„Wir duellierten uns, seit wir Jungs waren. 25 Jahre als Rivalen, die sich gegenseitig bis über ihre Grenzen hinaustrieben. (…) Ich dachte, unsere Story ist vorbei - doch es stellte sich heraus, es gibt noch ein finales Kapitel. Es ist Zeit, dass einer meinen größten Gegner in meine Ecke kommt: Willkommen an Bord, Coach Andy Murray.“
Was der Djokovic-Hammer bedeutet
So kündigte Novak Djokovic auf Social Media eine der verrücktesten Tennis-Nachrichten seit langem an. Ausgerechnet zwei der größten Rivalen des Sports finden sich plötzlich in einer Trainer-Spieler-Beziehung wieder. Auf den ersten Blick fühlt es sich ein wenig an, als würde Cristiano Ronaldo nach seinem Karriereende der persönliche Trainer von Lionel Messi werden.
Denn auch wenn Murray aufgrund seiner Verletzungsprobleme nicht mehr in allen Köpfen als der große Dauerrivale von Djokovic in Erinnerung sein mag, war er genau dies über viele Jahre. Allein zwischen 2012 und 2016 kam es 25 Mal zum Duell der beiden - häufiger mit dem besseren Ausgang für Djokovic.
Vor allem in Grand-Slam-Endspielen sah sich Murray fast ständig Djokovic gegenüber. So erreichte er zwischen den Australian Open 2011 und den French Open 2016 achtmal ein Major-Finale - siebenmal davon hieß sein Gegner Djokovic, der sich fünfmal durchsetzen konnte.
Djokovic hat mit Murray zudem eine größere gemeinsame Vergangenheit als mit seinen Big-3-Rivalen Rafael Nadal und Roger Federer.
Djokovic und Murray kennen sich seit vielen Jahren
Das hängt damit zusammen, dass Djokovic nur eine Woche nach dem Schotten geboren wurde und es somit bereits früh in ihrer Kindheit zu Duellen kam - Murray galt dabei anfangs als noch talentierter und gewann beim prestigeträchtigen Juniorenturnier Las Petits mit 6:0, 6:1(!).
Und womöglich liegt es an dieser langen gemeinsamen Vergangenheit, dass sie bei aller Rivalität außerhalb des Courts sehr gut miteinander auskamen und Djokovic mit Murray stets ein besseres Verhältnis pflegte als mit Federer und Nadal, wenngleich sich in jüngerer Vergangenheit auch diese Beziehungen entspannten.
Murray war Djokovic nie böse, weil er ihn zahlreiche Grand-Slam-Titel kostete und revanchierte sich mit frechen Sprüchen, die Djokovic ihm aber nie übel nahm. Legendär ist dabei Murrays Vorstellung von Djokovic am Rande von Federers Abschied beim Laver Cup 2022.
„Der Spieler, den ich nun auf die Bühne bitte, liebt es, Pflanzen zu essen. Er feiert alle seine Grand-Slam-Siege damit, indem er wild auf Gemüse-Smoothies wird. Er ist glutenfrei, es ist Novak Djokovic“, sagte Murray, während der Serbe vor Lachen fast zusammenbrach und ihm dann scherzhaft mit erhobenem Zeigefinger drohte.
Die gute Beziehung zueinander ist die Grundlage, warum diese extrem ungewöhnlich wirkende Konstellation tatsächlich gut funktionieren könnte. Bleibt nur die Frage, was sich beide Seiten davon versprechen.
Murray: Perfekter erster Schritt für Trainer-Laufbahn
Bei Murray ist dies recht offensichtlich: Auch nach seinem Karriereende möchte der 37-Jährige dem Tennissport nicht den Rücken kehren - und einen besseren Einstieg als als Trainer von Djokovic gibt es nicht.
Zwar besteht auch ein Risiko, falls der erfolgreichste Tennisspieler der Geschichte unter ihm nichts mehr gewinnt - doch Murrays Ruf ist gut genug, dass er sich auch davon erholen würde und im Zweifel lag es dann eben am hohen Alter Djokovics, der schließlich schon 2024 ohne Grand-Slam-Titel geblieben war.
Dagegen kann Murray in seiner Zeit bei Djokovic so viel lernen wie mit keinem anderen. Der Weltranglistensiebte hat alles erlebt, mit den weltbesten Trainern zusammengearbeitet und ist zeitgleich sehr herausfordernd. So rief er Ex-Coach Goran Ivanisevic gerne mitten in der Nacht an, wenn ihm einfiel, dass er mit etwas an seinem Spiel unzufrieden war.
Murray wird aus dieser Zusammenarbeit daher sehr viel für seine zukünftigen Trainertätigkeiten mitnehmen können und in kürzester Zeit mehr lernen als mit unerfahrenen Spielern über viele Jahre.
Wofür Djokovic einen Murray an seiner Seite braucht
Interessanter ist die Zweck-Frage aus Sicht von Djokovic, der in diesem Jahr mit der Olympia-Goldmedaille das letzte fehlende Puzzleteil in seiner Karriere gewonnen hat. Dies warf die Frage auf, ob Djokovic überhaupt noch genug Motivation für weitere Jahre hat, nachdem nach Federer mit Nadal nun auch sein letzter großer Rivale seine Karriere beendet hat.
Die Entscheidung für Murray ist nun wohl das deutlichste Zeichen - womöglich sogar auch an sich selbst -, dass ein Karriereende noch überhaupt kein Thema ist. Djokovic will es 2025 noch einmal richtig wissen und hatte bereits auf die ATP Finals verzichtet, um eine längere Offseason haben zu können.
Der 37-Jährige braucht Murray dabei nicht für technische Feinarbeit an seinen Schlägen. Der Serbe beherrscht mit Ausnahme des Überkopfballs jeden Schlag nahezu perfekt - und diesen wird ihm auch Murray nicht mehr beibringen können, nachdem alle Vorgänger einschließlich Boris Becker daran verzweifelt waren.
Was Murray auszeichnete, war neben seinen technischen Qualitäten auch sein ungewöhnlich hoher Tennis-IQ. Zweifelsohne besitzt diesen auch Djokovic - doch nun hat er eine zweite Stimme, mit welcher er auf Augenhöhe diskutieren kann, was ihm zusätzliche Sicherheit bei Taktik-Entscheidungen gibt.
Djokovic will es noch ein letztes Mal allen zeigen
Djokovic braucht zudem jemanden in seiner Box, der genau weiß, was er in großen Matches fühlt, einen sogenannten „Supercoach.“ Nicht umsonst hatte er in der Vergangenheit auch schon Andre Agassi, Becker und Ivanisevic in seinem Team.
Diese Ex-Profis können auch am besten damit umgehen, wenn Djokovic sein Team in der Box anschreit und schnellstmöglich nach Lösungen verlangt. Murray war in dieser Beziehung selbst kein Kind von Traurigkeit und weiß daher, was der Spieler auf dem Court gerade fühlt und wie man mit ihm in dieser Situation umgehen muss.
Die Murray-Entscheidung ist aber nicht völlig ohne Risiko, schließlich fehlt dem Schotten jegliche Trainer-Erfahrung. Es ist aber wohl ein letzter Versuch von Djokovic, um noch einmal alle, die bereits an ihm zweifeln und Jannik Sinner sowie Carlos Alcaraz als die neuen Tennis-Könige sehen, eines Besseren zu belehren.
Dieses „euch zeige ich es“-Gefühl hatte ihn schon immer mehr angetrieben als alles andere und so sagte er auch jüngst: „Mir tun die Leute leid, die mich gerne aufhören sehen würden, denn sie werden mich noch ein wenig länger sehen.“