Es ist keine schillernde Erfolgsgeschichte, keine Gold-Medaille, die derzeit die Schlagzeilen bei Olympia dominiert. Stattdessen bewegt die Diskussion um das Geschlecht der algerischen Boxerin Imane Khelif die Sport-Welt.
Box-Aufreger ein „unerträglicher Anblick“
Nach nur 46 Sekunden gewann die 25-Jährige, die noch im vergangenen Jahr vom Box-Weltverband IBA wegen eines DNA-Tests zur Geschlechterprüfung disqualifiziert worden war, ihren Auftakt-Kampf. Ihre italienische Gegnerin zog sich nach zwei harten Treffern unter Tränen zurück - und die internationale Presse kennt einen Tag später kaum ein anderes Thema.
Das britische Boulevardblatt The Sun präsentierte seinen Lesern als wichtigstes Thema einen Kommentar des umstrittenen Autors und Moderatoren Piers Morgan, der Khelif absprach, eine biologische Frau zu sein und vom einem „unerträglichen, herzzerreißenden Anblick“ im Ring schrieb. Die Zeitung Daily Mail, ebenfalls als konservativ eingestuft, titelte VERY BAD SPORTS.
Imane Khelif sorgt für mächtig Gesprächsstoff
Die spanische Sportzeitung Marca veröffentlichte ein Interview des spanischen Box-Trainers bei Olympia, der erklärte, er sehe Khelifs Teilnahme als „nicht fair und nicht gerecht“ an: „Jeder kann denken, was er will, aber ich sehe es so.“ Zudem präsentierte das Blatt eine Bildergalerie der Kämpferin über ihr Leben.
Bei der Schweizer Zeitung Blick war ein Kommentar zu lesen, dass dieser Kampf nicht nur unfair, sondern auch gefährlich gewesen sei.
Am Donnerstag hatte das IOC in einem Statement auf die massive Kritik aus aller Welt reagiert. Jeder Mensch habe „das Recht, ohne Diskriminierung Sport zu treiben“, teilte das Internationale Olympische Komitee mit. Die „gegenwärtige Aggression“ gegen diese beiden Sportlerinnen (neben Khelif wird auch über Lin Yu-ting diskutiert) beruhe „ausschließlich auf einer willkürlichen Entscheidung, die ohne jedes ordnungsgemäße Verfahren getroffen wurde - insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass diese Sportlerinnen seit vielen Jahren an Spitzenwettkämpfen teilgenommen haben“, hieß es in Bezug auf den letztjährigen Ausschluss beider Athletinnen durch den Box-Verband.
„Gewissensfrage im Ring“
Auch in Italien, Heimatland der unterlegenen Kämpferin, ist man sich der Sensibilität des Themas daher durchaus bewusst. In einem Kommentar der Gazzetta dello Sport, größter Sportzeitung des Landes, war die Rede von einer „Gewissensfrage im Ring“. „Ein Schlag ins Gesicht unseres Gewissens“, schrieb der stellvertretende Chefredakteur Peri Bergonzi. „Es gibt formale Rechte, die aber für alle gleich sein sollten. Und dann gibt es den gesunden Menschenverstand.“
Am Samstag steht Khelifs zweiter Kampf auf dem Programm. Anna Luca Hamori aus Ungarn bekommt es mit der intersexuellen Kontrahentin zu tun - und gibt sich entspannt: „Ich habe keine Angst. Wenn sie oder er ein Mann ist, wird mein Sieg nur noch größer sein.“