Muskelverletzungen gehören mit zehn bis 15 Prozent zu den häufigsten Sportverletzungen. Oft handelt es sich um eine Zerrung. Durch ihre Häufigkeit ist sie ein ständiger Begleiter von Freizeitsportlern und Profis. Eine Muskelzerrung kann aber auch leicht unterschätzt werden und zu weiteren, schwerwiegenderen Verletzungen führen.
Zerrung - SPORT1 klärt auf
SPORT1 erklärt die Zerrung mit ihren Symptomen und Ursachen. Dazu gibt SPORT1-Experte Dr. med. Florian Dreyer Tipps zur Behandlung und Vermeidung.
Für den schnelle Leser
- Was steckt hinter dem Muskelfaserriss? Überdehnung der Muskelsarkomere
- Was sind die Symptome? ziehender Schmerz, der langsam stärker wird
- Was sind die Ursachen? Überbeanspruchung des Muskels durch schnelle Bewegungen oder abrupte Richtungswechsel
- Wie läuft die Diagnose? Anamnese und Abtasten durch den Arzt
- Wie läuft die Behandlung? Pausieren, Kühlen, Druckverband, Hochlagern, entzündungshemmende Schmerzmittel, Dehnen
- Wer ist der Ansprechpartner? Orthopäde
- Wie ist die Prognose? Genesungszeit vier bis 14 Tage
Symptome
Die meisten Muskelverletzungen sind Dehnungsverletzungen, d.h. der Muskel wurde über seine Fähigkeiten strapaziert.
Die einzelnen Abstufungen sind:
- Muskelkater: Mikroverletzungen der Muskelfasern durch lange und ungewohnte Belastungen
- Muskelzerrung: Überbelastung des Muskels, ohne seine Elastizitätsgrenze zu überschreiten
- Muskelfaserriss: Riss einzelner Muskelfasern durch eine plötzliche Belastung
- Muskelriss: Durchtrennung des gesamten Muskels
Im menschlichen Körper befinden sich über 650 Muskeln. Die Skelettmuskulatur wird auch quergestreifte Muskulatur genannt und besteht aus einzelnen Fasern, die bis zu 100 Mikrometer dick und 15 Zentimeter lang werden können.
Bei einer Muskelzerrung werden die kleinsten funktionellen Einheiten des Muskels, die sogenannten Sarkomere, übermäßig gedehnt. Die Zerrung ist nach dem Muskelkater die leichteste der vier Verletzungsarten.
Reißen einzelne dieser Fasern, spricht man von einem Muskelfaserriss. Mehrere dieser Fasern werden durch tiefe Faszien zu einem Muskelfaserbündel zusammengefasst. Reißt das ganze Bündel, handelt es sich um einen Muskelbündelriss. Noch schlimmer ist der Muskelriss: Dabei wird der gesamte Muskel vollständig durchtrennt und ist nicht mehr funktionsfähig.
Muskelzerrung, Muskelfaserriss oder Muskelriss aber auch eine Prellung werden in der Medizin auch als stumpfe Verletzungen bezeichnet, da sie ohne offene Wunden oder Blutungen einhergehen.
Bei einer Muskelzerrung tritt ein ziehender Schmerz auf, der sich langsam entwickelt, stärker wird und schließlich in krampfartige Schmerzen übergeht. Hierin besteht der größte Unterschied zu einem Muskelfaserriss, bei dem normalerweise schlagartig stechende Schmerzen auftauchen. Die Funktion des betroffenen Muskels ist für längere Zeit schmerzhaft eingeschränkt. Es kann zu einer Schwellung und zu einer Verhärtung im Muskel kommen und Krämpfe können auftreten.
Im Gegensatz zu anderen Muskelverletzungen wie einem Muskelfaserriss kommt es nicht zu einem Bluterguss, da keine Schädigungen oder Risse an den Muskeln stattfinden, sondern lediglich eine Überdehnung.
Symptome im Überblick:
- ziehen im Muskel, das sich langsam zu krampfartigen Schmerz entwickelt
- Einschränkung der Muskelfunktion
- Verhärtung des Muskels
- Krämpfe
Wie kann es zu einer Muskelzerrung kommen?
Die Ursache einer Muskelzerrung ist eine Überdehnung über das physiologische Maß hinaus. Das passiert, wenn plötzlich eine zu starke Belastung auftritt oder aufgrund einer unnatürlichen Bewegung. Sportarten mit schnellen Richtungswechseln, Sprints und Bewegungsstopps sind besonders anfällig.
Zerrungen sind keine Folge von Vorerkrankungen oder anderer angeborener Faktoren. Allerdings gibt es bestimmte Faktoren, die eine Zerrung begünstigen.
- Unterschiedlich ausgeprägte Muskulatur in Wirbelsäule oder Extremitäten
- Überlastung oder Ermüdung der Muskulatur
- Kalte Witterungsbedingungen
- Mangelnde Dehnfähigkeit der Muskulatur
- Schlecht ausgeheilte Verletzungen
- Entzündungen im Körper (z.B. kariöse Zähne, Mandelentzündung)
Diese Faktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit auf eine Zerrung aber nur.
Ursachen im Überblick:
- plötzliche Anspannung und nachfolgend extreme Belastung
- abrupte Richtungswechsel
- schnellkräftige Bewegungen
Diagnose
Normalerweise reicht eine Beschreibung des Verletzungshergangs und eine körperliche Untersuchung mit Abtasten der verletzten Stelle durch den Arzt aus, damit dieser eine Diagnose stellen kann. Der Doktor überprüft dabei, ob ein Druckschmerz vorhanden und Verhärtungen spürbar sind.
Oft ist es allerdings schwierig, zwischen einer Muskelzerrung und einem Faserriss zu unterscheiden. "Das ist eigentlich kaum zu erkennen", verrät Dr. Dreyer und warnt: "Das ist die Gefährlichkeit."
Um es genau sagen zu können, brauche man eine Kernspintomographie. "Beim Hobbysportler wäre ich damit aber zurückhaltend, da es wenig Relevanz hat. Man verordnet so oder so eine Sportpause und der Patient wird nicht jeden Tag zwei bis drei Mal behandelt werden. Wenn die Funktion nicht eingeschränkt ist, braucht man keine Kernspintomographie", erklärt der Mediziner.
Was ist die beste Behandlung?
Direkt nach der Verletzung sollte der betroffene Bereich nach der sogenannten PECH-Regel mit Erste-Hilfe-Maßnahmen behandelt werden.
Erste Hilfe nach der PECH-Regel
P-ause: direkt nach dem Unfall mit dem Sport aufhören und den verletzten Muskel ruhigstellen
E-is: Das betroffene Körperteil kühlen
C-ompression: Elastischer Druckverband, der den gezerrten Muskel stabilisiert und schont
H-ochlagerung: Die betroffene Stelle hochlagern, um Blutzufuhr zu verringern
Wichtigste Grundvoraussetzung der Therapie ist ein sofortiges Ende der sportlichen Aktivität, wenn der Verdacht auf eine Zerrung besteht. Jede weitere Aktion könnte zu noch schlimmeren Muskelverletzungen führen.
Ein elastischer Verband sorgt für eine Stabilisation und Schonung. Optimal ist eine Kombination aus einer Kompression und Kühlung, beispielsweise mit einem kalten Umschlag. Um die Blutzufuhr zu verringern sollte die betroffene Muskulatur hochgelagert werden. Wie wichtig das ist, weiß auch Dr. Dreyer: "Die Schwellung kann nur der Schwerkraft folgen und sie muss zum Herzen hinfließen. Wenn also das Herz höher liegt, als der große Zeh, fließt die Schwellung erstens nicht weg und zweitens staut sich alles, weil die Abflusswege zusammengedrückt werden." Dadurch würde sich das Abschwellen deutlich verzögern.
Zusätzlich zu den Maßnahmen der Erstversorgung können bei starken Schmerzen entzündungshemmende Schmerzmittel wie Ibuprofen eingenommen werden. Ein Verband mit Salbe, die gegen Schwellungen hilft und schmerzlindernde Wirkstoffe enthält, ist sinnvoll.
Sobald der Schmerz und die Muskelverhärtung nachlassen, sind leichte Dehnübungen empfehlenswert. Aber Achtung: Die Dehnung sollte mehrere Minuten gehalten werden, kurze wippende Bewegungen sind nicht ratsam.
Wie lange dauert es, bis man wieder Sport machen kann?
Natürlich hängt die Pause von der Schwere der Verletzung ab. Aber in der Regel kann nach vier bis sechs Tagen wieder ein leichtes Training absolviert werden. Nach rund zwei bis drei Wochen sollte eine uneingeschränkte sportliche Betätigung wieder möglich sein.
Studien haben gezeigt, dass insbesondere im Amateurbereich Zerrungen nur von den Sportlern selbst behandelt werden. Dadurch wird die Wiederverletzungsrate deutlich erhöht.
Prävention im Sport
Zumeist ist eine Überbelastung Auslöser für etwaige Muskelverletzungen. Daher kann ein Großteil davon vermieden werden, indem die Belastung bei einer körperlichen Aktivität richtig dosiert wird und ein ausführliches Aufwärmen erfolgt. Erst, wenn die Muskelfasern eine gewisse Temperatur erreicht haben, werden sie ausreichend geschmeidig und elastisch für Sport.
Beim Sport geht es darum, seine eigene Leistungsfähigkeit auszuloten und wenn möglich zu verschieben. Aber dies sollte dosiert und wohl geplant vonstattengehen. Eine Steigerung der Intensität des Trainings sollte langsam und schrittweise erfolgen.
Auch ein muskuläres Missverhältnis kann eine Muskelzerrung fördern. Zur Prävention ist daher ein gezieltes Krafttraining effektiv, welches derartigen Dysbalancen entgegenwirkt.
Präventionsmaßnahmen im Überblick
- Ausführliches Aufwärmen
- Überlastung vermeiden
- Trainingskontrolle auf einseitige Belastung
Muskelzerrung – "Dauergast" im Profisport?
Der Fitnesszustand von Leistungssportlern und ihr gewohnter Umgang mit dem eigenen Körper sind ein Faktor, der Muskelverletzungen zu einem gewissen Grad eindämmen kann.
Nichtsdestotrotz ist diese Art von Sportverletzung für einen Großteil der Ausfallzeiten im Profibereich verantwortlich. Laut einer UEFA-Studie zur Europameisterschaft 2016 in Frankreich waren die häufigsten Verletzungen während des Turniers Muskelverletzungen, der Großteil im hinteren Oberschenkel. Diese so genannte "Sprint-Verletzung" tritt vor allem auf, wenn Spieler schnell und mit raschen Richtungswechseln laufen.
15 Spieler fielen für das Turnier dauerhaft aus, neun Spieler mussten sogar länger als 28 Tage pausieren. Auffällig ist, dass fast alle diese Sportverletzungen ohne Fremdeinwirkung passiert sind - das typische Bild für Muskelverletzungen.
Um Verletzungen vorzubeugen, hat die FIFA "11+" erstellt - ein komplettes Porgramm zum Aufwärmen. Die Übungsauswahl zur Verletzungsprävention bietet eine Kombination von Übungen, mit denen man sich vor typischen Fußball-Verletzungen - wie etwa der Zerrung - schützen kann. Dr. Dreyer weiß, wie wichtig so ein Programm sein kann: "Die Muskulatur, die Sehnen und die Bänder müssen daran gewöhnt werden, dass gleich eine Belastung auftritt und diese immer dynamischer werden wird", erklärt er.
Das Programm enthält neben Laufübungen auch eine Serie an Kraftübungen, die vor allem die Rumpfmuskulatur ansteuern. "Gerade was die unteren Extremitäten betrifft, ist die Stabilisierung in der Rumpfmuskulatur wichtig, damit man dort nicht wegknickt und dadurch die Arme oder Beine fehl belastet", erklärt Dr. Dreyer die Bedeutung der Übungen.
Dr. med. Florian Dreyer ist Facharzt für Orthopädie und leitender Oberarzt im Zentrum für Fuß- und Sprunggelenkchirurgie der Schön Klinik München Harlaching. Neben der Durchführung von über 3500 Operationen an Fuß und Sprunggelenk werden hier in einem der weltweit größten Schwerpunktzentren internationale Sportler aus Breiten-, Leistungs- und Spitzensport mit medizinischen Fragestellungen zu Fuß und Sprunggelenk betreut und versorgt. Seit 2007 betreut er die Bob- und Skeleton-Nationalmannschaft des Bob- und Schlittenverbands für Deutschland. Dr. Dreyer war 2018 als Olympiaarzt bei den Olympischen Spielen in Pyeongchang tätig. Seit einigen Jahren leitet er zudem das medizinische Team der Beachhandball-Nationalmannschaften des Deutschen Handballbundes. Neben der Versorgung von internationalen Leistungssportlern fungiert er zudem als Ansprechpartner für leistungsorientierte Mannschaften diverser Sportarten im Großraum München.