Die Experten waren sich vor dem Turnier allesamt einig: Der Titel bei der Handball-EM kann nur über Dänemark gehen, zu stark ist die Truppe von Nationaltrainer Nikolaj Jacobsen besetzt.
“Die beste Handballmannschaft der Welt“
Nach dem holprigen Auftakt in der Vorrunde befindet sich die Mannschaft mittlerweile voll in der Spur, zum ersten Mal seit 2012 wieder Europameister zu werden.
„Es ist im Moment die beste Handballmannschaft der Welt“, meinte der Norweger Alexandre Blonz nach der 23:29-Niederlage gegen den skandinavischen Rivalen, der damit in die Hauptrunde einzog.
Dänemark und der Traum vom EM-Titel
Diese Aussage ist nicht sonderlich überraschend. Im vergangenen Jahr gelang den Dänen als erste Nation der historische Titel-Hattrick bei der WM, weswegen sie auch im diesen Jahr auch wieder als heißester Titelanwärter gelten.
Dabei lief es in den vergangenen Jahren nicht wie gewünscht. 2018 und 2022 verloren sie jeweils im Halbfinale, 2020 erlitten sie gar ein blamables Vorrunden-Aus.
Dementsprechend ging die Handball-Nation mit viel Wut im Bauch ins Turnier. Schließlich ist es für einige Stars wie Mikkel Hansen oder Niklas Landin, die sich bereits im Herbst ihrer Karriere befinden, vielleicht die letzte Möglichkeit, sich nochmal EM-Gold zu sichern.
In der Vorrunde verlief es schon richtig gut. Sie dominierten gegen Tschechien, Griechenland und Portugal - der knappste Sieg war der 23:14-Sieg zum Auftakt gegen Tschechien. „Wir haben viele richtig gute Chancen liegen gelassen“, monierte Hansen im Anschluss bei SPORT1.
Zweite Reihe von Dänemark glänzt bei Handball-EM
Doch die dänische Mannschaft konnte sich auf einen Mann verlassen: Emil Nielsen. Die eigentliche Nummer zwei im dänischen Tor wurde zum absoluten Matchwinner, denn er parierte unglaubliche 72 Prozent aller Würfe - eine schier unmenschliche Leistung!
Im zweiten Spiel gegen die Griechen war es dann erneut ein Mann aus der zweiten Reihe, der vorweg marschierte. Michael Damgaard traf zehnmal ins gegnerische Gehäuse, nachdem er zwei Tage zuvor nur spärlich eingesetzt worden war. Auch auf Emil Madsen mit sieben und Aaron Mensing mit fünf Buden war Verlass, obwohl beide im ersten EM-Spiel gar nicht berücksichtigt worden waren.
Es zeigt die große Stärke dieser Mannschaft: Sie verfügt über enorm viele Ausnahmekönner. So kommt es, dass Stars wie Lasse Andersson, Jacob Holm oder Kevin Möller nur von der Couch zuschauen können - in anderen Ländern wären sie hingegen sicher in der Startformation gesetzt.
„Da würde selbst die zweite Mannschaft um den Titel spielen, sie haben eine unfassbare Qualität in der Breite“, erklärte Ex-Nationalspieler Stefan Kretzschmar dem SID.
Diese Kadertiefe erlaubt es Jakobsen, die Belastung seiner Spieler zu steuern. Hansen kam so gegen Norwegen nur für die Siebenmeter aufs Feld und wurde in der Vorrunde wegen einer kleinen Finger-Verletzung sogar für eine Partie geschont.
Gidsel bald auch MVP bei der EM?
Für einen Mann gilt dies jedoch nicht: Matthias Gidsel. Er hat bisher die meisten Einsatzminuten in seinem Team abgespult, doch wirklich anzumerken ist dem Spieler der Füchse Berlin diese Belastung nicht.
Mit 42 Toren ist er nach sechs Spielen der zweitbeste Torschütze der EM. Beeindruckend ist seine Wurfeffektivität. 82 Prozent seiner Würfe landen im gegnerischen Tor - ein irrer Wert für einen Rückraum-Shooter wie ihn! Selbst für einen Außenspieler, die meist hochprozentige Würfe bekommen, wäre diese Quote ein Top-Wert.
Doch der MVP der vergangenen Weltmeisterschaft besitzt auch ein gutes Auge für seinen Nebenmann. 26 Assists stehen bei ihm zu Buche - und das, obwohl er nur auf Halbrechts spielt. „Ich habe das Gefühl, dass ich derzeit den Handball meines Lebens spiele“, sagte der 24-Jährige selbst im dänischen Radio.
In dieser Form kommt er seinem dritten MVP-Titel immer näher. Schließlich wurde er auch schon bei den Olympischen Spielen 2021 zum besten Spieler des Turniers gewählt, sodass ihm diese Auszeichnung nur noch bei der EM fehlt.
Starke Keeper halten Dänemark den Rücken frei
Möglicherweise macht ihm diesen Titel aber noch ein eigener Spieler streitig. Schließlich ist auch Nielsen in herausragender Form. Zwar hat er noch nicht so viele Paraden auf dem Konto wie der deutsche Torwart-Riese Andreas Wolff, doch seine Quote ist sensationell.
Der Keeper, der beim FC Barcelona unter Vertrag steht, hält knapp 41 Prozent aller Chancen - absolute Weltklasse. Damit rüttelt er am Rekord, den derzeit noch Darko Stanic innehat.
Die Fans honorierten die Leistungen von Nielsen in Hamburg bereits mit starken „Emil, Emil, Emil“-Sprechchören. So auch jüngst wieder beim Spiel gegen Norwegen, als er mit 15 Paraden das Tor zunagelte. „Das war verrückt. Wenn ich nur daran denke, bekomme ich Gänsehaut“, schilderte er dem dänischen Sender TV2.
Bei all diesen Jubelhymnen für den EM-Debütanten wird gerne sein routinierter Kollege vergessen. Dabei weist Landin mit 38 Paraden und einer Quote von 34,23 Prozent ebenfalls starke Zahlen auf. Nach seiner Einwechslung zur zweiten Hälfte im Duell mit den Niederlanden avancierte er mit acht parierten Würfen zum Matchwinner für den letztlich klaren 39:27-Erfolg.
Dänemark droht: Wird Weltmeister für DHB-Team zum Stolperstein?
Diese Leistungen stehen immer unter einem Motto. „Das Ziel ist zu 100 Prozent, die Europameisterschaft zu gewinnen“, formulierte Gidsel bereits vor dem Turnier die Maßgabe seiner Mannschaft.
Wirklich gefährlich auf dem Weg zum Titel konnte ihnen bisher nur Schweden werden. Der Titelverteidiger hatte den Rivalen am Rande der Niederlage, letztlich musste er sich aber, auch wegen zwei umstrittenen Schiedsrichter-Entscheidungen, mit 27:28 geschlagen geben. „Am Ende brauchten wir Glück, und das hatten wir“, meinte der dänische Linksaußen Emil Jakobsen im Anschluss zu handball-world.
Aus deutscher Sicht mag man hoffen, dass dieses Glück bereits aufgebraucht ist. Schließlich würde die Truppe von Bundestrainer Alfred Gislason im Falle eines Halbfinaleinzugs auf Dänemark treffen.
Dort will Jakobsen seine Gegner vor neue Probleme stellen. Nach einem trainingsfreien Montag, den die Mannschaft zur Regeneration nutzte, will er im abschließenden Gruppenspiel gegen Slowenien (Di., ab 18 Uhr im LIVETICKER) neue taktische Mittel ausprobieren. „Wir haben ein Sieben-gegen-Sechs-Spiel, das wir lange geübt, aber noch nicht in Aktion gesehen haben, weil wir es noch nicht brauchten“, meinte der dänische Trainer zu TV2.
Es klingt fast schon wie eine Drohung, denn schon jetzt gibt es kaum ein Mittel, um die Dänen über 60 Minuten zu stoppen.