Gerade einmal vier Jahre alt war Steffi Graf, als Vater Peter ihr einen abgesägten Tennisschläger in die Hand drückte. Der Papa drosch Bälle gegen die Wohnzimmerwand. Schaffte es die Tochter, 25 Bälle am Stück zurückzuspielen, gab es als Belohnung eine Portion Eis mit heißen Himbeeren. So stand es 1987 in einem Zeit-Porträt über Steffi Graf.
Deutschlands Jahrhundert-Sportlerin
Das Training zahlte sich aus. Ein süßer Nachtisch war nicht die einzige Prämie, die sich Steffi Graf mit Tennis verdiente. Die Sportlerin gewann in ihrer Karriere fast 22 Millionen US-Dollar an Preisgeldern. Es gibt noch weitere beeindruckende Zahlen zu Graf: 22 Grand-Slam-Siege. 107 Titelgewinne auf der WTA-Tour. 377 Wochen Nummer eins der Weltrangliste.
"Man hat sie ja nicht umsonst Gräfin genannt, weil sie einfach einmalig ist. So eine Spielerin werden wir wahrscheinlich nie wieder haben", sagte Boris Becker, die andere deutsche Tennis-Größe ihrer Generation, über sie.
Wer über die Frau aus dem badischen Brühl (geboren am 14. Juni 1969) spricht, verwendet gerne den Superlativ. Bei einer Journalistenwahl zu Deutschlands Jahrhundert-Sportlerin landete sie auf Platz eins. Der langjährige Tennis-Bundestrainer Klaus Hofsäss erklärte Steffi Graf Anfang der 1980er-Jahre zum größten Talent, das es in Deutschland je gegeben habe.
1987: Erster großer Triumph über Navratilova
Mit 13 Jahren und vier Monaten spielte die Jugendliche bereits auf der Profitour. Im Alter von 14 Jahren verließ Graf bereits die Realschule mit einer Sondergenehmigung. Bei ihren Reisen durch die Welt erhielt sie Privatunterricht.
Selber gab sie Lehrstunden in Sachen Tennis: Mit ihrer krachenden Vorhand, dem nahezu fehlerfreien Rückhand-Slice und der herausragenden Beinarbeit beherrschte Graf bald die Sportart. Auch die große Martina Navratilova konnte das Wunderkind nicht mehr stoppen. 1987 bei den French Open verlor sie das Finale gegen die Deutsche. Graf hatte bereits vor ihrem 18. Geburtstag den ersten Grand-Slam-Titel geholt.
1988: Der historische Golden Slam
Es folgte eine Phase der absoluten Dominanz: 1988 gewann sie die Australian Open, die French Open, Wimbledon und die US Open. Mit ihrem Sieg bei den Olympischen Spielen in Seoul vollendete sie ihr Meisterwerk: den Golden Slam.
Zusammen mit Becker sorgte Graf für einen Tennis-Boom, eine ganze Zuschauer-Generation war gebannt von ihren großen Duellen mit Rivalinnen wie Navratilova, Gabriela Sabatini, Arantxa Sánchez Vicario.
Die Erfolge brachten Graf auch lukrative Werbeverträge ein. Für einen Spot funktionierte sie die Wimbledon-Schale zum Nudelteller um. Graf lächelte für Autos, Tee, Sportkleidung und Deodorant in die Kamera.
Und Otto Waalkes gewann die Sportlerin für eine Gastrolle in seinem Kinofilm "Otto, der Außerfriesische".
1993: Aufstieg von Konkurrentin Monica Seles endet mit Drama
Steffi Graf stand jahrelang auf der Sonnenseite. Erst ein neues Wunderkind auf dem Tennisplatz stellte sie vor Probleme: Monica Seles. Die Serbin war zu Beginn der 1990er-Jahre die größte Rivalin der Brühlerin. Seles löste Graf auch als Nummer eins der Welt ab. Die beiden lieferten sich packende Duelle.
Als 1993 das Turnier am Hamburger Rothenbaum gespielt wurde, hofften die Fans auf das Traumduell im Endspiel. Doch dann geschah im Viertelfinale Unglaubliches: Günter Parche, ein glühender Graf-Verehrer, stach mit einem Messer auf Monica Seles ein.
Das Opfer schrie vor Schmerzen, sie musste mit dem Rollstuhl vom Platz gefahren werden. Graf besuchte ihre Konkurrentin im Krankenhaus. Es flossen Tränen. Seles kehrte erst 27 Monate nach dem Attentat auf die WTA-Tour zurück, wurde aber nie mehr so gut wie zuvor.
1997: Vater Peter Graf nach Steuer-Skandal verurteilt
In Abwesenheit ihrer stärksten Gegnerin schaffte es Graf zurück an die Spitze: 1995 und 1996 holte sie insgesamt sechs Grand-Slam-Titel – und doch wirkte die Deutsche in dieser Phase oft nachdenklich. Die Steueraffäre um Peter Graf nagte an ihr. Der Vater des Superstars hatte dem deutschen Fiskus Einnahmen seiner Tochter in Höhe von rund 42 Millionen D-Mark verschwiegen.
1997 verurteilte ein Gericht Peter Graf zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Das Verfahren gegen Steffi Graf wurde eingestellt. Sie konnte nachweisen, nichts von der Steuerhinterziehung gewusst zu haben.
Nicht nur der Skandal um ihren Vater machte der Sportlerin zu schaffen. Hinzu kamen Verletzungsprobleme: Es gab damals kaum einen Bericht über Graf, in dem es nicht um die verflixte Patellasehne ging. Sie ließ sich operieren, fiel mehr als zwölf Monate aus. In der Weltrangliste tauchte Graf im Juni 1998 gar nicht mehr auf.
1999: Generationen-Duell mit Martina Hingis
Es drohte bereits das Karriere-Ende. Doch Graf kam noch einmal zurück. Und wie. Mittlerweile hatte ein neues Wunderkind die Tennisplätze der Welt erobert: die Schweizerin Martina Hingis. Sie traf bei den French Open 1999 auf Steffi Graf. Ein Finalduell der Generationen. Die Sympathien waren klar verteilt. In Roland Garros ertönten "Steffi, Steffi"-Sprechchöre. Und "Fräulein Vorhand" lieferte.
Sie bezwang die 18 Jahre alte Gegnerin in einem nervenaufreibenden, für Hingis in Tränen endenden Spiel über drei Sätze. "Das war der schönste Moment meiner Karriere. Der schönste, der unerwartetste Sieg. Das werde ich niemals vergessen", sagte Graf nach ihrem letzten Triumph bei einem Grand-Slam-Turnier - auf den wenig später der emotionale und zu diesem Zeitpunkt überraschende Rücktritt folgte, bevor sie die Saison zu Ende gespielt hatte.
2001: Hochzeit mit André Agassi
In der Herrenkonkurrenz gewann in Paris damals André Agassi. Der US-Amerikaner wurde später der Mann an Grafs Seite. 2001 heiratete das Tennis-Traumpaar, Graf und Agassi leben mittlerweile mit dem als Baseballer hervorstechenden Sohn Jaden Gil (geboren 2001) und Tochter Jaz Elle (2003) in Las Vegas. Die Öffentlichkeit meidet die Familie weitestgehend.
Wenige Tage vor Grafs 50. Geburtstag 2019 meldete sich Agassi aber via Bild zu Wort. „Wenn sie stillsteht, ist sie eine Göttin - in Bewegung ein Gedicht“, sagte der Gewinner von acht Grand-Slam-Titeln über seine Gattin. Agassis Worte wirken kitschig. Und trotzdem: Dass Grafs Bewegungen ein Gedicht sind, wird jeder Tennis-Fan bestätigen.