Die Deutsche Nationalmannschaft hat definitiv ihre Schwachstellen. Die Probleme auf den Außenverteidiger-Positionen sind vor dem Testspiel in Wien gegen Österreich (ab 20.45 Uhr im LIVETICKER) bekannt, aber auch im Mittelfeld und Sturm offenbaren die Spieler das eine oder andere Defizit.
Das große DFB-Rätsel
Schwächen, die sie in ihren Klubs allerdings nur selten zeigen.
Sieht man sich die Aufstellung gegen die Türkei an, so fällt ins Auge, dass alle zehn Feldspieler eine tragende Rolle in einem der vier deutschen Top-Teams (FC Bayern, BVB, Bayer 04 und RB Leipzig) spielen oder aber bei einem internationalen Spitzenklub wie Arsenal, Barcelona oder Real Madrid unter Vertrag stehen.
Was die individuelle Stärke angeht, sind Nationen wie Frankreich und England derzeit besser aufgestellt. Dennoch müssen auch vom DFB-Team Siege gegen Mannschaften wie die Türkei, Polen, Kolumbien oder Japan zugetraut werden. Keines dieser Spiele konnte das DFB-Team gewinnen.
Torhüterposition: Ter Stegen und Neuer im DFB-Team nicht auf Top-Niveau
Das Problem zeigt sich unter anderem auf der Torhüterposition. Manuel Neuer führte die Bayern zu Meisterschaften in Serie, gewann mit ihnen 2020 zum zweiten Mal die Champions League. Bei den letzten Turnieren mit dem DFB-Team aber, egal ob EM oder WM, konnte er nicht immer vollends überzeugen.
Auch ter Stegen hält seit Jahren auf Klub-Ebene beim FC Barcelona überragend, zählt aktuell zu den besten Keepern. Im Nationalteam hat er sich aber auch den einen oder anderen Fehler erlaubt - und fehlt aktuell verletzt.
Calmund kritisiert Abwehr: „Da hinten ist Schauspiel angesagt“
Noch deutlich krasser fallen diese Leistungsunterschiede in der Abwehr auf. Antonio Rüdiger zählte in den letzten Jahren bei Real und vor allem beim FC Chelsea zu den Top-Verteidigern Europas. In der Nationalmannschaft führt er zwar die Rolle eines Leaders aus, neigt aber auch zu Unsicherheiten.
Nico Schlotterbeck wurde zuletzt nicht einmal mehr nominiert. Lediglich Jonathan Tah und Mats Hummels kamen jüngst zumindest in die Nähe ihrer Klub-Leistungen.
„Wenn ich an unsere Innenverteidigung früher denke: Da war Blut am Schuh! Das sehe ich nicht, da hinten ist Schauspiel angesagt, aber ich brauche doch Klarheit. Aber im Verband liefern sie nicht ab“, ging auch Reiner Calmund im STAHLWERK Doppelpass bei SPORT1 hart mit der Innenverteidigung ins Gericht.
Auf der Außenverteidiger-Position gibt es auf dem Papier vielleicht keine absoluten Top-Leute, jedoch ständen auch hier mit Benjamin Henrichs und David Raum zwei Spieler zur Verfügung, die bei einem Top-Klub wie RB Leipzig nicht nur gesetzt sind, sondern auch starke Leistungen zeigen. Während Henrichs einige Lichtblicke verzeichnet, ist Raum nach einigen enttäuschenden Länderspielen gefühlt außen vor.
Viele Achter, wenige Sechser: Fußball-Deutschland stellt sich System-Frage
Während die Probleme auf den Außenverteidiger-Positionen noch halbwegs nachvollziehbar sind, fallen die Fragezeichen im Mittelfeld schon größer aus. Ilkay Gündogan zählt im Vereinsfußball seit Jahren zur absoluten Spitze. Auch Joshua Kimmich und Leon Goretzka zeigen im Bayern-Trikot regelmäßig Top-Leistungen.
Dass Namen wie Pascal Groß überhaupt diskutiert werden, liegt vor allem daran, dass das Dreigespann seine Leistungen zu selten abrufen kann. Gündogan spielt solide bis gut, verkörpert jedoch nicht den Anführer, der er bei Manchester City jahrelang war.
Goretzka hat im DFB-Team seit seiner Nichtnominierung im September an Standing verloren und strahlte auch nach seiner Einwechslung gegen die Türkei nicht die Dominanz und Präsenz aus, die er in München zuletzt wieder an den Tag legen konnte.
Stefan Effenberg stellte im STAHLWERK Doppelpass daher die Systemfrage und sieht beim DFB-Team das Problem, dass sich die Spieler nicht ausreichend einspielen können.
“Ist es überhaupt das richtige System und die richtige Taktik, ein 4-2-3-1 oder mit der Dreierkette im Spielaufbau? Oder ist ein Sechser vor der Abwehr nicht doch besser? Dann hast du zwei freie Achter-Plätze für zum Beispiel Gündogan und Musiala, und Kimmich kann dann Sechser spielen. Ich glaube, wir sind ganz weit weg davon, dass sich die Nationalmannschaft eingespielt hat oder eine Achse hat“, bemängelte er.
Es benötige eine klare Rollenverteilung, an die sich die Akteure halten. Erst dann können sie ihre gewohnten Leistungen abrufen.
Offensive phasenweise zu ungefährlich: Sané und Wirtz fehlt die Konstanz
Die Offensive wird bei den Diskussionen über die Probleme der Nationalmannschaft immer ein wenig außen vor gelassen. Dies ist aber auch nur zum Teil nachvollziehbar. Florian Wirtz hat sich auf Klub-Ebene als Top-Zehner etabliert, lässt seine genialen Fähigkeiten im DFB-Team aber nur punktuell aufblitzen.
Ähnlich verhält es sich bei Leroy Sané. Rackert dieser beim FC Bayern immer häufiger über 90 Minuten und fungiert als dauernder Unruheherd, war davon gegen die Türkei nur in den ersten 15 Minuten etwas zu sehen.
Schwächeln Wirtz und Sané, fehlt es schlichtweg an offensiver Gefahr. Dies war auch gegen die Türkei zu sehen. „Erkläre mir mal, wo die acht hundertprozentigen Torchancen waren, wie Nagelsmann bei der PK gesagt hat?! Da waren ein, zwei dabei“, kritisierte Effenberg die mangelnde Offensiv-Performance.
Füllkrug liefert ab: DFB-Team lässt Wir-Gefühl vermissen
Keine Kritik scheint hingegen auf der Mittelstürmer-Position angebracht. Niclas Füllkrug ist kein Weltklasse-Stürmer, knipst im DFB-Team aber sogar verlässlicher als im Verein und bringt zudem Mentalität in die Truppe.
Genau an dieser scheint es so vielen seiner Kollegen zu fehlen, wenn es zur Nationalmannschaft geht. „Die Namen sind das Eine, aber der Zusammenhalt ist das Andere. Wenn du siehst, wie die Türken nach jedem Tor jubeln, dann merkst du, wie die das als Team tun - da kommt die gesamte Ersatzbank zusammen“, verdeutlichte Effenberg die Unterschiede.
Fehlt also nicht nur auf der Tribüne die Begeisterung für das DFB-Team, sondern auch bei den Spielern selbst? Wenn Nagelsmann von einem „mangelnden Emotionsniveau“ spricht, müssten sich zumindest einige Akteure diesbezüglich hinterfragen.
Kann Müller das Team nach vorne pushen?
Das DFB-Team braucht Spieler, die für die Einsätze brennen. Nur dann können auch die Leistungen stimmen. Doch wer könnte dem Team einen entscheidenden Push verpassen? Die Antwort auf diese Frage könnte theoretisch Thomas Müller lauten. Dieser durfte gegen die Türkei aber keine Minute spielen.
„Wenn du Führungsspieler sein willst, musst du von Anfang an spielen, das geht nicht, wenn du auf der Bank sitzt“, bemängelte Effenberg. Müller ist definitiv ein Akteur, der seine Mitspieler besser machen kann, sofern er auf dem Platz steht.
Ob mit oder ohne Müller: Gegen Österreich haben die deutschen Nationalspieler die nächste Chance, zu zeigen, dass sie ihre Klub-Leistungen auch im DFB-Trikot abrufen können.