Es war ein bezeichnendes Bild, das sich den Zuschauern nach Portugals überragendem 6:1-Erfolg im WM-Achtelfinale über die Schweiz bot. (NEWS: Ronaldo auch gegen Marokko auf der Bank!)
Wie unrühmlich wird Ronaldos Abgang?
Die Mannschaft machte sich soeben in die Fankurve auf, um den Kantersieg gebührend zu feiern. Nur einer spielte nicht mit. Ausgerechnet Kapitän Cristiano Ronaldo war mit großem Abstand vorneweg gestiefelt, klatschte kurz dem Anhang zu und verschwand alleine in die Katakomben, ohne mit seinen Teamkollegen zu feiern.
Manch einer dürfte beim Anblick dieses Frust-Abgangs ein Déjà-vu gehabt haben. Hatte CR7 doch nur wenige Wochen zuvor mit einer ähnlichen Aktion bei seinem Klub Manchester United für ordentlich Wirbel gesorgt. Beim 2:0-Sieg über die Tottenham Hotspur war Ronaldo noch vor dem Schlusspfiff beleidigt in die Katakomben verschwunden.
Trauriger Abgang einer United-Legende
Es sollte der Anfang vom Ende bei United für CR7 gewesen sein. Die übereilte Flucht war nämlich nur das i-Tüpfelchen eines länger schwelenden Zwists mit Coach Erik ten Hag.
Der Niederländer traute sich nämlich als erster Trainer in Ronaldos Laufbahn, den Portugiesen regelmäßig auf die Ersatzbank zu setzen. Für den eitlen Superstar eine Majestätsbeleidigung.
Das machte er auch in einem äußerst bizarren wie langen Interview mit Journalist und Freund Piers Morgan deutlich, das kurz vor der Weltmeisterschaft erschien. Ronaldo schaffte es dabei, in anderthalb Stunden jedem die Schuld an seiner verfahrenen Situation bei United zu geben - mit Ausnahme von sich selbst.
Ronaldo enttäuscht bei der WM
Der Zweck des Interviews wurde damit freilich erfüllt: Die Red Devils lösten den Vertrag mit dem 37-Jährigen auf und dürften darüber alles andere als unglücklich gewesen sein (Hammer um Cristiano Ronaldo! Manchester United trennt sich von Superstar).
Auch Ronaldos Absicht war wohl offensichtlich: Bei der WM glänzen wie zu besten Zeiten, um sich noch einmal für einen Vertrag bei einem europäischen Spitzenklub zu empfehlen. Dieses Vorhaben scheiterte bislang jedoch krachend.
CR7 stand zwar bei allen drei WM-Gruppenspielen in Portugals Startelf, wusste jedoch nicht zu überzeugen. Dank eines höchst umstrittenen Elfmeters konnte der Angreifer immerhin gegen Ghana einen Treffer erzielen.
Auch Santos demontiert Ronaldo
Im letzten Gruppenspiel gegen Südkorea, als die Portugiesen das Achtelfinal-Ticket schon sicher in der Tasche hatten, sorgte Ronaldo für einen erneuten Aufreger. Trainer Fernando Santos wagte es, in der 65. Minute den Leipziger André Silva für CR7 einzuwechseln.
Letzterer zeigte sich wenig begeistert und schimpfte wie ein Rohrspatz. Wohl auch dieser Eklat dürfte dazu geführt haben, dass Santos im Achtelfinale gegen die Schweiz einen bemerkenswerten Wechsel vornahm. Zum ersten Mal seit 18 Jahren musste Portugals Kapitän bei einem großen Turnier auf der Ersatzbank Platz nehmen.
Und zum ersten Mal bei dieser WM brillierten die Portugiesen und spielten sich in einen regelrechten Rausch. Bester Akteur war dabei ausgerechnet der Ronaldo-Ersatz Goncalo Ramos, dem drei Tore gelangen.
Angesichts des starken Auftritts war es wenig überraschend, dass Santos auch im Viertelfinale gegen Marokko wieder auf Ronaldo in der Startelf verzichtete. Das Problem ist: Ronaldo selbst sieht sich wohl nach wie vor noch als einen der Besten seiner Zunft.
CR7 nur noch abseits des Rasens Hauptdarsteller
So kam es, dass trotz der Achtelfinal-Gala seiner Kollegen am Ende wieder der Superstar im Mittelpunkt stand. Zu seiner voreiligen Flucht aus dem Innenraum gesellte sich ein angeblicher Streit mit Trainer Santos und eine Trainingsverweigerung.
Nachdem Ronaldo von seinem Trainer informiert wurde, dass er gegen die Schweiz nicht in der Startelf stehen würde, soll der Kapitän damit gedroht haben, aus Katar abzureisen. Ronaldo und der portugiesische Fußballverband dementierten die Darstellung zwar, gänzlich unvorstellbar erscheint solch ein Szenario trotzdem nicht.
Santos verteidigte Ronaldo unterdessen nach dem Wirbel der vergangenen Tage. „Lasst ihn in Ruhe, das hat er nicht verdient nach allem, was er für den portugiesischen Fußball getan hat“, sagte der 68-Jährige. „Er hat mir zu keinem Zeitpunkt gesagt, dass er die Mannschaft verlassen wird.“
Sonderbehandlung für Ronaldo
Doch damit nicht genug: CR7 soll auch das Training mit den Reservisten am Tag nach dem Schweiz-Spiel verweigert haben und stattdessen mit den Stammspielern trainiert haben, obwohl er gegen die Schweiz erst in der 74. Minute eingewechselt wurde.
Zudem wurde ein weiteres Detail bekannt, das für Risse im portugiesischen Team sorgt. Wie die portugiesische Zeitung Record berichtet, seien Ronaldos Teamkollegen zunehmend verwundert, beziehungsweise verärgert darüber, dass in Ricardo „Ricky“ Regufe der persönliche Assistent von CR7 Teil der Delegation in Katar ist.
Was den Riss im Team zwischen CR7 und dem Rest der Gruppe zudem befeuere: Keinem anderen Spieler wurde es erlaubt, Gäste mit in Portugals Trainingszentrum zu bringen.
Rückhalt in der Heimat schwindet
Auch in Portugal wird das Verhalten von Ronaldo immer kritischer gesehen.
Duarte Monteiro, Journalist bei den portugiesischen Plattformen zerozero und ElevenSports ordnete die Situation bei SPORT1 ein: „Noch vor der Partie gegen die Schweiz gab es in einer der größten Sportzeitungen in Portugal - der A Bola - eine Umfrage. 70 Prozent der Leser waren der Meinung, dass Ronaldo nicht von Beginn an spielen sollte.“
Der Reporter bilanzierte: „Dieses Ergebnis zeigte schon vor dem Anpfiff, wie das Land und die Fans CR7 generell gegenüberstanden. Es ist tatsächlich ein Niedergang - und zwar kein schöner. Er ist selbst verschuldet!“ Das Verhalten des Superstars bezeichnete Monteiro als „arrogant und lächerlich“.
Monteiro forderte knallhart nach dem Einzug ins Viertelfinale: „Ronaldo muss seinen Stammplatz in der Nationalmannschaft abgeben. Da kommt er nicht mehr drumherum, außer er und Nationaltrainer Fernando Santos wollen definitiv ihre Glaubwürdigkeit verlieren.“
Denn für Monteiro ist klar: „Diese Generation um Bernardo Silva, Bruno Fernandes, João Félix oder Rafael Leão hat Weltklasse-Potenzial. Sie spielen besser ohne CR7 und zeigen, dass sie auch ohne ihn das Zeug für große Titel haben. Ich sage es eindeutig: Portugal kann den Titel eher ohne als mit CR7 gewinnen!“
Ronaldo entscheidet über sein Vermächtnis
Ronaldo, zweifellos jetzt schon eine lebende Fußball-Legende, steht nun vor der Wahl. Noch kann er sich erhobenen Hauptes von der Fußball-Bühne verabschieden.
Dazu müsste Ronaldo seine Reservisten-Rolle annehmen und sich eines Kapitäns würdig erweisen, indem er seine Mitspieler bedingungslos unterstützt - so wie im EM-Finale 2016, als er frühzeitig verletzt ausgewechselt wurde und Portugal schließlich den Titel holte.
Ronaldo hat es selbst in der Hand. Er wird darüber entscheiden, wie die Fußball-Welt einen der größten Spieler aller Zeiten in Erinnerung behält.