Es wäre vieles anders gelaufen, wenn Ralf Rangnick den Anruf bekommen hätte, um den er am 10. März 2021 offensiv gebeten hatte.
Ein historischer Irrtum des DFB?
Deutscher Bundestrainer? Das sei natürlich „eine Stelle, die niemanden in Deutschland kaltlässt“, sagte er damals bei Sky. Er für seinen Teil sei „frei“, könne sich „grundsätzlich alles vorstellen“, natürlich auch den Job beim DFB: „Ich würde abheben und mir das anhören.“
Es kam bekanntlich nicht dazu, dass Rangnick Nachfolger des damals zurückgetretenen Joachim Löw wurde. Mehr noch: Die damalige Verbandsführung um Ex-Präsident Fritz Keller meldete sich damals nicht mal bei dem prominenten „Free Agent“.
Rangnick wurde stattdessen Bundestrainer des Nachbarlands Österreich - und formte dort ein schlagkräftiges Team, das am Mittwoch auch Löws Nach-Nachfolger Julian Nagelsmann in die Sinnkrise stürzte.
War es ein historischer Fehler, Rangnick damals nicht mal anzuhören?
DFB ließ Option Ralf Rangnick unbesehen liegen
Natürlich: Niemand weiß, wie genau sich die Dinge entwickelt hätten, hätte der DFB damals einen anderen Kurs gewählt. Aber eine Kuriosität ist es schon, dass der Verband die Option Rangnick unbesehen liegen ließ.
Zur Erinnerung: Der heute 65-Jährige befand sich damals zwischen seinem langjährigen Wirken als Gestalter bei RB Leipzig bzw. dem Fußball-Kosmos Red Bull und seinen späteren Engagements bei Lokomotive Moskau und Manchester United. Beim DFB ging es damals darum, das Erbe von Löw zu regeln, nachdem der seinen Rückzug nach der EM 2021 angekündigt hatte.
Die Wahl fiel bekanntlich auf Hansi Flick - was aus damaliger Perspektive wenige Insider verwunderte: Löws ehemaliger Assistent, der mit dem FC Bayern weniger als ein Jahr zuvor das Triple gewonnen hatte, versprach einen geschmeidigen Übergang in eine neue Erfolgs-Ära.
Rangnick dagegen? Versprach eher Unruhe in die DFB-Zentrale in Frankfurt zu bringen.
War Rangnick den Verantwortlichen zu unbequem?
Wer den Karriereweg des früheren Hoffenheim-, Schalke- und RB-Coachs kennt, weiß: Der hochtourige Fußballdenker aus Backnang bei Stuttgart ist ein profilierter Macher - aber er war vor allem dort erfolgreich, wo er Strukturen nach eigenen Vorstellungen umwerfen oder von Grund auf neu aufbauen konnte.
Beim DFB – so ahnten Eingeweihte schon damals – würde ein Bundestrainer Rangnick mit seinem weitreichenden Gestaltungsanspruch und seiner fordernden Art eher Ängste als Begeisterung auslösen.
Und es hätte wohl auch viel Konfliktpotenzial mit dem damals noch amtierenden DFB-Manager Oliver Bierhoff gegeben. Auch wenn Rangnick damals öffentlich bekundete: „Ich könnte mir vorstellen, dass eine Zusammenarbeit mit Oliver Bierhoff sehr fruchtbar wäre.“
Umgekehrt galt das offensichtlich nicht im gleichen Maße: Rangnick bekam die kalte Schulter gezeigt. Rangnick landete stattdessen ein Jahr später beim ÖFB. Und anders als die Personalie Flick für den DFB entwickelte sich die Entscheidung für Rangnick in Österreich zur Erfolgsgeschichte.
Österreich spielt erfolgreichen Rangnick-Fußball
Rangnick - durch seine Zeit bei Red Bull mit der Firmenfiliale Salzburg schon wohlvertraut mit dem Fußball in der Alpenrepublik - führte David Alaba und Co. nicht nur zur erfolgreichen EM-Qualifikation.
Der „Fußball-Professor“ schürte auch Fan-Euphorie und stärkte die Identität des ÖFB-Teams, indem er ihr den typischen, offensiven Rangnick-Fußball mit hohem Pressing verordnete. Dass viele seiner Schützlinge in Salzburg von dieser Spielidee geprägt worden sind, war nicht zu seinem Schaden.
Wie gut Rangnick und Österreich zusammenpassen, bekam der einst sowohl in Hoffenheim als auch in Leipzig unter ihm arbeitende Nagelsmann am Mittwoch schmerzhaft zu spüren.
Mitleid mit Nagelsmann? „Dafür ist kein Platz“
Schadenfreude über den Lauf der Dinge ließ sich Rangnick nach dem Spiel nicht anmerken, Mitleid mit dem DFB-Team und dem Weggefährten Nagelsmann empfindet er allerdings auch nicht.
„Dafür ist kein Platz, das ist auch das Letzte, was ein Trainer haben möchte“, sagte Rangnick bei der Pressekonferenz nach dem Spiel.
Der ÖFB-Coach machte dem Nachbarverband stattdessen Mut, dass mit Blick auf die Heim-EM in sieben Monaten nichts verloren sei - wenn Nagelsmann die richtigen Schlüsse ziehe.
„Deutschland hat genug Einzelspieler-Qualität“, erklärte Rangnick: „Am Ende ist es ein Mannschaftssport. Und Julian ist trotz seiner Jugend erfahren und clever genug, in den letzten vier Testspielen noch an den richtigen Stellschrauben zu drehen.“