Seine Verpflichtung war der bislang größte Coup von WWE-Konkurrent AEW. Sein emotional überwältigendes Debüt sorgte für eine Traumquote. Und ein Beben, das über das Wrestling hinausreichte.
CM Punks bitterer Bruch mit WWE
“Willkommen zu Hause, CM Punk. Du. Wurdest. Vermisst.”, twitterte das NHL-Team Chicago Blackhawks zum Comeback ihres Edelfans, dessen “First Dance” auch zahlreiche Anspielungen auf die lokale NBA-Ikone Michael Jordan enthielt (unter anderem der auf die Jordan-Doku “The Last Dance” anspielende Name der Spezialausgabe der TV-Show Rampage).
Auch Amerikas größtes Sportportal ESPN vermeldete Punks Wrestling-Rückkehr und erzielte mit dem zugehörigen Social-Media-Post mehr Reichweite als mit jedem anderen Beitrag in den vergangenen drei Monaten - also auch mehr als mit jeder einzelnen Vermeldung eines US-Olympiasiegs in Tokio.
Wie kommt es, dass ein Showkämpfer so unglaubliche Emotionen in Sport-Amerika verursacht? Um es zu verstehen, muss man die mittlerweile 20 Jahre lange Vorgeschichte kennen - in der Punk nicht immer nur positive Emotionen ausgelöst hatte.
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CM Punk war schon vor WWE eine Sehnsuchtsfigur
CM Punk, geboren als Phil Brooks am 26. Oktober 1978, ist nicht irgendein früherer WWE-Topstar: Für Fans und Kritiker der weltgrößten Wrestling-Liga war er bereits eine Sehnsuchtsfigur, noch ehe er dort angeheuert hatte.
Der junge Punk - der Name CM stammt aus seinem frühen und schnell vergessenen Tag Team “The Chick Magnets” (Die Bräutemagnete), später wurde es zum Running Gag, dass Punk in Interviews immer neue Erklärungen für das Buchstabenkürzel erfand - war in der ersten Hälfte der Nuller-Jahre ein Star der damals aufblühenden US-Independent-Szene.
Vor allem seine bahnbrechenden Auftritte in der populären Promotion Ring of Honor (ROH) begeisterten die Fans, nicht nur wegen seines zeitgemäßen Ringhandwerks mit Einflüssen aus der MMA-Welt.
Punk galt als potenzieller WWE-Topstar der Zukunft - und mehr als das: Mit seinem Charisma, seiner rhetorischen Intelligenz und Schärfe galt er als einer, der imstande schien, Fans zurückzugewinnen, die das Wrestling nach dem Ende des Attitude-Era-Booms und dem Untergang des früheren WWE-Konkurrenten WCW 2001 verloren hatte. Gerade auch der erwachsenen Fans, die die Hinwendung von WWE zu einer kindgerechten Ausrichtung kritisch sahen.
Wissenswertes zum Thema Wrestling:
“Straight Edge”: Eine reale Überzeugung
Im Zentrum von Punks Charakter stand sein realer “Straight-Edge”-Lebensstil: Er lehnt - unter anderem durch seine persönliche Prägung als Sohn eines Alkoholiker-Vaters - jede andere Art von Rausch- und Dopingmitteln ab.
Punks Überzeugung - ironisch auf den Punkt gebracht durch ein riesiges Tattoo mit dem Logo der Cola-Firma Pepsi (auch sein früherer Finisher trug den Namen “Pepsi Plunge”) - war Grundlage für viele seiner großen Storys: Punk gab den bösartigen Übermoralisten, der Gegner und Fans kunstvoll gegen sich aufbrachte (”Straight Edge means I’m better than you”).
Zu besonderer Hochform lief er auf, als er in seiner Fehden mit Hardcore-Legende Raven bei ROH (wie später auch mit Jeff Hardy bei WWE) die realen Drogenprobleme seines Gegenspielers in die Story-Fiktion verwob. Noch mehr als seine hochklassigen Matches mit Gegnern wie Chris Hero (Kassius Ohno bei WWE) und Samoa Joe waren es seine Promo-Ansprachen, seine frühen “Pipe Bombs”, die ihn aus der Masse hervorstechen ließen.
Bei WWE, wo Punk 2005 unterschrieb, sollen die Bosse um den ewigen Vince McMahon Punk stets gespalten gesehen haben: Wo Förderer wie etwa sein späterer Manager Paul Heyman riesiges Potenzial sahen, sollen andere ihn als “King of the Indies” abgetan haben - ein Mann der kleinen Bühnen, der nicht recht zu WWE passen und dort an seine Grenzen stoßen würde.
Auch die “Pipe Bomb” 2011 brachte nicht alles ins Wanken
In gewissem Sinne behielten beide Seiten Recht: Punk hatte bei WWE großen Erfolg, wurde zum vielfachen Champion und umjubelten Kultstar - aber es blieb das Gefühl zurück, dass noch mehr gegangen wäre, wäre WWE von ihm annähernd gleich überzeugt gewesen wie von Cena.
Punks reale Unzufriedenheit damit, dass er bei WWE nicht in denselben Rang aufstieg, spiegelte sich in seiner legendär-bitterbösen, mit Tabubrüchen durchsetzten “Pipe Bomb” 2011 wider, einer kaum als Fiktion verhüllten Abrechnung mit McMahon und Co.
Tatsächlich war Punk damals kurz davor, bei WWE hinzuwerfen, das Angebot, seine Frustration gewinnbringend zu kanalisieren und in der Rolle als Rebell und Antistar einen neuen Karriereschub zu bekommen, bewegte ihn zum Bleiben - aber letztlich nur vorübergehend.
Auch auf dem Höhepunkt seines WWE-Schaffens 2012 durfte Punk beim Jahreshöhepunkt WrestleMania nicht am Hauptkampf teilnahmen - was er später als große persönliche Enttäuschung herausstellte. Zum Zug kamen Rivale Cena und der zurückgekehrte Megastar Dwayne “The Rock” Johnson. Punks “Trostmatch” gegen Legende The Undertaker verlor er - und es hinterließ einen schalen Beigeschmack durch die Ausschlachtung des Todes von Undertaker-Manager Paul Bearer.
WWE feuerte CM Punk am Tag der Hochzeit mit Frau AJ Lee
Punks Frustration über den Arbeitgeber blieb und verstärkte sich bis an den Punkt, an dem eine schmutzige Scheidung ihren Lauf nahm.
Punk teilte den WWE-Bossen am Tag nach dem Großereignis Royal Rumble Anfang 2014 mit, dass er nicht mehr weiterarbeiten wollte, er wurde suspendiert, danach nicht mehr kontaktiert und schließlich gefeuert - am Tag seiner Hochzeit mit WWE-Kollegin April Mendez (AJ Lee).
Im Lauf der Trennung verkündete Punk sein angeblich unwiderrufliches Karriere-Ende als Wrestler, im November 2014 folgte eine diesmal ungebrochen reale Abrechnung: Punk warf WWE neben vielen anderen Dingen vor, eine lebensbedrohliche Infektion unsachgemäß behandelt zu haben (was einen Gerichtsprozess mit WWE-Mediziner Chris Amann zur Folge hatte).
Seine auch durch diverse Kopfverletzungen geschädigte Gesundheit und sein Ärger über das fehlende letzte Quäntchen Erfolg bei WWE hätte ihm die Freude am Wrestling genommen.
Punk wandte sich vom Wrestling radikal ab
Was viele anfangs für dahingesagt hielten, war Punk bitterernst: Er wandte sich konsequent ab von der Leidenschaft, die sein Leben bestimmt hatte, brach zwischenzeitlich alle Kontakte mit Wrestling-Kollegen ab, selbst die langjährige Freundschaft mit Ex-Teampartner Colt Cabana endete im Streit um die Aufteilung von Gerichtskosten: Cabana, nun bei AEW wieder Kollege, war Moderator des Podcasts “The Art of Wrestling”, in dem Punk seine Vorwürfe gegen die WWE-Ärzte erhob - und wurde wegen seiner Verbreiterhaftung mitverklagt. Auch erste Avancen von AEW lehnte Punk 2019 recht unfreundlich ab.
Viele Kollegen und auch ein Teil der Fans nahmen Punk die radikale Abkehr von ihrer Welt und auch manch öffentliche Äußerung übel, etwa, dass er die Branche wiederholt als “Fake” bezeichnete, für viele in der Szene ein No-Go. Der Vorwurf von WWE-Star Roman Reigns, dass Punk schlicht “verbittert” sei: Er war zumindest bis vor einiger Zeit nicht unberechtigt.
Punk versuchte sich nach dem WWE-Aus erfolglos als realer Kämpfer bei der UFC, verdingte sich als MMA-Kommentator und Schauspieler.
Für die meisten Wrestling-Fans blieb Punk dennoch ein Mythos, der durch seinen Abgang nur größer wurde. Der Ruf “CM Punk! CM Punk!” wurde bei WWE-Shows zum Ritual und zum Synonym zum Unmut über alles, was Fans am Produkt missfiel - und zugleich zum Hoffnungsruf auf die Wiederkehr des verlorenen Sohns.
AEW überzeugte CM Punk nach anfänglicher Skepsis
Genau zu der ist es nun gekommen, nachdem sich schon in den vergangenen Jahren angedeutet hatte, dass Punk milder geworden war und ein Comeback nicht mehr ausgeschlossen hatte.
Als “Analyst” des WWE-Programms für die TV-Show Backstage tauchte Punk 2019 gar wieder im Umfeld des verhassten Ex-Arbeitgebers auf. Nach Punks eigenen Angaben war Co-Moderatorin Renée Paquette (Jon Moxleys Ehefrau, wohl auch bald bei AEW) durch ihr freundliches Wesen treibende Kraft hinter dem Engagement und auch hinter seiner Öffnung für eine Ring-Rückkehr - an der WWE jedoch aufgrund der verbrannten Brücken kein Interesse gehabt haben soll.
Von AEW-Boss Tony Khan ließ Punk sich nach anfänglicher Skepsis überzeugen, dass hinter der jungen Liga - demnächst wohl noch verstärkt mit Daniel Bryan, Bray Wyatt und Legende Ric Flair - Substanz und eine zu ihm passende Firmenkultur steckt. Punk würdigte unter anderem den Umgang der Liga mit der tödlichen Erkrankung von Brodie Lee Ende 2020 als Schlüsselmoment, der ihn beeindruckt hätte.
CM Punk scheint die Freude am Wrestling zurückgefunden zu haben - und ist erklärtermaßen gewillt, sie bei AEW vor allem zum Wohl der jungen Stars einzusetzen, wie Darby Allin, sein Premierengegner bei All Out am übernächsten Sonntag.
Die Sehnsuchtsfigur von Millionen Fans ist zurück, nun als realer Widerpart der WWE-Führung - die aktuell mehr denn je auf die von Punk und seiner Fanbase kritisierten Rezepte zu setzen scheint. Wo das hinführt: Das ist genau die spannende Frage, die gerade alle beschäftigt.