Mit nüchternen Worten wurde am Mittwoch das Ende einer Episode beim FC Bayern verkündet: „Der FC Bayern München und Cheftrainer Thomas Tuchel haben gemeinsam entschieden, die ursprünglich bis zum 30. Juni 2025 datierte Zusammenarbeit bereits zum 30. Juni 2024 zu beenden“, schrieb der Rekordmeister in einer Mitteilung.
Von “schockverliebt“ bis geschieden
334 Tage nach seinem Amtsantritt ist nun also klar: Auch der 50-Jährige wird keine Ära bei den Münchnern prägen - stattdessen im Sommer Platz machen für einen neuen Übungsleiter. Wie aber konnte es soweit kommen?
Von „schockverliebt“ bis zum Aus, SPORT1 zeigt die Chronik von Thomas Tuchel in München.
Vorstellung als Bayern-Trainer
Seit dem 24. März 2023 steht Tuchel als Cheftrainer beim FC Bayern unter Vertrag. Nur einen Tag später wird er in der Allianz Arena als Nachfolger des entlassenen Julian Nagelsmann vorgestellt.
Tuchel spricht vor den Pressevertretern über einen der „besten Kader der Welt“, mit dem er „um alle Titel“ mitspielen will. Sportdirektor Hasan Salihamidžić freut sich über einen „Top-Trainer“ und erläutert, wie die Verpflichtung zustande kam.
Aus im DFB-Pokal
Die erste Titelhoffnung muss der frühere Chelsea-Coach aber bereits früh begraben. Am 4. April scheitert der FC Bayern im Viertelfinale des DFB-Pokals am SC Freiburg. In der Münchner Arena gelingt Lucas Höler in der Nachspielzeit der 2:1-Siegtreffer für die Gäste. Tuchel spricht im Anschluss von einer „großen Enttäuschung“.
„Schockverliebt“ nach 0:3-Pleite
Diese Aussage sollte später noch häufig zitiert werden. Im Viertelfinale der Champions League treffen die Münchner auf Manchester City um Star-Coach Pep Guardiola. Im Hinspiel in Manchester verliert der FCB am 11. April mit 0:3.
Tuchel erklärt im Anschluss, er sei „schockverliebt“ in seine Mannschaft – und das nach einer klaren Niederlage. Das 1:1-Unentschieden im Rückspiel nur eine Woche später reicht nicht zum Weiterkommen. Zweite Titelchance dahin.
Dusel-Meisterschaft - Kahn und Salihamidzic weg
Eigentlich scheint alles klar. Nach einer 1:3-Niederlage gegen Leipzig am vorletzten Bundesliga-Spieltag ist die elfte Meisterschaft in Folge unrealistisch, muss Borussia Dortmund doch nur gewinnen, um Meister zu werden. Doch es kommt anders. Weil der BVB beim 2:2 in Mainz patzt – und Jamal Musiala die Münchner in der Nachspielzeit gegen Köln zum 2:1-Erfolg schießt – geht die Schale erneut nach München. Der erste Titel für Tuchel als Bayern-Trainer.
Pikant: Am selben Tag werden Vorstandschef Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidžić entlassen, was die Meisterfeierlichkeiten nicht unerheblich trübt. In der Folge schießen vor allem Kahn und der FCB scharf gegeneinander.
Wunsch nach Holding Six schafft Kimmich-Problem
Pep Guardiola wünschte sich einst „Thiago oder nix“ - Thomas Tuchel äußert zu Beginn der Saison 2023 den Wunsch nach einer „Holding Six“, einem defensiv denkenden Sechser. Wahr geworden ist die Hoffnung bis heute nicht, unter anderem, weil die Verpflichtung von João Palhinha am letzten Tag scheitert.
Neu dazugekommen ist in diesem Zuge aber ein Problem mit Joshua Kimmich. Dass dessen Interpretation der Sechser-Rolle Tuchel nicht unbedingt gefällt, daraus machte er bereit in der Saisonvorbereitung keinen Hehl. Aussagen, die bei Kimmich und Positionskollege Leon Goretzka nicht unbedingt für Begeisterung sorgen.
Klatsche im Supercup
Beim Supercup gegen Pokalsieger RB Leipzig am 12. August ist der Hype um den einen Tag zuvor verpflichteten Star-Stürmer Harry Kane groß. Mit einem Titel soll es dennoch nicht klappen. Die Münchner verlieren nach drei Toren von Dani Olmo klar mit 0:3. Tuchel befindet im Anschluss: „Die Diskrepanz zwischen der Form, der Stimmung und dem, was wir auf den Platz bekommen, ist groß.“
Blamage im Pokal
Auch in seiner zweiten Saison wird es für den 50-Jährigen nichts mit dem Titel im Pokal. Am 1. November blamieren sich die Münchner in der zweiten Runde des DFB-Pokals mit 1:2 bei Drittligist Saarbrücken. Triple-Chance dahin.
Wut-Abgang im Expertenzoff
Nur wenige Tage nach der Pokalpleite zeigen die Münchner mit dem 4:0-Sieg gegen Borussia Dortmund eigentlich eine starke Reaktion, abseits der Partie kommt es aber zu einem Eklat.
Schon vor dem Spiel missfallen Tuchel die Fragen von Sky-Reporter Patrick Wasserziehr, nach dem Spiel wird es dann noch schlimmer. Nach einem bizarren Dialog mit Sky-Moderator Sebastian Hellmann und Rekordnationalspieler Lothar Matthäus bricht Tuchel das Interview vorzeitig ab.
Zoff mit Hamann
Ärger gibt es Anfang Februar 2024 auch mit Sky-Experte Dietmar Hamann. Bei einem Fanklub-Besuch der Bayern hatte sich Tuchel allgemein über ein mögliches Traineramt im Ausland geäußert, unter anderem die spanische Liga als „außergewöhnlich“ bezeichnet.
Kurz nach der Rücktritts-Ankündigung von Barca-Coach Xavi tituliert Hamann Tuchels Aussagen als „Frechheit“. Die Münchner verteidigen ihren Trainer daraufhin, Tuchel akzeptiert die Entschuldigung von Hamann aber nicht: „Ich nehme ihm das nicht ab. Die Dinge, die passiert sind, waren völlig aus dem Zusammenhang gerissen und wurden bewusst gesagt. Es wurden bewusst Aussagen getroffen, die nicht wahr sind.“
Drei Pleiten am Stück
Diese Niederlage war der Anfang vom Ende. Am 10. Februar unterliegen die Bayern im Meisterrennen gegen Bayer Leverkusen klar und deutlich mit 0:3. Taktische und personelle Kniffe des Cheftrainers misslingen. Tuchel versucht es mit Durchhalteparolen, doch diese schlagen fehl.
In den Tagen darauf setzt es erst im Achtelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Lazio Rom eine 0:1-Pleite, dann geht auch noch das Bundesliga-Spiel gegen den VfL Bochum mit 2:3 verloren.
Die Meisterschancen sind mit acht Punkten Rückstand auf die Werkself nur noch gering, das Weiterkommen in der Königsklasse akut gefährdet.
Aus ist beschlossene Sache
Am 21. Februar wird schließlich das verkündet, was sich zuvor immer deutlicher abgezeichnet hatte. Der FC Bayern und Thomas Tuchel gehen getrennte Wege. Die Münchner vermelden, dass der bis 2025 gültige Vertrag bereits in diesem Sommer beendet wird. 334 Tage nach seinem Amtsantritt und 316 Tage nachdem er noch „schockverliebt“ in seine Mannschaft war,