Der Mann ist ein Phänomen und aus der Formel 1 auch irgendwie nicht wegzudenken: Zu lange schon prägt Kimi Räikkönen den großen Rennzirkus.
Fahrrad ruinierte Räikkönens Stimme
Beim Grand Prix von Russland wurde der 40-Jährige in seinem Alfa Romeo dann auch noch zum Rekordmann: Der Altmeister fuhr in Sotschi sein 322. Rennen und schloss damit zu dem Brasilianer Rubens Barrichello auf. Zwei Wochen später setzte er mit seinem 323. Rennen am Nürburgring neue Maßstäbe.
Räikkönen ist quasi Kult: Iceman nennen sie den Finnen, der sich so oft betont einsilbig gibt - und in dem doch das Feuer eines Vollblut-Sportlers lodert.
Denn: Nach Aufhören sieht es derzeit keineswegs aus. Sein Team hat Räikkönen signalisiert, weitermachen zu können, wenn er denn wolle. Alfa-Partner Ferrari will es wohl auch. Weil Räikkönen, der 2007 für die Scuderia den Weltmeistertitel gewann, genau der Richtige wäre, an dessen Seite Ferrari-Junior Mick Schumacher 2021 lernen und sich in Ruhe weiterentwickeln kann. (Rennkalender der Formel 1 2020)
"Aktuell will ich Rennen fahren und mein Bestes geben", sagt Räikkönen, der durchaus zum Feierbiest mutieren kann, dazu lapidar. SPORT1 verrät, was nur die wenigsten über Räikkönen wissen, der seit Jahren in zweiter Ehe mit der früheren Flugbegleiterin Minttu Virtanen verheiratet ist.
Mentalität und Teamspirit:
Der feierfreudige Blondschopf hasst politische Machtspielchen und Winkelzüge, gilt als höchst ehrlich. Deshalb ist er ein idealer Teamkollege für jedermann. Speziell für F1-Azubis mit großem Namen und denkbar schweren Voraussetzungen.
Räikkönen tritt in seinem näheren Umfeld warmherzig auf, liest klassische Literatur und hat mit dem zunftbedingten Superstar-Gehabe, das manchen Formel-1-Fahrer umgibt, nichts am Hut.
Emotionen bewusst unterkühlt:
Nur ab und zu redet er über sein zweites Gesicht: "Jeder hat Emotionen", sagt er dann, "aber jeder geht auch anders damit um. Wenn ich fahre, bin ich hochkonzentriert, Emotionen sind da fehl am Platz. Dafür hat man doch gar keine Zeit. Man muss oft schneller reagieren, als man fühlen kann.
Ein Formel-1-Fahrer analysiere "meistens erst bestimmte Situationen, wenn sie schon längst vorüber sind. Die Reflexe und Instinkte müssen stimmen. Dazu kommt, dass ich kein Typ bin, der gerne zeigt, was in mir vorgeht."
Fahrradunfall in der Kindheit:
Deshalb würde Räikkönen nie erzählen, dass seine leise Pieps-Stimme von einem Fahrradunfall aus seiner Kindheit rührt. Der Finne war fünf Jahre alt, als er von den Pedalen abrutschte und mit dem Hals auf die Rahmengabel knallte. Von der schweren Quetschung haben sich seine Stimmbänder nie ganz erholt.
Apropos Kindheit: Räikkönen redete schon als Junge so wenig, dass seine Eltern ihn sorgevoll zum Kindertherapeuten brachten. Der schickte ihn schon nach einem halben Tag wieder nach Hause. Mit einem Brief dabei. "Ihr Sohn ist überdurchschnittlich intelligent. Dass könnte der Grund sein, warum er es vorzieht zu schweigen."
Ein schwierige Koordinationsübung, für die Erwachsene durchschnittlich drei Stunden brauchten, hatte der Sechsjährige in zwanzig Minuten gelöst. Das hatte den Therapeuten überzeugt.
Unglaublicher Ruhepuls plus Nervenstärke:
Es gibt tatsächlich nur wenige, die Räikkönen an sich ranlässt, bei denen er ist, wie er ist. Dazu gehörte der mittlerweile verstorbene finnische McLaren-Arzt Aki Hintsa.
Hintsa hatte schon zu den wilden McLaren-Zeiten über seinen Landsmann gesagt: "Kimi ist ein sehr sensibler Mensch, der nur im Auto keine Gefühle zeigt."
Ein Experiment bestätigte das einmal: Bei einem Rennen statteten Mediziner Raikkönen mit Mess-Elektroden aus. Das Ergebnis: Räikkönens Puls schnellte nicht mal in Situationen in die Höhe, die selbst gestandenen Piloten den Schweiß auf die Stirn getrieben hätten. Nicht bei gefährlichen Überholmanövern. Nicht einmal, wenn es kracht.
Für seinen ehemaligen Teamchef Peter Sauber ist der Finne der nervenstärkste Pilot, den er je erlebt hat: "Er hätte fast sein erstes Formel-1-Rennen in Australien 2001 verschlafen."
Räikkönen verschläft erste F1-Rennen fast
Fitnesstrainer Josef Leberer, damals für Räikkönen zuständig, erzählt: "Kimi lag auf einer Kiste in der Box und schlief. Als ich ihn 40 Minuten vor dem Start wecken wollte, damit er sich für den Start vorbereiten konnte, drehte er sich einfach um und murmelte: 'Gib mir noch fünf Minuten!' Er schlief einfach weiter."
Im Rennen holte er dann als Sechster seinen ersten WM-Punkt. Als Sauber ihm gratulieren wollte, winkte Räikkönen nur ab: "Habe ich etwa gewonnen? Wozu also die Gratulation." Sauber war völlig perplex.
Kein Wunder, dass auch Ex-Formel-1-Pilot Gerhard Berger ein Fan des Finnen ist. Der heutige DTM-Chef sagt im Spaß: "Zu Red Bull würde Kimi am besten passen. Er könnte feiern, so oft er wollte. Denn selbst mit Kater ist Kimi immer noch schneller als die meisten anderen topfit. Aber im Ernst: Ich glaube nicht, dass Kimis Aktivitäten neben der Strecke ihn bisher auch nur eine Hundertstel langsamer gemacht haben."
Und wohl auch nicht älter. Ein Ende von Räikkönens Laufbahn ist jedenfalls nicht abzusehen. Es ist dem 40-Jährigen sogar zuzutrauen, dass er auch noch die 400er Marke von gefahrenen Rennen knackt.