Wohl niemand zweifelt daran, dass LeBron James von den Los Angeles Lakers der klar beste Spieler des vergangenen Jahrzehnts ist.
LeBron um MVP-Titel betrogen?
In den Saisons von 2010/2011 bis 2019/2020 führte James seine Teams unglaubliche neun Mal in die NBA Finals, vier Titel holte er dabei und wurde jedes Mal zum Finals-MVP gewählt. (SERVICE: Der Spielplan der NBA-Saison 2020/21)
Im gleichen Zeitraum wurde der selbsternannte "Chosen One" - der insgesamt vier Mal mit dem Award ausgezeichnet wurde - aber nur ganze zwei Mal MVP der Regulären Saison - und das letzte Mal passierte dies vor acht Jahren. (SERVICE: Die Tabellen der NBA)
Lakers-Trainer Frank Vogel fehlt dafür jegliches Verständnis: "Es ist ein Fehler der Wahlberechtigten, eine Saison nach der anderen nicht den besten Spieler der Liga zu wählen. Es ist unglücklich, es ist nicht richtig und er sollte den Award dieses Jahr erhalten."
LeBron ewig nicht MVP: "Unbestreitbar doof"
Der wahlberechtigte ESPN-Journalist und NBA-Insider Zach Lowe formulierte seine Meinung kürzlich noch deutlicher: "Es wirkt einfach zweifellos dumm, dass der Typ, den wir wir alle für den besten lebenden Spieler halten, seit acht Jahren nicht mehr MVP war."
Dass James von "allen" für den besten noch lebenden Spieler und damit auch besser als Michael Jordan gehalten wird, ist natürlich übertrieben - doch Lowes Aussage, die mehr den "King" als besten Akteur seiner Generation meinen dürfte, zeigt, wie absurd es wirkt, dass James insgesamt erst vier MVP-Titel hat, obwohl er die Liga seit etwa 15 Jahren dominiert.
Eine ideale Vorlage für die Lakers, bei denen die Kampagne für James' überfälligen MVP-Titel in dieser Saison längst auf Hochtouren läuft. "Der NBA MVP ist ein sehr politischer Award. Bron hätte mindestens acht, neun, zehn Mal MVP sein sollen. Das weiß jeder", sagte Lakers-Profi Kyle Kuzma.
Selbst Michael Jordan nur fünfmal MVP
Das Problem, dass immer auch das Narrativ eine Rolle bei der Abgabe der Stimme spielt, hatten allerdings auch zahlreiche NBA-Legenden vor James - vor allem Jordan. Deshalb wirkt Kuzmas Forderung nach acht bis zehn MVP-Titeln für James doch übertrieben im Blick auf die NBA-Historie.
Kein Spieler in der Geschichte der Liga hat bisher mehr als sechs Trophäen (Kareem Abdul-Jabbar) erhalten. Der für viele immer noch beste Spieler aller Zeiten, Jordan, bekam sogar nur fünf. Auch da wollten wohl einige wahlberechtige Journalisten nicht jedes Jahr Jordan wählen, wenn es in einer Saison eine zahlenmäßig ungefähr ebenbürtige Alternativen gab.
In Jordans Fall damals zum Beispiel Charles Barkley oder Karl Malone. Jordan nutzte dies als zusätzliche Motivation und unterstrich in den jeweiligen Finals, wer der beste Spieler der Liga ist.
Antetokounmpo zurecht zweimal MVP
Es gibt auch keine strenge Vorgaben, an denen sich die Wahlberechtigen orientieren müssen und anhand derer sich nachprüfen ließe, ob James jetzt wirklich zu wenig MVP-Titel hat, auch wenn es sich zweifelsohne so anfühlt.
Streng genommen ehrt der Award den Most "Valuable" Player, also den "wertvollsten" - und nicht zwingend den "besten" Spieler der Saison. Allerdings dürfte diese Unterscheidung nicht jeder Wahlberechtigte so vornehmen, womit letztlich der MVP eben doch meist gleichgesetzt wird mit "bester Spieler der Saison".
Fakt ist, dass nur die Leistungen in der Regulären Saison bewertet werden. Wenn also ein Giannis Antetokounmpo in den Playoffs mit den Milwaukee Bucks abschmiert, ist das völlig unerheblich für diesen Award. Nach den Playoffs gibt es den Finals-MVP, den James im vergangenen Jahr verdientermaßen erhielt.
Unklar ist hingegen, wie sehr die individuellen Zahlen im Vergleich zum Erfolg des jeweiligen Teams eine Rolle spielen sollen. Und auch beim Erfolg des Teams muss unterschieden werden. Hat ein MVP-Kandidat ein oder gar zwei Superstars um sich herum oder ist er der einzige Superstar und trägt ein ansonsten mittelmäßiges Team in die Playoffs?
Rose und Durant haben Nase vorn
Blickt man zum Beispiel auf die Saison 2010/2011 zurück, war Derrick Rose der aufstrebende Superstar der NBA und hatte die Bulls zu einer noch bessere Saisonbilanz als die Miami Heat geführt - obwohl James die beiden Superstars Dwyane Wade und Chris Bosh an seiner Seite hatte.
Nachdem James in den folgenden beiden Jahren die NBA-Wahl zu Recht gewonnen hatte, stellte in der Saison 2013/2014 das junge Team der Oklahoma City Thunder in der regulären Saison sogar das Superteam der Heat in den Schatten.
Kevin Durant ragte dabei mit im Schnitt 32 Punkten, 7,4 Rebounds und 5,5 Assists heraus. Die Zahlen von James zum Vergleich: 27,1 Punkte, 6,9 Rebounds und 6,3 Assists. Ebenfalls herausragend, doch wer nur die reguläre Saison berücksichtigt, musste in dieser Saison Durant wählen.
Ähnliches gilt für Stephen Curry in den beiden folgenden Jahres. Die Golden State Warriors dominierten die Liga nach Belieben und der für viele jetzt schon beste Dreierschützte der NBA-Geschichte revolutionierte das Spiel - und legte dabei unglaubliche Zahlen auf.
Westbrook schafft historisches Triple-Double
Auch die Wahlen von Antetokounmpo in den vergangenen beiden Jahren waren aufgrund der bärenstarken Zahlen gepaart mit der besten Teambilanz der Liga nachvollziehbar. Zudem glänzte der "Greek Freak" auch defensiv, wo sich James gerade in der regulären Saison gerne ein paar Körner für die Playoffs aufspart.
In der Saison 2016/2017 war die Wahl von Russell Westbrook nicht komplett unumstritten, da sein damaliges OKC-Team nur die sechsbeste Bilanz im Westen hatte. Doch Westbrook hatte eine historische Triple-Double-Saison geschafft. Dass James nicht einmal in die Top 3 kam, überraschte jedoch schon.
Nachdem Harden in der Vorsaison wie auch bereits in der Saison 2014/2015 jeweils nur Platz zwei belegt hatte, bekam er in der Folgesaison endlich den langersehnten MVP-Titel. Hier half vermutlich auch das Narrativ im Duell mit James, aber seine Zahlen und die Bilanz als bestes Team der Liga rechtfertigten die Wahl auch.
James in dieser Saison ein heißer MVP-Kandidat
James wurde deshalb nie klar um eine verdiente Wahl betrogen, wenngleich vier MVP-Awards zu wenig für einen so außergewöhnlichen Spieler erscheinen. Nach den herausragenden Jahren von Antetokounmpo hat "King James" in diesem Jahr aber wohl endlich wieder eine gute Chance auf den Titel.
Denn der Bucks-Superstar wird trotz ähnlich guter Zahlen diesmal keine Chance auf die Trophäe haben. Alle Experten sind sich einig, dass viele Journalisten dem Griechen ohne jeden Playoff-Erfolg nicht zum dritten Mal in Folge zum MVP küren. Denn dies hatte nicht einmal Jordan geschafft.
Daher sind die Hauptkonkurrenten von James, der zuletzt das 99. Triple-Double seiner Karriere geschafft hat und damit auf Rang fünf in der ewigen Bestenliste liegt, in dieser Saison Joel Embiid von den Philadelphia 76ers und Nikola Jokic von den Denver Nuggets. Nur Außenseiterchancen hat wohl James Harden von den Brooklyn Nets.
Embiid verletzt und Nuggets von Jokic schwächeln
Die Chancen für James sind zuletzt wieder gestiegen. Nachdem der Lakers-Leader zunächst zu Saisonbeginn die Führung im MVP-Rennen übernommen hatte, begannen er und sein Team etwas nachzulassen, weshalb Embiid zuletzt als Topfavorit gehandelt wurde. Doch dieser verletzte sich jetzt am Knie und fällt einige Wochen aus.
Die Gelegenheit für James, um an Embiid wieder vorbeizuziehen. Denn bei den Lakers fällt der Co-Superstar Anthony Davis aus, weshalb der "Chosen One" sein Team aktuell im Auge vieler Betrachter alleine von Sieg zu Sieg tragen muss.
Mit dem jüngsten Sieg gegen die Charlotte Hornets fuhren die Lakers ihren vierten Sieg in Folge ein und verdrängten die Phoenix Suns von Rang zwei der Western Conference. Ein wichtiges Argument im Vergleich zu Jokic, der sensationelle Zahlen auflegt, aber mit den Denver Nuggets nur Fünfter ist.
Daher könnte James in dieser Saison endlich den Lohn und seinen fünften MVP-Titel bekommen - damit würde er mit Jordan gleichziehen. Danach wären sicher auch die Lakers um Vogel und Kuzma wieder etwas besänftigt.