Nach seinem Rekordtor scharte sich eine Traube von Kindern um Gibson Nana Adu. Alle wollten ein Selfie mit ihrem neuesten Idol, das nur unwesentlich älter als die jungen Fans ist. Keine zwei Monate nach seinem 16. Geburtstag schoss Adu mit seinem Treffer zum 4:1-Endstand gegen den VfB Lübeck die SpVgg Unterhaching am 33. Spieltag zum vorzeitigen Klassenerhalt in der 3. Liga. Und sich selbst als jüngsten Torschützen der 3. Liga in die Geschichtsbücher.
Ein „zweiter Adeyemi“?
Mit genau 16 Jahren, einem Monat und 30 Tagen löste der Teenager David Alaba ab, der bei seinem Tor 2009 für den FC Bayern II gut ein Jahr älter gewesen war. Der heutige Abwehr-Star von Real Madrid ist dort angekommen, wo vielleicht auch Adus Weg irgendwann einmal hinführen könnte.
Doch bevor die Träume von der schillernden großen Fußballwelt überhaupt erst aufkommen, heißt Adus Realität: Hachinger Sportpark. Die ausgelassene Feier auf dem Rasen nach dem geglückten Klassenerhalt genoss der Youngster dabei sichtlich.
Schwabl: „Noch mehr graue Haare“ wegen Adu
Dass er überhaupt hier vor den Toren Münchens gelandet ist, hat viel mit Manfred „Manni“ Schwabl zu tun. Der 58-Jährige ist nicht nur Präsident der SpVgg Unterhaching, sondern gilt auch als ausgewiesener Förderer von Talenten.
Dabei gibt er gerne auch solchen Nachwuchsspielern eine zweite Chance, die vom Weg abzukommen drohen. Bekanntestes Beispiel ist sicherlich Karim Adeyemi, der nach seinem Aus im Nachwuchs des FC Bayern in Haching wieder auf die Beine kam und über Salzburg schließlich beim BVB landete.
Schwabls jüngster Ziehsohn ist nun also Adu. „Ich bereue es nicht, Gibson geholt zu haben, auch wenn jetzt noch mehr graue Haare dazugekommen sind“, sagt Schwabl im Gespräch mit SPORT1. Der Kontakt kam aus dem Umfeld Adus - auch wegen Schwabls Erfolg mit Adeyemi.
Adu ist in Mainz aufgewachsen, 2017 wurde der FSV Mainz 05 auf das Offensivtalent aufmerksam und nahm den Youngster in den Nachwuchs auf. Doch 2022 wurde er aus disziplinarischen Gründen aussortiert.
„Persönlich bringt den kein Mensch hin“
Auch Schwabl zögerte zunächst. „Er hat außerhalb des Sports das Leben vielleicht ein bisschen anders betrachtet, aber deswegen darf man die Jungs nicht immer gleich verurteilten, sondern muss sie an die Hand nehmen“, meint Schwabl. Problematisch sei das soziale Umfeld, in dem Adu sich mit seinen Freunden in Mainz und Frankfurt bewegt habe, gewesen.
Schwabl besuchte Adus Familie, seine Eltern stammen aus Ghana. Und er kontaktierte den Mainzer Nachwuchsleiter Volker Kersting. Dieser habe gemeint: „Manni, ich sag‘ dir eins: Der ist sportlich super, aber persönlich bringt den kein Mensch hin.“
Angesichts dieser Herausforderung ließ sich Schwabl nicht zweimal bitten. „Dann habe ich mir gedacht: Das werden wir sehen!“ Er habe mit seinem Schützling die Vereinbarung getroffen, dass er immer ehrlich zu ihm sein soll.
„Mittlerweile ist er sehr, sehr hoch angesehen im Verein. Er hat immer noch seine Aussetzer, aber es läuft in die richtige Richtung“, erklärt Schwabl. „Ich bin sehr froh, dass wir dem jungen Kerl die Chance gegeben haben.“
Adu bereits bei anderen Klubs „auf dem Schirm“
Im Sommer 2022 nahm der Hachinger Präsident Adu auch offiziell unter seine Fittiche, die Eltern übertrugen Schwabl die Erziehungsberechtigung. Daher fühlt er sich auch in besonderem Maße für den Jungen verantwortlich.
Und er kümmert sich darum, dass Adu auch abseits des Platzes seinen Weg geht. Aktuell absolviert er ein Freiwilliges Soziales Jahr. Auch eine Ausbildung zum Bürokaufmann ist bei den Münchner Vorstädtern möglich.
Die entscheidende Frage lautet dabei: „Wo wollen wir denn alle gemeinsam hin?“, betont Schwabl. „Wenn er dann von hier weggeht, brauchen wir ihm die Lehrstelle nicht zu geben.“ Dass der noch recht ungeschliffene Rohdiamant schon jetzt Begehrlichkeiten weckt, räumt der 58-Jährige unumwunden ein: „Es gab schon gewisse Äußerungen von anderen Vereinen, dass sie ihn auf dem Schirm haben. Aber bislang gab es noch keine konkreten Gespräche.“
Ob Adu perspektivisch auch mal ein Thema für den FC Bayern, mit dem die Hachinger hinsichtlich der Förderung von Talenten eine Kooperation anstreben, werden könnte, ist für Schwabl Zukunftsmusik und ohnehin nur schwer planbar. „Man muss das alles weltmännisch sehen, dass man die Jungs in den Mittelpunkt stellt“, betont der Hachinger Präsident.
Adu bat Schwabl um Geld für Friseur
Adus Fokus soll daher auch auf seiner fußballerischen Entwicklung liegen. Er ist zwar schon seit zwei Jahren in Haching und auch körperlich schon sehr weit. Doch aufgrund der Statuten musste er bis zu seinem 16. Geburtstag auf sein Profidebüt in der 3. Liga warten. Und bei seinem Kurzeinsatz in Bielefeld holte er in der Nachspielzeit nach einem mutigen und trickreichen Solo gleich einen Elfmeter raus.
Wichtig war ihm allerdings auch, dass er bei seinem Einstand auf der großen Bühne gut aussieht. Per WhatsApp bat Adu seinen Ziehvater Schwabl sogar um Geld für den Friseur. „Am Anfang habe ich gedacht, was ist denn hier los? Aber das ist halt Gibson, dann habe ich ihm 30 Euro für den Friseur gegeben und dann hat er wirklich gut ausgeschaut“, erklärte Schwabl seinerzeit bei MagentaSport.
Bei disziplinarischen Verfehlungen soll Adu von Schwabl auch mal zum Spüldienst im Wirtshaus verdonnert worden sein. Doch nach seinem Profidebüt macht der Teenager vermehrt auch sportlich von sich reden. Insgesamt zehn Kurzeinsätze hat er mittlerweile auf seinem Konto, die Krönung war sein eingangs erwähntes Tordebüt.
„Es geht nicht um Rekorde, sondern darum, den Jungen heranzuführen, weil er jetzt endlich spielberechtigt ist“, sagte Trainer Marc Unterberger bei MagentaSport. „Das sind jetzt die ersten Schritte. Er ist einer der unzähligen Beispiele aktuell, die es bei uns schaffen können.“
Adu könnte „ein zweiter Adeyemi“ werden
Auch der 35-Jährige sieht Parallelen zu Adeyemi. Generell überwiege nach Adus Tordebüt der Stolz, „weil es einfach zeigt, dass der Hachinger Weg funktioniert, nicht nur bei Adeyemi, sondern auch in der Aktualität“.
Zugleich betont Schwabl in dem Zusammenhang bei SPORT1: „Wir haben das nicht nur gemacht, weil wir eine Marketingstory daraus machen wollten.“ Aber er glaubt auch, dass Adu unter gewissen Umständen „ein zweiter Adeyemi“ werden könnte.
Der gebürtige Münchner verließ zwar schon 2018 Unterhaching in Richtung Salzburg. Doch als der Flügelstürmer 2022 beim BVB unterschrieb, flossen sechs der 30 Millionen Euro Ablöse an den Münchner Vorstadtklub. Zudem könnten noch bis zu zwei Millionen Euro erfolgsabhängige Boni folgen, auch von einem etwaigen Weiterverkauf würde Haching nochmals profitieren.
„Unsere Aufgabe ist es nicht nur, Transfererlöse zu generieren, sondern auch, den Jungs mit Unterhaching eine Plattform für die große Fußballwelt zu bieten“, bringt Schwabl Hachings Philosophie auf den Punkt. Bei Adu, der noch einen Vertrag bis 2026 besitzt, bestehe aber keine wirtschaftliche Not, ihn jetzt verkaufen zu müssen.
Wenn es irgendwann so kommen sollte, dann könnten Größenordnungen wie bei Adeyemi erreicht werden, meinte Schwabl noch, „ob er es dann so packt wie Karim mit allen Höhen und Tiefen, wird man sehen“.