffs gegen die Dallas Cowboys die Oberhand behielten.
Purdy? „Sowas noch nicht gesehen“
Der deutsche Linebacker wäre jederzeit für ein Comeback zu haben - aber wenn seine beiden Ex-Teams an diesem Sonntag erneut in den NFL-Playoffs aufeinandertreffen, wird der 33-Jährige als Zuschauer dabei sein.
Im SPORT1-Interview spricht Nzeocha darüber, wem er die Daumen drückt, wie er den Hype um Quarterback-Sensation Brock Purdy erlebt, was er von dessen Vorgänger Jimmy Garoppolo hält - und was die 49ers zu einem Spitzenteam macht. (NEWS: Alle aktuellen Infos zur NFL)
SPORT1: Mark Nzeocha, in der Divisional Round der NFL-Playoffs treffen Ihre beiden Ex-Teams aufeinander. Wem drücken Sie die Daumen?
Mark Nzeocha: Ich bin auf jeden Fall noch ein Fan von beiden. Aber ich war letztes Jahr noch bei den Niners, ich bin noch im engen Kontakt mit vielen Mitspielern von dort - von daher: Mein Herz ist bei den Niners.
SPORT1: Was macht die 49ers aktuell aus? (NFL-Transfers - die größten Trades und heißesten Gerüchte im TICKER)
Nzeocha: Sie machen einen richtig guten Job, die richtigen Leute zu holen. Man redet ja immer von einer Kultur in einem Football-Team - und die 49ers bringen die richtigen Leute zusammen. Da sind keine Riesen-Egos drin. Das sind Leute, denen es egal ist, wer den Credit dafür bekommt, dass sie gewinnen. Auch die Stimmung im Locker Room ist wirklich top! Kyle Shanahan ist ein Players‘ Coach, der mit seinen Spielern auf derselben Wellenlänge reden kann. John Lynch (General Manager, Anm. d. Red.) als ehemaliger Spieler genauso. Diese ganze Kombination passt einfach - und der Erfolg kommt nicht ohne Grund. Das Rezept, das sie dort in San Francisco haben, das funktioniert.
Brock Purdy? „Der kann spielen“
SPORT1: Und Brock Purdy hat als dritter Quarterback mit seinen Leistungen für einen riesigen Hype gesorgt. (SERVICE: NFL-Wissen - die wichtigsten Regeln im Football)
Nzeocha: Das Krasse ist: Ich habe ihn in der Preseason spielen sehen und dachte mir damals schon: „Wow, das ist Mr. Irrelevant?!“ (der letzte Pick im NFL-Draft, Anm. d. Red.) Über die Saison habe ich immer mal wieder Kontakt mit Fred Warner, Dre Greenlaw, den Linebackern, wie es so läuft - und da habe ich schon seinen Namen gehört.
SPORT1: Und was haben sie über Purdy gesagt?
Nzeocha: Die haben da schon gesagt: „Der Junge im Scout Team, der geht richtig ab, der zerlegt uns ein bisschen.“ (lacht) Aus Teamsicht gab es dann auch gar keine Frage, als Jimmy Garoppolo sich verletzt hat, dass Brock Purdy spielen kann. Jeder wusste in dieser Organisation: Der Junge ist ein Rookie, aber der kann spielen.
SPORT1: Was er auch direkt bewiesen hat.
Nzeocha: Er hat es absolut bewiesen. Er kommt da rein, hat diese coole Miene, lässt sich den ganzen Druck - wenn er irgendwelchen Druck hat - nicht anmerken. Er sieht das Feld, er macht smarte Decisions, da muss man einfach riesigen Respekt zollen. Der Junge spielt auf ohne Ende. In der Form konnte man das nicht erwarten. Natürlich hat er Riesenwaffen um sich rum, die ihm das Leben leichter machen. Aber dass er so cool und gelassen aufspielt, das ist krass zu sehen - und ich liebe es! (SERVICE: NFL-Wissen - die wichtigsten Begriffe im Football)
Nzeocha sieht Ähnlichkeiten zu Dak Prescott
SPORT1: Vor der Saison wurde Trey Lance zum Starter gemacht, dann musste doch wieder Garoppolo ran, jetzt führt ein kompletter Neuling das Team in die Playoffs. Haben Sie so etwas schon mal erlebt?
Nzeocha: Ich hatte ein paar verrückte Quarterback-Situationen, das muss ich ehrlich sagen. Ich war zum Beispiel 2016 in Dak Prescotts Rookie-Jahr bei den Cowboys dabei. Tony Romo war unser Starter, hat sich in der Preseason verletzt. Kellen Moore, der heutige Offensive Coordinator der Cowboys, war der Backup - verletzt im Training Camp. Und dann auf einmal kam der Rookie Dak Prescott. Niemand wusste, was er drauf hat - und boom, hat er übernommen. Seither gab es kein Zurück und er hat den Starterjob.
SPORT1: Klingt ähnlich wie jetzt bei Brock Purdy.
Nzeocha: Ja, sowas passiert ab und zu. Du kommst als dritter Quarterback rein mit wenig Erfahrung, niemand kennt dich wirklich, niemand erwartet wirklich was von dir - und auf einmal zockst du auf. Aber dass ein dritter Quarterback so krass spielt - und man kann ja argumentieren, dass er besser als die beiden vorherigen gespielt hat - sowas habe ich noch nicht gesehen.
SPORT1: Und damals bei Dak Prescott? (SERVICE: NFL-Wissen - die Positionen im Football)
Nzeocha: Ja, außer vielleicht 2016 bei Dak Prescott. Damals mit Dak haben wir das allererste Spiel verloren und dann haben wir eine Serie mit elf Siegen gestartet. Das war auch nicht schlecht.
Kritik an Garoppolo? Er hat Spiele gewonnen
SPORT1: Sie waren länger mit Jimmy Garoppolo im Team: Wie haben Sie ihn erlebt - und wie erklären Sie sich, dass er bei Fans und Experten oft so schlecht wegkam, obwohl er ja Erfolg hatte?
Nzeocha: Erstmal zu Jimmy als Person: Er ist der beste, bodenständigste, krasseste Mensch, er ist ein super Typ. Er war mein direkter Nachbar in der Kabine, wir haben viele Gespräche gehabt, uns über Gott und die Welt unterhalten.
SPORT1: Und die Kritik? (DATEN: Alle Tabellen der NFL)
Nzeocha: Die Kritik kam wahrscheinlich dadurch, dass wir mit ihm zwar viel gewonnen haben, aber seine Zahlen waren nie so krass, dass sie dich umhauen. Aber worum geht es denn in dieser Liga? Es geht darum, Spiele zu gewinnen - und das hat er gemacht. Hat er jedes Spiel drei, vier Touchdown-Pässe geworfen und wenige Interceptions? Ab und zu hat er natürlich Fehler gemacht - aber er hat uns immer im Spiel gehalten und uns 2019 in den Super Bowl geführt. Diese Kritik an ihm ist unberechtigt, weil er einfach ein Gewinner ist - und die Statistiken beweisen es.
- Entdecke die Welt der SPORT1-Pocasts, auf meinsportpodcast.de, bei Spotify, Apple Podcasts und überall, wo es Podcasts gibt
SPORT1: Bei dem ganzen Hype um Purdy und die Offense vergisst man leicht, dass die Niners eine der besten Defenses der Liga haben, in der Sie vergangene Saison ja auch noch gespielt haben. Was macht diesen Mannschaftsteil aus?
Nzeocha: Ein Faktor ist auf jeden Fall DeMeco Ryans, der Defensive Coordinator. Er war damals mein Linebacker Coach, ein krasser Typ. Er ist dieses Jahr auch ein Headcoaching-Kandidat. Er war selbst ein All-Pro und Defensive Rookie of the Year. Er kennt das Spiel, er weiß, was funktioniert - und er weiß, wie er auf seine Spieler eingehen muss und das Beste aus ihnen herausholen kann. (DATEN: Ergebnisse und Spielplan der NFL)
SPORT1: Und die Spieler?
Nzeocha: Viele von den Jungs sind jetzt seit mehr als vier Jahren in dieser Defense. Du kennst das System, du hast die Erfahrung. Du weißt, wie die Offenses versuchen, diese Defense zu attackieren und du siehst Sachen, bevor sie passieren. Und in der Mitte haben sie Fred Warner, einen der besten, wenn nicht sogar den besten und smartesten Linebacker in der Liga, der alles sieht, der die Defense aufstellt.
SPORT1: Dazu kommt mit Nick Bosa ein heißer Kandidat für den Defensive Player of the Year.
Nzeocha: Bei Bosa kann immer ein Big Play passieren, seine 18,5 Sacks sprechen für sich. Er hilft auch anderen Spielern, gut zu sein, weil er immer mindestens ein, zwei Spieler auf sich zieht. Bosa ist einfach ein Naturtalent. Er kam rein als Second Overall Pick und hat von Anfang an gezeigt, dass er dem wirklich gerecht wird.