Christoph Baumgartner ist nicht nur Fußballprofi, der 24-Jährige blickt auch über den Tellerrand hinaus. Sportlich wagte der österreichische Nationalspieler im vergangenen Sommer den Wechsel von der TSG Hoffenheim zu RB Leipzig.
RB-Star: Kimmich „einer der Besten“
Vor dem Länderspiel zwischen Österreich und Deutschland am Dienstag (ab 20.45 Uhr im LIVETICKER) spricht Baumgartner im exklusiven SPORT1-Interview über seinen neuen Verein, seine Stiftung in Uganda, Österreichs Teamchef Ralf Rangnick - und erinnert sich gerne an die Zeit unter Julian Nagelsmann zurück.
Baumgartner: „Ich wollte etwas Neues machen“
SPORT1: Herr Baumgartner, wie war die erste Zeit bei RB Leipzig?
Christoph Baumgartner: Ich hatte anfangs einige muskuläre Probleme, die mich zurückgeworfen haben. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich immer Vollgas geben möchte. Und gerade, wenn du neu bei einem Verein bist, willst du dich zeigen. Nun bin ich fit und kann auch von Beginn an spielen. Ich bin jetzt im Kopf frei und muss mir keine Sorgen machen, wenn ich auf den Trainingsplatz gehe. Schön, dass ich auch im letzten Spiel gegen Freiburg getroffen habe und die letzten Wochen generell immer besser liefen.
SPORT1: Warum haben Sie Hoffenheim im Sommer eigentlich verlassen? Sie waren dort sehr erfolgreich und wurden zum Nationalspieler.
Baumgartner: Ich stelle immer die höchstmöglichen Ansprüche an mich selbst. RB Leipzig ist ein Verein, der seit vielen Jahren gezeigt hat, was möglich ist: In den vergangenen beiden Spielzeiten wurden zwei Titel gewonnen. Leider ist jetzt der Pokal schon weg, aber der Verein hat dennoch unglaubliches Potenzial. Und der Spielstil liegt mir. Es ist ein extrem ambitionierter Verein, das gefällt mir. Man ist nie zufrieden. Ich denke, es ist ein gutes Match zwischen RB und mir. Ich werde aber nie ein schlechtes Wort über Hoffenheim verlieren. Es war eine wunderbare Zeit, und ich bin dem Klub überaus dankbar. Aber ich wollte etwas Neues machen, um mich weiterzuentwickeln.
Baumgartner fördert Hilfsprojekt in Uganda
SPORT1: Kurz weg vom Fußball: Wie entwickelt sich Ihr soziales Engagement in Uganda?
Baumgartner: Absolut positiv. Seit über einem Jahr sind wir da sehr engagiert und haben inzwischen schon einiges auf die Beine gestellt. Wir sind mit einer Ausbildungs-Schule in Uganda für junge Frauen, die es nicht immer leicht hatten, gestartet. Das sind unter anderem Frauen, die früh schwanger geworden sind und keine Ausbildung haben. Wir haben in der Folge ebenso Lehrkräfte eingestellt, die für die Kinder da sind, damit sie parallel zu den Eltern etwas lernen können. Sie werden auch mit Essen versorgt. Ich bin sehr zufrieden und stolz, was wir da schon erreicht haben.
SPORT1: Sie sind der etwas andere Profi, der gern über den Tellerrand hinaus blickt ...
Baumgartner: Es gibt weitaus wichtigere Dinge im Leben als Fußball. Und als Profi habe ich die finanziellen Möglichkeiten, um gewisse Dinge anzustoßen. Ich möchte gern in 30 Jahren zurückblicken auf das, was ich erreicht habe und wie ich das Leben von einigen Menschen habe ändern können. Mein Antrieb war aber nie, dass ich Lob dafür bekomme. Ich habe lange überlegt, ob ich mein Engagement in Uganda überhaupt öffentlich mache.
SPORT1: Während Ihrer Zeit bei Hoffenheim haben Sie nicht direkt in Heidelberg, wie viele Kollegen, sondern etwas außerhalb gewohnt. Ist das auch typisch für Sie?
Baumgartner: Ja, ich brauche nicht den großen Trubel. Aufgewachsen bin ich in einem kleinen Dorf, direkt vor meiner Haustür erstreckte sich der Wald. Die Natur gibt mir unheimlich viel Kraft. In meiner Freizeit genieße ich es sehr, in der Natur zu sein, mit meiner Freundin und unserem kleinen Hund spazieren zu gehen. Das bedeutet mir sehr viel.
SPORT1: In Österreich fallen Sie dadurch auf, dass Sie für Ihr Alter sehr klar und reflektierend sind. Wie ist das als Profi? Heutzutage ist es fast gefährlich, wenn man als Fußballer die eigene Meinung sagt.
Baumgartner: Es kann schon gefährlich sein. Es ist aber auch so, dass ein großes Interesse an uns Fußballern und unserer Meinung herrscht – und ich will nicht ständig in meinen Antworten ausweichen. Ich gehe sicher nicht immer mit der Norm, aber man muss als Profi auch abwägen, wie wichtig es ist, seine Meinung sofort nach außen zu tragen. Ich versuche, einen guten Mittelweg zu finden.
SPORT1: Sie haben rund 27 Millionen Euro Ablöse gekostet. Ein ganz schöner Rucksack, wie gehen Sie damit um?
Baumgartner: Das muss man ein Stück weit differenzieren. Es gibt die Privatperson Christoph Baumgartner und den Fußballer Christoph Baumgartner. Für mich als Privatperson ist das eine unfassbare Summe und ich verstehe jeden, der sagt, dass keiner so viel Geld wert ist. Andererseits entwickelt sich der Profifußball immer weiter, und da ist diese Ablöse nichts Außergewöhnliches, weil ich ein junger Spieler bin und noch eine lange Vertragslaufzeit in Hoffenheim hatte. Bitte nicht falsch verstehen, es ist wirklich viel Geld. Ich versuche aber, diese Summe nicht als Rucksack zu sehen. Es ist eine Motivation für mich, etwas zurückzuzahlen.
Deutschland „war und ist eine Fußballnation schlechthin“
SPORT1: Die EM 2024 in Deutschland ist ein großes Thema in Österreich. Ihr seid dabei, wollt aber sicher nicht nur Touristen sein.
Baumgartner: Mit Sicherheit nicht. Aber das hat sich durch Ralf Rangnick auch geändert. Das beste Beispiel war das 1:1 gegen Frankreich, als wir spät den Ausgleich bekommen haben. Ralf Rangnick ging zum Interview und ihm wurde gratuliert. Doch er fragte nur: ‚Wozu gratulieren Sie mir? Es war nur ein Remis!‘ Vor zehn Jahren wären nach einem 1:1 gegen die Franzosen alle in Österreich durchgedreht (grinst). Das hat sich jetzt aber geändert. Wir wissen, was wir draufhaben. Wir können die besten Teams der Welt schlagen. Das haben wir auch schon gezeigt mit den Siegen gegen Italien und Kroatien. Aber wir sollten dennoch realistisch und demütig bleiben.
SPORT1: Wie sehen Sie die deutsche Nationalmannschaft?
Baumgartner: Ganz Fußball-Deutschland sehnt sich danach, dass die Nationalmannschaft wieder dahin kommt, wo man hingehört. Es war und ist eine Fußballnation schlechthin. Ich wünsche den Deutschen alles Gute, auch wenn ich das als Österreicher nicht sagen darf (lacht). Spaß beiseite. Ich habe eine Verbindung zu dem Land. Es gab auch Momente, als ich mit den Deutschen mitgefiebert habe, wenn wir nicht dabei waren. Die Heim-EM ist ein idealer Zeitpunkt für einen Neustart.
„Rangnick hat den österreichischen Fußball wach geküsst“
SPORT1: Unter Ralf Rangnick als Trainer ist das österreichische Nationalteam aufgeblüht. Es wird kein defensiver Angsthasen-Fußball wie früher gespielt.
Baumgartner: Ralf Rangnick hat den österreichischen Fußball wieder wachgeküsst. Bereits als er zum neuen Teamchef bestellt wurde, habe ich gesagt, dass es das Beste ist, was Österreich passieren kann. Und wenn man jetzt zurückblickt, dann ist es bislang so. Ralf Rangnick schaut auch über den Tellerrand hinaus und ist extrem erfolgshungrig. Er erwartet von jedem unheimlich viel und das tut Österreich gut. Denn traditionell sind wir sind schon immer mal zu schnell zufrieden (grinst).
„Deutschland muss immer um Titel mitspielen“
SPORT1: Sie haben in Hoffenheim unter Julian Nagelsmann in der Bundesliga debütiert. Heute ist er Bundestrainer. Wie haben Sie ihn damals wahrgenommen?
Baumgartner: Ich habe ein halbes Jahr unter ihm trainieren dürfen und zwei Spiele gemacht. Ich habe damals schon gemerkt, was für ein Fachmann er ist und was für eine Qualität er hat. Und er kann effektiv ins Spiel eingreifen. Er hat ein unfassbares In-Game-Coaching. Das unterscheidet Nagelsmann von vielen Trainern. Deutschland kann unter ihm wieder zu einer Fußball-Macht werden. Das traue ich Nagelsmann zu. Die Spieler dazu hat er. Deutschland muss meiner Meinung nach immer um Titel mitspielen.
SPORT1: Kam der Job des Bundestrainers für Nagelsmann nicht zu früh?
Baumgartner: Ich glaube nicht, dass es zu früh kommt, ich traue ihm den Job absolut zu. Bundestrainer zu sein ist ein unfassbar großer Job und dazu gehört mehr als die Arbeit auf dem Platz. Ich habe Julian zuletzt vor vier Jahren erlebt: Er ist jemand, der sehr gut reflektiert und ihm ist auch bewusst, was das für eine Aufgabe ist. Er weiß, was zu tun ist und was er vorhat mit der Mannschaft. Dennoch glaube ich, dass er irgendwann mit einem Verein die Champions League gewinnen will.
Baumgartner verteidigt Kimmich: „Einer der Besten“
SPORT1: Joshua Kimmich geriet zuletzt in die Kritik. Er will oft zu viel, lautet der Vorwurf. Ohne ihn würde es besser laufen, sagt etwa Dietmar Hamann. In Dortmund beim 4:0-Sieg der Bayern fehlte Kimmich.
Baumgartner: Ich habe schon einige Male gegen ihn spielen dürfen - auch in Eins-gegen Eins-Duellen, weil wir von der Position uns oft über den Weg laufen. Kimmich ist einer der besten Fußballer der Bundesliga. Er hat über viele Jahre überragende Leistungen für die Bayern gebracht. Er ist ein Sprachrohr und gibt das Tempo vor. Und er ist ein extrem unangenehmer Gegenspieler. Jo ist auch mal dreckig, aber im positiven Sinn. Als Gegenspieler kann es unangenehm werden. Er kann nicht verlieren. Ich bin ein Fan von Kimmich. Der FC Bayern kann froh sein, so einen Spieler in seinen Reihen zu haben.