Roger Federer wehrte sich nach Kräften, mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, doch diesen Kampf hatte er längst verloren. "Das Märchen geht weiter", presste er noch heraus, schluckte, stockte und setzte von vorne an.
Federer schreibt an Märchen weiter
Die Tränen waren jedoch nicht aufzuhalten. Wie Sturzbäche rannen sie seine Wangen hinunter, auf der Tribüne weinten seine Eltern mit, und der große Rod Laver, in dessen Arena Federer gerade seinen 20. Grand-Slam-Titel gewonnen hatte, hielt alles mit dem Handy fest.
Federer kann nicht genug bekommen
Wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, warum dieser 36 Jahre alte Schweizer noch immer unermüdlich und unersättlich, aber vor allem erfolgreich alle Tennisrekorde jagt, dann erbrachte ihn Federer an diesem Finalabend in Melbourne.
Die Leidenschaft, mit der er den Kroaten Marin Cilic (29) nach mehr als drei Stunden mit 6:2, 6:7 (5:7), 6:3, 3:6, 6:1 niederrang, und die Glücksgefühle, die ihn nach seinem Triumph überwältigten, kennen in seinem Fall kein Verfallsdatum.
"Ich hatte schon so viele unglaubliche Momente, aber ich kann davon einfach nicht genug bekommen", sagte Federer, als die emotionalsten Minuten nach seinem schwer erkämpften Sieg, seinem sechsten bei den Australian Open, ins Land gezogen waren.
Deshalb werde er natürlich auch im nächsten Jahr gerne wieder nach Australien zurück kommen, erklärte bei Eurosport. Dies hatte er bei seiner Sieger-Rede noch vergessen anzukündigen.
Von der Zahl 20 hätte er nie zu träumen gewagt, hatte er stets betont, und dennoch darf die Konkurrenz nicht darauf hoffen, dass er bald müde wird. Selbst die größten Titelsammlerinnen Steffi Graf (22), Serena Williams (23) und Margaret Court (24) sind für Federer nicht mehr aussichtslos entfernt.
Federers nächste Sternstunde
Das war vor etwas mehr als zwölf Monaten noch anders gewesen, beinahe fünf Jahre dauerte damals seine Grand-Slam-Durststrecke an, abgestürzt und abgeschrieben kam er nach Melbourne und stellte die Tenniswelt erneut auf den Kopf.
Seinem epischen Sieg über Rafael Nadal folgte der lockere Triumph in Wimbledon über Cilic - und nun die nächste Sternstunde, in der Federer bewies, wie menschlich er auf dem Court trotz seiner beinahe magischen Fähigkeiten noch immer sein kann.
Ohne Satzverlust war er in sein 30. (!) Majorfinale gestürmt und hatte auch dort im ersten Durchgang dominiert. Doch plötzlich packte ihn die Nervosität, er habe "angefangen nachzudenken, was passiert, wenn ich gewinne.
Und das ist immer der Punkt, an dem es kippt", sagte Federer. Dennoch führte er unter dem wegen der extremen Abendhitze geschlossenen Stadiondach im vierten Satz wieder souverän und war beim Stand von 3:1 nicht mehr weit vom Titel entfernt.
"Kumm jetzte!"
Doch Cilic stemmte sich gegen die Niederlage, und Federer begann plötzlich zu zweifeln. Erst ein emotionaler Ausbruch zu Beginn des fünften Satzes ("Kumm jetzte!"), als Cilic zwei Breakbälle besaß, die Anfeuerung der großen Mehrzahl der 15.000 Zuschauer und ein ungewohnt unhöflicher Disput mit Schiedsrichter Jake Garner brachten Federer zurück in die Erfolgsspur.
Die Enttäuschung über die verpassten Gelegenheiten stand Cilic ins Gesicht geschrieben, dennoch fand er die Kraft, das Phänomen Federer in wenigen Worten zusammenzufassen.
"Roger besitzt die Leidenschaft dafür, sich selber körperlich und mental Jahr für Jahr herauszufordern", sagte Cilic. Nach einem tapferen Kampf hatte er die Ausnahmestellung des unverwüstlichen Altmeisters einmal mehr am eigenen Leib erfahren müssen.