Sein Sieg wäre die größte Nachricht der WWE-Nacht gewesen, wenn die Umstände andere gewesen wären.
WWE: Big E lässt Kritik anklingen
Der Gewinn von Big E des Money-in-the-Bank-Matches bei der gleichnamigen Großveranstaltung in der Nacht zum Montag stand im Schatten der großen Rückkehr von Megastar John Cena - bei genauerer Betrachtung jedoch könnte der Durchbruch des „Powerhouse of Positivity“ für die Wrestling-Liga wichtiger werden als Cenas Comeback
Bei aller Fan-Euphorie ist zu beachten: Cena ist 44 Jahre alt und als Schauspieler in Hollywood mittlerweile so erfolgreich, dass er seiner Heimatbasis WWE nur noch für kurzfristige Programme zur Verfügung steht.
Langfristig muss WWE neue Topstars auswählen und entwickeln, auch mit Blick auf die härter werdende Konkurrenz durch den erstarkenden Rivalen AEW. Der 35 Jahre alte Big E ist in dieser Hinsicht ein heißer Kandidat, der zuletzt mehr und mehr angedeutet hat, dass in ihm noch viel ungenutztes Potenzial steckt - und der nach seinem großen Sieg auch Kritik anklingen ließ, dass dieses Potenzial nicht früher erkannt wurde.
„Mr. Money in the Bank“: Big E spielt sich in den Vordergrund
Big E steht schon seit 2009 unter WWE-Vertrag und seit 2012 im Hauptkader - seinerzeit eingeführt mit einer Attacke auf Cena, als Verbündeter von dessen Feinden Dolph Ziggler und AJ Lee. Big E war zuvor Champion bei NXT und hielt seitdem zweimal den sekundären Intercontinental Title, den größten Eindruck hinterließ er jedoch als Vollstrecker der Kult-Gruppierung The New Day.
Die 2014 zusammen mit Kofi Kingston und Xavier Woods gegründete Formation ist das Erfolgsprojekt, das seinerzeit die stagnierenden Karrieren aller drei Mitglieder auf ein neues Level hob. Auch außerhalb des Rings ist das kongenial unterhaltsame Trio zu guten Freunden geworden - ein Grund für die bei WWE ungewohnte Langlebigkeit der Gruppierung.
Im vergangenen Herbst beschloss die Promotion dennoch eine Aufteilung: Kingston und Woods wechselten als Tag Team zu der Montagsshow RAW, während Big E beim Freitagsprogramm SmackDown verblieb. Die von Tränen begleitete Trennung hat sich vor allem für Big E als Gelegenheit entpuppt, sich als Einzelwrestler in den Vordergrund zu spielen.
Vor WWE ein herausragender Powerlifter
Big E - geboren als Ettore Ewen in der Sportmetropole Tampa in Florida - ist ein für WWE-Verhältnisse unorthodoxer Big Man: Körperlich mit 1,80 Metern eher klein, ist er mit angeblich fast 130 Kilo umso massiger und kräftiger.
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Der Sohn eines aus der Karibik (Jamaika und Montserrat) in die USA eingewanderten Elternpaars war vor seiner Wrestling-Karriere ein herausragender Powerlifter, der diverse nationale Konkurrenzen gewann und Rekorde aufstellte: Ewen schaffte es, unter Wettbewerbsbedingungen bis zu 362,5 Kilogramm im Kreuzheben (Deadlift) zu stemmen (Bestleistungen im Kniebeugen 322,5 kg, Bankdrücken 240 kg).
Die Wrestling-Karriere eröffnete sich ihm durch eine Zufallsbekanntschaft, die ihn in Kontakt mit Ex-WWE-Kommentator und -Talentscout Jim Ross brachte. Ewen, der an der University of Iowa auch Footballer war, bestand ein Probetraining bei WWE und schaffte es, aus seinen athletischen Anlagen eine zeitgemäße Mischung aus Kraft und Explositivität im Ring zu kreieren.
Wissenswertes zum Thema Wrestling:
Big E zeigte immer wieder Haltung, auch unbequeme
Auch als Persönlichkeit ist Big E raumfüllend, seine oft ins Alberne driftenden Einlagen lenken dabei etwas davon ab, dass dahinter ein kluger Kopf und ein großes Herz steckt.
Big E ist - wie auch Kingston und Woods - sehr engagiert in der Black-Lives-Matter-Bewegung, im vergangenen Jahr trug das Trio die Protestbewegung nach dem Tod von George Floyd mit einer Take-a-Knee-Geste ins WWE-Programm und machte mit Gedenkarmbändern auch auf andere Fälle aufmerksam, in denen people of color unter verdächtigen Umständen zu Tode gekommen waren.
Auch den gemeinsamen Podcast mit Kingston und Woods nutzt Big E oft, um auf gesellschaftliche Themen aufmerksam zu machen, seine Haltung ist für WWE öfters auch mal unbequem: Für Aufsehen sorgte etwa die mit den New-Day-Kollegen veröffentlichte Distanzierung von der WWE-Begnadigung Hulk Hogans nach dessen Rassismus-Affäre 2018 oder auch ein heiß diskutierter Auftritt in der WWE-Talkshow Talking Smack im vergangenen Herbst.
Big E kritisierte dort offen, dass Partner Kingston elf Jahre auf seinen Main-Event-Push bei WrestleMania 35 warten musste und wie schnell er dann infolge der Demontage durch Brock Lesnar wieder fallen gelassen wurde. Big E sprach es nicht offen aus, aber er deutete recht klar eine rassistische Benachteiligung Kingstons an - während Gesprächspartner The Miz nicht zu bemerken schien, worauf Big E hinauswollte.
Tritt Big E in die Fußstapfen von The Rock?
Den WWE-Oberen um den mit Ex-Präsident Donald Trump gut befreundeten Vince McMahon kann dagegen kaum entgangen sein, was Big E ihnen sagen wollte - auch vor diesem Hintergrund wird spannend zu sehen sein, ob Big E nun den Aufstieg auf Hauptkampf-Niveau schafft und wenn ja, wie konsequent und nachhaltig.
In einem bemerkenswerten Siegerinterview nach Money in the Bank, in dem Big E hörbar aus dem Herzen und nicht nach Drehbuch spricht, merkt er selbst an, dass er sich nicht sicher sein kann, schon am Ziel zu sein - und platziert auch dort zwiespältige Untertöne: Er sei bei WWE öfters „frustriert“ gewesen, hätte Momente gehabt, „in denen ich nicht mehr zur Arbeit gehen wollte“. Ein größerer Durchbruch sei ihm lange nicht zugetraut worden, er wisse, dass er gegen das Brandmal ankämpfe, „nur“ ein Tag-Team-Wrestler zu sein und „nicht aufs nächste Level komme“. Er wolle das endlich hinter sich lassen.
Big E wäre der sechste afroamerikanische von über 60 Trägern eines großen Männertitels bei WWE - und nach Dwayne „The Rock“ Johnson und Kingston erst der dritte, der als Publikumsliebling definiert ist (Booker T, Mark Henry und der amtierende WWE-Champ Bobby Lashley errangen ihre Titel als böse „Heels“).
Trotz aller Bekenntnisse zur Vielfalt herrscht da ein Ungleichgewicht. Ein Ungleichgewicht, das Ettore „Big E“ Ewen nur zu gerne etwas ausgleichen würde.