Wenn zwei sich streiten freut sich der Dritte: Cole Hocker hat Norwegens Wunderläufer Jakob Ingebrigtsen und dem Briten Josh Kerr die Show gestohlen und sich überraschend Olympia-Gold über 1500 m gesichert. Der US-Amerikaner gewann am Dienstagabend das mit Spannung erwartete Finale in olympischer Rekordzeit von 3:27,65 Minuten. Kerr (3:27,79) blieb als Trost die Silbermedaille, Tokio-Olympiasieger Ingebrigtsen (3:28,24) musste sich hinter Hockers Landsmann Yared Nuguse (3:27,80) in einem spektakulären Rennen sogar mit dem vierten Platz begnügen.
Entzauberter Superstar kleinlaut
Auf der Tribüne direkt neben SPORT1 jubelte Hockers früherer Jugendtrainer Sean Brosnan. „Ich habe vor dem Rennen gesagt: Wenn er auf den letzten 100 Metern nah dran ist, hat er eine Siegchance. Es ist fantastisch, er ist ein fabelhaftes Rennen gelaufen“, sagte Brosnan.
Eigentlich hatte alles auf das Duell zwischen Ingebrigtsen und Kerr geblickt. Europameister Ingebrigtsen, der gegen Kerr bei der Weltmeisterschaft in Budapest vor einem Jahr seinen ersten WM-Titel über 1500 m verpasst hatte, und sein Rivale haben sich in der Vergangenheit mehrfach verbal angegriffen. Ein Vorwurf Ingebrigtsens lautete: Kerr meide Wettkämpfe, also auch direkte Duelle mit ihm. So fehlte der WM-Champion etwa im Juli bei der EM in Rom.
Kerr wollte die Antwort auf der Bahn in Paris geben. Bereits im Halbfinale waren beide aufeinandergetroffen und nahezu gleichzeitig ins Ziel laufen - auf den letzten rund 20 Metern blickten sie sich dabei tief in die Augen.
„Ingebrigtsen entzaubert, unfassbar, unfassbar!“
Im Rennen um Gold setzte sich Ingebrigtsen, der in Frankreich das Gold-Double über 1500 und 5000 m anpeilte, gleich zu Beginn selbstbewusst an die Spitze und hielt das Tempo extrem hoch. „Er macht den edelsten Edelhasen“, sagte ARD-Kommentator Ralf Scholt.
Rund 250 m vor Schluss attackierte Kerr und durfte auf der Zielgeraden auf Gold hoffen. Doch Hocker hatte den besten Schlussspurt. Der Leipziger Robert Farken hatte die Finalteilnahme um nur 32 Hundertstel verpasst. Der zweite deutsche Starter Marius Probst (Wattenscheid) war im Hoffnungslauf ausgeschieden.
ARD-Mann Wilfried Hark war völlig überrumpelt: „Vielleicht die fetteste Sensation dieser Leichtathletik-Wettbewerbe.“ Scholt schloss sich an: „Was für ein Monsterfinale. Ingebrigtsen entzaubert, unfassbar, unfassbar!“
„Dieses idiotische Dribbling zwischen Ingebrigtsen und Kerr zu beobachten und dann zu sehen, wie Hocker und Nuguse sie überholen, ist vielleicht der befriedigendste Moment für die USA bei einer Olympiade seit Jahrzehnten“, schrieb der Guardian.
„Taktischer Fehler, den ich nicht kleinreden kann“
Und Ingebrigtsen selbst? Der wurde nach dem Lauf natürlich nach seiner Taktik gefragt und ob er diese bereuen würde: „Ja und Nein“, antwortete er in der Mixed Zone, stellte jedoch klar: „Natürlich ist es ein taktischer Fehler, den ich nicht kleinreden kann.“
Seine „Fehler“ analysierte er weiter: „Meine Geschwindigkeit auf den ersten 800 Metern war ein bisschen zu hoch. Auf der Gegengeraden mit 650 Metern übrig ist eine kleine Lücke aufgegangen, also habe ich versucht zu antworten und bin ein wenig zu stark aufs Gas gestiegen. Das waren einfach 100 Meter zu viel.“
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mit Sport-Informations-Dienst (SID)