Donezk, Málaga, Real Madrid: Jeder BVB-Fan weiß, was hinter diesen Namen steckt. Elf Jahre nach der magischen Champions-League-Saison 2012/13 bastelt die Borussia an einer eindrucksvollen Fortsetzung - diesmal mit der Formel Eindhoven, Atlético Madrid, Paris Saint-Germain.
Die ungeahnten BVB-Trümpfe
Kleiner Haken: Auf die Unterstützung von rund 80.000 frenetischen Anhängern können die Dortmunder anders als in den Rückspielen gegen Eindhoven und Atlético am Dienstagabend nicht bauen, müssen stattdessen im Rückspiel gegen PSG (21.00 Uhr im LIVETICKER) selbst im Hexenkessel des Pariser Parc des Princes bestehen.
Dafür aber hat der BVB zwei Trümpfe in der Hand, die nicht ganz so offensichtlich sind - und angesichts der oftmals berechtigten Kritik an einer zu häufig holprigen Saison durchaus überraschen.
Ob Dortmund für die großen Spiele gemacht sei, wurde Edin Terzic bei der Pressekonferenz am Montag gefragt. Seine Antwort fiel zwiegespalten aus: „Wir sind das Team in der Bundesliga, das gegen die Top-5-Teams die wenigsten Punkte geholt hat - aber in der Champions League haben wir bis jetzt einen fantastischen Job gemacht.“ Und das eben nicht nur im heimischen Signal Iduna Park, sondern auf bemerkenswerte Art und Weise vor allem auch in den Auswärtsspielen.
„Chamäleon“ Terzic: „Taktische Präzision“ und „Einfallsreichtum“
So bemerkenswert, dass die große französische Sporttageszeitung L‘Équipe dem Thema am Montagmorgen einen zweiseitigen Artikel unter der Überschrift „Das Chamäleon Terzic“ widmete. Besonders hervorgehoben wurden dabei seine „taktische Präzision“ und sein „Einfallsreichtum“ in Dortmunds Europapokal-Gastspielen - dabei ging Letzterer zum Auftakt der Gruppenphase in Paris noch mächtig in die Hose.
„Ich erinnere mich noch“, sagte Terzic am Montag an den neben ihm sitzenden Mats Hummels gerichtet, „da saßen wir vor dem Spiel, haben ganz viele Einzelgespräche geführt und hatten alle das Gefühl, der Plan wirkte ganz gut.“ Aber: Der BVB verlor im Parc des Princes mit 0:2, weil „in ganz vielen Bereichen der Mut fehlte“, wie es Terzic beschrieb.
Danach legte die Borussia jedoch eine bemerkenswerte Auswärtsserie hin: 1:0 in Newcastle, 3:1 bei Milan, 1:1 in Eindhoven. Erst im Viertelfinal-Hinspiel bei Atlético Madrid setzte es wieder eine knappe 1:2-Niederlage - genug, um das Duell im furiosen Rückspiel vor zwei Wochen noch drehen zu können.
BVB hatte häufig Glück des Tüchtigen
Deshalb hatte Terzic durchaus recht, als er vor dem nächsten schweren Auswärtsspiel in Paris davon schwärmte, „wie wir es vor einigen Wochen in München geschafft haben, wie wir es im St. James‘ Park geschafft haben in Newcastle, wie wir es im San Siro gegen Milan geschafft haben in einem schweren Auswärtsspiel. Da haben wir so viele gute Dinge gemacht in dieser Saison, deshalb wäre es schade, damit aufzuhören.“
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass der BVB des Öfteren auch das Glück des Tüchtigen hatte: Newcastle beispielsweise scheiterte gleich zweimal an der Latte - und Atlético hätte gut und gerne 3:0 oder 4:0 führen können, ehe die Dortmunder das Spiel nach der Pause enger gestalteten und in der Schlussminute beinahe noch ausgeglichen hätten.
Bekanntermaßen ist immer Glück dann aber irgendwann Können - und auch die Bundesliga-Tabelle bestätigt die Stärke des BVB in der Fremde: Dort rangiert Terzics Team in der Auswärtsbilanz tatsächlich auf Platz zwei hinter Meister Leverkusen!
Was auf den ersten Blick überrascht, ergibt auf den zweiten Blick jedoch Sinn: Ganz offensichtlich tut sich die aktuelle Dortmunder Mannschaft schwer, in Spielen mit viel Ballbesitz gegen gut gestaffelte Gegner offensive Durchschlagskraft zu entwickeln. Selbst über Umschaltmomente und Konter zum Erfolg zu kommen, fällt dem Team mit Tempospielern wie Karim Adeyemi, Julian Brandt oder Jadon Sancho sichtlich leichter - und ergibt sich eben häufiger auf fremdem Platz.
Entscheidend dafür ist aber auch der zweite Trumpf, der den Dortmundern am Dienstagabend in die Karten spielen könnte: ihre Defensive.
Viel wurde diskutiert über die BVB-Abwehr und die vermeintlichen Nationalspieler Hummels, Nico Schlotterbeck und Niklas Süle, die zuletzt allesamt keine Rolle mehr bei Bundestrainer Julian Nagelsmann spielten. In der Königsklasse aber strafen sie bislang alle Kritiker Lügen.
Dortmund ist das einzige Team, das in der aktuellen Champions-League-Saison fünf Mal zu Null gespielt hat. Neun Gegentore in elf Spielen sind mit Abstand die wenigsten aller Halbfinalisten. Zum Vergleich: Die Bayern stehen bei elf, PSG und Real Madrid sogar bei 14 Gegentreffern.
Ja, auch da spielte eine gewisse Portion Glück eine Rolle - siehe beispielsweise die beiden Pariser Pfostentreffer binnen einer Minute im Hinspiel. Zudem können sich die Dortmunder auf ihre Torhüter Gregor Kobel und Alexander Meyer verlassen, deren insgesamt 40 Paraden im bisherigen Königsklassen-Verlauf nur von Real Madrid (44) getoppt werden.
Das Hinspiel gegen PSG zeigte aber eben auch, dass sich selbst Offensivkünstler wie Adeyemi oder Sancho an den großen Europapokal-Abenden nicht zu schade für wichtige Defensivarbeit sind. „Ich glaube, dass in diesen Spielen meistens auch die ganze Mannschaft voll da ist“, bestätigte Hummels am Montag in Paris, „und dann ist es für einen Verteidiger auch leichter, wenn vorher schon viele Bälle weggearbeitet werden, wenn die Mitspieler aufmerksam sind und den Gegner mehr unter Druck setzen“.
Hummels bricht Lanze für Schlotterbeck
Ein Sonderlob erntete obendrein Nico Schlotterbeck, der auch am Dienstagabend wieder gemeinsam mit Hummels das Dortmunder Abwehrzentrum bilden dürfte. „Schlotti kommt in den letzten Jahren viel zu negativ weg. Er ist ein großartiger Verteidiger, ist ein richtig guter Typ, ist auch schon ein Anführer geworden“, betonte Hummels - und prophezeite, dass „ganz Fußball-Deutschland“ in den kommenden Jahren „noch viel Spaß“ an Schlotterbeck haben werde.
Am Einzug ins Champions-League-Finale hätte zumindest der schwarzgelbe Teil von Fußball-Deutschland schon mal viel Freude - und die rund 2000 Dortmunder Fans, die das Rückspiel in Paris im Stadion verfolgen dürfen, werden wie gewohnt ihr Bestes tun, auch fernab des Signal Iduna Parks ihren Teil dazu beizutragen, dass es noch einmal so läuft wie 2013.
Auch damals hatten die Dortmunder anders als im Achtel- und im Viertelfinale im Halbfinal-Rückspiel übrigens kein Heimrecht und mussten einen harten Kampf bei Real Madrid überstehen. Das Ergebnis ist bekannt.