Bloß nicht schon wieder: Den Millionen Zuschauern an den TV-Schirmen dürfte Übles geschwant haben, als sie Augenzeuge dieser Szenen wurden.
Ein Quarterback verblüfft die NFL
Da stand Alex Smith nun auf dem Rasen des Heinz Field - und blutete aus dem Bein. Ausgerechnet der vom Schicksal so schwer gebeutelte Smith, dieser gerade erst - um passenderweise im Bild zu bleiben - wieder vollends auf die Beine gekommene Quarterback des Washington Football Team, das in der Arena der Pittsburgh Steelers am Ende einen völlig unerwarteten Triumph (23:17) davontragen sollte. (Spielplan und Ergebnisse der NFL)
Ein dünnes Rinnsal färbte seinen weißen Stollenschuh tiefrot, nachdem sich oberhalb des Knöchels bereits Smiths Stutzen blutgetränkt abgezeichnet hatte. Schnell kam ein Teamverantwortlicher herbeigeeilt, bandagierte die sich nur als Schnittwunde herausstellende Blessur - und ließ alle Beobachter aufatmen.
"Ich musste auf dem Feld auch erst mal kurz überprüfen, ob mein linkes Bein nicht mein rechtes ist", scherzte Smith hinterher bei ESPN und gab Entwarnung: "Aber es ist nichts Ernstes." Kurzzeitig der Atem dürfte ihm aber ebenso gestockt haben. Zu dramatisch wirkt noch immer all das nach, was dem 36-Jährigen während der vergangenen zwei Jahre widerfahren ist.
Alex Smith: Horror-Beinbruch und lange Leidenszeit
Die Leidenseschichte ist bekannt: Es war der 18. November 2018, das Team hieß damals noch Washington Redskins, als Smith einen Schien- und Wadenbeinbruch erlitt. Wegen einer Infektion und Blutvergiftung drohte ihm eine Beinamputation, kurzzeitig bestand sogar Lebensgefahr, das Karriereende sowieso.
Was folgte nach 17 (!) Operationen, war jedoch eine bemerkenswerte Rehabilitation, die in ein kaum für möglich gehaltenes Comeback mündete.
"Es war mein schlimmster Albtraum! Alex hat Bakterien, die quasi sein Bein auffressen. Er liegt im Sterben", sagte seine Frau Elizabeth seinerzeit in einer ESPN-Dokumentation.
Doch es gab ein Happy End: Ein Märchen nach dem Horror, vom Invaliden zurück ins Rampenlicht - und womöglich sogar zum Quarterback der Zukunft. (NFL-Tabellen)
Denn Smith, dessen rechtes Bein auch gerettet werden konnte, weil ein Muskel aus dem linken Oberschenkel transplantiert wurde, wird immer besser. Beim Coup gegen die Steelers brachte er 31 von 46 Pässen für 296 Yards und einen Touchdown an den Mann.
Die Rolle des Matchwinners blieb zwar Tight End Logan Thomas (neun Receptions, 98 Yards) vorbehalten, der nach dem zwischenzeitlichen 0:14 mächtig aufdrehte und schließlich noch einen Turnover verhinderte. Gleichwohl war es Smiths ruhige Hand, die das Team wieder in die Spur brachte.
"Dieses Team ist so jung", sagte der Routinier hinterher, "da brauchst du solche Siege, um weiter zu wachsen und zu lernen - das war ein ganz großer Schritt für uns."
Washington-Quarterback Smith wieder da
Ein Schritt in die Zukunft aber auch für Smith, der in seiner Karriere von Anfang an hart kämpfen und viele Rückschläge verkraften musste: Immer wieder war in US-Medien auch in der jüngeren Vergangenheit zu vernehmen, Neucoach Ron Riviera plane nicht mehr mit ihm.
Auch deshalb, weil Washington sich während Smiths Leidenszeit die Dienste des talentierten Quarterbacks Dwayne Haskins gesichert hatte, zudem der mit 24 Jahren deutlich jüngere Kyle Allen bessere Perspektiven verspräche.
Doch Ende 2020 ist es das Stehaufmännchen Smith, das unerwartet wieder obenauf ist: Nachdem Washington mit dem schwächelnden Haskins zu Saisonbeginn Spiel um Spiel verloren hatte und sich Allen als neuer Starter den Knöchel brach, spielt er seit Anfang Oktober immer wieder.
Und wie: Beim zweiten Saisonsieg gegen Erzrivale Dallas Cowboys (41:16) fanden 19 seiner 26 Pässe für 149 Yards einen Abnehmer, und er warf einen Touchdown-Pass. In Week 9 bescherte Smith dessen noch immer starker Wurfarm 325 Passing Yards, in Week 10 390 Passing Yards.
Zahlen, die für sich und die einst bei den Kansas City Chiefs von einem gewissen Patrick Mahomes ausgebremste Nummer 11 sprechen - und Washingtons Verantwortliche womöglich zum Umdenken bewegen, trotz Smiths Alters.
Rivera: Smith als Quarterback vielleicht mit Zukunft
"Du musst schauen, wie lange er noch spielen kann. Wie lange will er überhaupt noch spielen? Ist er ein Teil des Plans?", sagte Riviera kürzlich: "Darüber müssen wir als Trainerstab und als Organisation auf jeden Fall reden, wenn er weiterhin auf diesem hohen Niveau spielt."
Was der Headcoach dabei indes nicht anspricht, ist die finanzielle Situation für beide Seiten:
Smith steht in der Hauptstadt noch für die nächsten beiden Spielzeiten unter Vertrag, kassiert 2021 bemerkenswerte 19 Millionen US-Dollar, 2022 sogar 21 Millionen Dollar.
Eine vorzeitige Entlassung wäre nicht nur Dead Cap von 10,8 Millionen, sondern auch ein gewaltiger Imageschaden für Washington angesichts Smiths Verletzungsdrama, ließe die Franchise damit herzlos erscheinen und viele Sympathien verlieren.