Als Leistung auf „relativ bescheidenem Niveau“ bezeichnete DHB-Kapitän Johannes Golla das, was seine Mannschaft beim zweiten und letzten Härtetest vor dem WM-Start gegen Brasilien (28:26) über weitere Strecken abgeliefert hatte.
Deutschlands heimliche WM-Hoffnung
Vorne reihte sich Fehlwurf an Fehlwurf – größtenteils aus hervorragenden Positionen -, hinten schaffte es das deutsche Team zwar, die Angriffe der Brasilianer meist lange gut zu verteidigen. Irgendwann aber tat sich dann meist doch noch eine Lücke auf, in der ersten Halbzeit in der Regel durch Anspiele an den Kreis.
„Wir hatten zwölf Fehlwürfe aus sechs Metern in der ersten Halbzeit. Normalerweise gewinnt man so ein Spiel nicht mit dieser Quote“, stellte auch Trainer Alfred Gislason im Nachgang fest. Dem Isländer zufolge hat seine Mannschaft „ein Spiel gewonnen, in dem wir nur 15 Minuten besser waren“. Ermöglicht wurde diese gute deutsche Phase durch einen, der ansonsten beim Nationalteam nur selten in der ersten Reihe steht: Luca Witzke.
Der Noch-Leipziger - der 25-Jährige wechselt zur kommenden Saison zur SG Flensburg-Handewitt - durfte mit Beginn der zweiten Halbzeit erstmals auf das Spielfeld und ersetzte Leistungsträger Juri Knorr als Mittelmann. Den Vier-Tore-Rückstand zur Pause (13:17) konnte Deutschland in den ersten zehn Minuten immerhin halbieren (19:21) – auch dank drei Toren von Witzke.
Hervorragendes Zusammenspiel mit Knorr
Immer wieder versuchte sich der dynamische Rechtshänder, sein Tempo zu Nutze zu machen, attackierte die ungeordnete Defensive der Brasilianer früh im Angriff und weckte auch die Halle in Hamburg auf. Diese musste sich bereits auf eine verpatzte Generalprobe vor Beginn der Weltmeisterschaft einstellen. „Er hat es sehr gut gemacht, viel Verantwortung übernommen und gute Entscheidungen getroffen. Das brauchen wir“, schwärmte auch Nebenmann Julian Köster nach dem Spiel im Gespräch mit SPORT1.
In einem „hoffentlich langen Turnier brauchen wir jeden einzelnen Spieler“, erklärte Köster. „Es ist gut, wenn er so von der Bank kommt und so eine Power reinbringt.“ Denn nicht nur leistete Witzke als Torschütze (insgesamt vier Treffer) seinen Beitrag. Als Knorr nach rund 40 Minuten auf das Feld zurückkehrte, musste er nicht etwa wieder auf der Bank Platz nehmen, sondern rückte in den linken Rückraum.
Auch dort füllte er seine Rolle ausgezeichnet aus, wie auch Gislason feststellte: „Er wirklich sehr gut gespielt und uns sehr geholfen.“ Zusammen mit Knorr sei „viel mehr Druck in den Rückraum“ gekommen, „wir waren dann gefährlicher“. Mit dem Star von den Rhein-Neckar-Löwen bildete er ein explosives Duo, was auch dazu führte, dass der bis dahin blasse Renars Uscins besser ins Spiel kam. Uscins brachte Deutschland kurz vor Schluss erstmals seit der Anfangsphase wieder in Führung (27:26), Knorr setzte den Schlusspunkt.
Selbstbewusster Witzke spricht Warnung aus
Witzke selbst gab sich nach der finalen Sirene selbstbewusst, wollte seinen eigenen Anteil allerdings auch nicht überbewerten: „Ich weiß, was ich meiner Mannschaft geben muss“, sagte er bei SPORT1 und nannte die Deckung auf der Halbposition in der Defensive sowie Tempo im Angriffsspiel als entscheidende Faktoren. Er wolle „vorne einfach Struktur und Beweglichkeit reinbringen. Mit Juri haben wir viel Tiefe hinbekommen und die Abwehr tief gedrückt, wodurch Renars gute Schusssituationen hatte“.
Eine bevorzugte Rolle habe er nicht, hob das gute Zusammenspiel mit Knorr allerdings positiv hervor. Viel wichtiger ist es Witzke allerdings, dass das Team Erfolg hat. Eine Leistung wie gegen Brasilien werde bei der WM kaum reichen. „Wenn die Kleinigkeiten fehlen, haben wir ein Problem gegen jede Mannschaft. Das ist ein großes Thema, auch für die Vorrunde. Wir müssen von Anfang an da sein, auch wenn wir als Favorit in die Spiele gehen.“
Gislason: „Würde gegen Polen anders wechseln“
Die Chancen, dass Witzke beim WM-Auftaktspiel gegen Polen (Mittwoch um 20.30 Uhr im LIVETICKER) auf reichlich Einsatzzeit kommt, haben sich durch seinen Auftritt am Samstag definitiv erhöht. Er selbst will davon aktuell noch nichts wissen. „Die Mannschaft steht über allem. Wir spielen so, wie wir spielen müssen, um erfolgreich zu sein. Wenn das mit mir auf der Mitte ist oder mit Juri und mir auf der Bank oder uns beiden zusammen ist, dann ist das so.“
Auch Gislason deutete entsprechende Gedankenspiele zumindest an, als er erklärte, dass er beim WM-Auftakt „gegen Polen höchstwahrscheinlich ein bisschen anders wechseln würde“, als er das gegen Brasilien gemacht hatte. Dass Witzke einer derjenigen wäre, die von früheren Anpassungen im Spiel profitieren würden, ist naheliegend. Wenige Sätze zuvor hatte er diesen schließlich noch in den höchsten Tönen gelobt.