Den Donnerstagabend am 23. März wird Julian Nagelsmann wohl so schnell nicht mehr vergessen. Um 21.11 Uhr twitterte Transfer-Experte Fabrizio Romano, dass die Bayern-Bosse drauf und dran seien, ihren Trainer freizustellen und Thomas Tuchel zu verpflichten.
Woran Nagelsmann scheiterte
Die Lawine war losgetreten und überrollte Fußball-Deutschland genauso wie Nagelsmann selbst. Denn ähnlich wie Otto Normalverbraucher erfuhr auch der 35-Jährige von der Entscheidung der Bayern-Bosse aus den Medien.
Dass der Rekordmeister nach den Siegen gegen Paris Saint-Germain das Champions-League-Viertelfinale erreichte, auch im DFB-Pokal unter den letzten Acht steht und in der Meisterschaft nach wie vor alle Chancen besitzt, hat Nagelsmann am Ende nicht geholfen.
Bayern-Boss Salihamidzic stellt sich im Doppelpass
Bayerns Sportvorstand erklärte im STAHLWERK Doppelpass, dass unter anderem die stetigen Leistungsschwankungen ein Grund dafür waren, Nagelsmann nach der Niederlage am 19. März gegen Bayer Leverkusen zu entlassen.
SPORT1 blickt auf die Zeit des 35-Jährigen in München zurück und zeigt, was ihm zum Verhängnis wurde.
Nagelsmann sollte eine Ära prägen
Am 7. Juli 2021 wurde der Coach beim FC Bayern offiziell vorgestellt. Damals hatten die Bosse große Visionen mit ihrem neuen, jungen Trainer. Immerhin eisten sie ihn für 25 Millionen Euro von RB Leipzig los. Der Vorstandsvorsitzende Oliver Kahn sagte bei der Vorstellung: „Wir sind von Julian überzeugt. Wir haben eine spannende und fantastische Zukunft vor uns.“
Der Verein gab ihm einen Fünfjahresvertrag, der das Langzeitprojekt untermauerte. „Eine Ära zu prägen ist ein großer Wert“, sagte Kahn damals auf SPORT1-Nachfrage. „Das ist für jeden Spieler großartig und auch für unsere Fans und Zuschauer. Daran kann man sich immer gerne erinnern. Das ist etwas Großartiges. Das wissen auch unsere Spieler: dass sie einen Zeitraum prägen können, an den man sich erinnert.“
Nagelsmann bekommt Wunschspieler Sabitzer
Dass der FC Bayern ein ganz besonderer Arbeitgeber für Nagelsmann ist, machte er bei seiner Vorstellung deutlich. Der gebürtige Landsberger verwies darauf, dass er aus Bayern käme: „Ich bin schon seit langer Zeit Fan des FC Bayern. Ich wäre auch mit einem Einjahresvertrag gekommen, aber mit einem Fünfjahresvertrag fühlt es sich schon besser an.“
Direkt zu Beginn seiner Amtszeit wurde dem Trainer ein Wunsch erfüllt, als die Bayern Marcel Sabitzer von Ligakontrahent RB Leipzig loseisten. Dennoch verlief Nagelsmanns erste Saison beim FCB recht holprig. In der Bundesliga feierte er mit seinem Team zwar die zehnte deutsche Meisterschaft in Folge, doch in beiden Pokalwettbewerben schied man krachend aus.
Blamage in der Champions League
In der zweiten Runde des DFB-Pokals kassierten die Bayern eine surreale 0:5-Niederlage bei Borussia Mönchengladbach, bei der Nagelsmann allerdings coronabedingt zu Hause bleiben musste.
Noch folgenschwerer war das überraschende Aus im Viertelfinale der Champions League gegen Villarreal. Zu dieser Zeit kam erste Kritik an Nagelsmann auf, doch die Bayern-Bosse stärkten ihm den Rücken.
Im Sommer 2022 wurden dem Coach weitere Wünsche erfüllt, die die Trainingsarbeit verbessern sollten. So wurde an der Säbener Straße eine XXL-Videoleinwand installiert.
Bayern investiert in den Kader
Zudem rüsteten die Bayern-Bosse nach dem schwachen Abschneiden in der Champions League den Kader auf. So wechselten unter anderem Matthijs de Ligt und Sadio Mané nach München, im Gegenzug verließ Stürmer Robert Lewandowski den Verein in Richtung Barcelona.
Der Rekordstürmer wollte die Bayern unbedingt verlassen, wobei auch Nagelsmanns Trainingsarbeit wohl eine Rolle spielte. Nach SPORT1-Informationen beschwerte sich Lewandowski häufiger beim Trainerteam, wenn ihm Übungen nicht gefielen.
Torwarttrainer-Knall beim FC Bayern
Ein Eins-zu-Eins-Ersatz wurde für Lewandowski nicht geholt - lediglich das 17 Jahre alte Talent Mathys Tel kam. Mit dieser Konstellation gingen die Bayern in die neue Saison und spielten zu Saisonbeginn groß auf. Nicht zuletzt dank Goalgetter Eric Maxim Choupo-Moting machte das Nagelsmann-Team in allen drei Wettbewerben kurzen Prozess.
Bis zur WM-Pause Mitte November stand der FC Bayern nach 15. Spieltagen mit 34 Punkte auf dem ersten Tabellenplatz. Im September stockte der Motor zum ersten Mal, als die Bayern in der Bundesliga fünf Spiele lang sieglos blieben (vier Remis, eine Niederlage).
In der Winterpause kam es dann zu einem echten Knall, als der langjährige Torwarttrainer Toni Tapalovic vom Verein freigestellt wurde. Bei der Trennung soll es Differenzen zwischen Nagelsmann und Tapalovic gegeben haben.
Neuer: „Gefühl, dass mir das Herz herausgerissen wurde“
Bei einem kam diese Entscheidung gar nicht gut an: Kapitän Manuel Neuer. Tapalovic ist für ihn ein enger Vertrauter, der ihn bereits seit Schalker Zeiten begleitet.
Kurz nach der Trennung sagte Neuer in einem brisanten Interview der Süddeutschen Zeitung und The Athletic: „Für mich war das ein Schlag - als ich schon am Boden lag. Ich hatte das Gefühl, dass mir das Herz herausgerissen wurde. Das war das Brutalste, was ich in meiner Karriere erlebt habe. Und ich habe schon viel erlebt.“
Die Bayern-Bosse schlugen sich auch hier auf die Seite von Nagelsmann und holten mit Michael Rechner von der TSG Hoffenheim seinen früheren Torwarttrainer an die Säbener Straße. Der Coach arbeitete bereits in Hoffenheim mit Rechner zusammen.
Nagelsmann kriegt Leistungsschwankungen nicht in den Griff
Mit vielen enttäuschten und teilweise verletzten WM-Rückkehrern verpatzten die Bayern den Start ins neue Jahr (für ihre Verhältnisse) komplett. Von den insgesamt zehn Bundesligaspielen gewannen die Bayern nur fünf und verspielten dadurch ihren Neun-Punkte-Vorsprung vor dem Borussia Dortmund.
Nach der Niederlage in Leverkusen wurde der BVB Spitzenreiter und die Bayern rutschten auf Rang zwei ab. Gleichzeitig schaffte der Rekordmeister in der Champions League einen beachtlichen Durchmarsch, gewann alle acht Spiele (u. a. gegen den FC Barcelona, Inter Mailand und PSG) und kassierte dabei nur zwei Gegentreffer.
Diese Konstanz fehlte dem Nagelsmann-Team über weite Strecken in der Bundesliga, weshalb die Bayern-Bosse am 24. März einen Schlussstrich zogen.
Nagelsmanns Punktedurchschnitt war mit 2,19 Zähler pro Partie im Vergleich zu früheren Trainern nur Mittelmaß. So reiht er sich hinter Pep Guardiola, Hansi Flick sowie Carlo Ancelotti ein.
„Das Ende keiner Ära“ titelte die Süddeutsche Zeitung einen Tag nach dem Nagelsmann-Knall. Viel besser hätte man es nicht formulieren können.