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Tour de France: Doping? Ketonpräparate sorgen für Wirbel

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Tour de France: Doping? Ketonpräparate sorgen für Wirbel

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Zweifelhafte Präparate spalten Tour

Bei der Tour de France schwört nicht nur Tony Martins Team auf Ketonpräparate. Andere lehnen die Substanz ab, weil Langzeitwirkungen nicht erforscht sind.
Aus einer normalen Sprintetappe wird im Seitenwind ein packendes Drama. Auf der zehnten Etappe der Tour de France nach Albi wird die Gesamtwertung durcheinander gewirbelt.
Bei der Tour de France schwört nicht nur Tony Martins Team auf Ketonpräparate. Andere lehnen die Substanz ab, weil Langzeitwirkungen nicht erforscht sind.

Bis zu 15 Prozent mehr Leistung bei Ausdauersportlern, ganz legal, ohne Ärger mit den Doping-Jägern.

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Klingt zu schön, um wahr zu sein? So scheint es aber aktuell. Kein Wunder also, dass bei der Tour de France (täglich im LIVETICKER) zurückgegriffen wird auf ein Nahrungsergänzungsmittel, das gerade für größeren Gesprächsstoff im und ums Peloton sorgt: Ketonpräparate.

Jumbo Visma, das niederländische Team von Tony Martin, gibt offen zu, das leistungssteigernde Mittel zu verwenden - was aufmerksam registriert wird: Schließlich hat die Équipe von den ersten zehn Etappen vier gewonnen.

Teamchefs verteidigen Einnahme

"Ketone sind Nahrungsergänzungsmittel. Die Substanz steht nicht auf der verbotenen Liste. Es ist bekannt, dass mehrere Teams sie verwenden", sagte Teamchef Richard Plugge der niederländischen Zeitung De Telegraaf.

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Auch der deutsche Rennstall Bora-hansgrohe hat mit Ketonpräparaten experimentiert, wie dessen Boss Ralph Denk der Nachrichtenagentur dpa bestätigte: "Das ist kein Doping. Es hat auch bei uns schon Tests gegeben." Man wäre "fehl am Platz, wenn wir uns dazu noch keine Gedanken gemacht hätten". Denk ließ allerdings offen, ob das Experiment noch läuft und verwies auf "Betriebsgeheimnisse".

Doping-Experte Sörgel sieht Wirkung kritisch

Der profilierte Nürnberger Pharmakologe und Doping-Experte Fritz Sörgel sieht den Umgang mit den Substanzen und auch ihre Wirkung kritisch, wie er bei SPORT1 erklärt.

"Nahrungsergänzungsmittel im Sport gab es schon lange. Was jetzt dazu kommt, ist, dass man alles sehr gezielt macht. Große Teams haben Ernährungsberater und eben auch viele Quacksalber. Aber es scheint so zu sein, dass der Spruch "viel hilft viel" in "viel hilft - vielleicht" umformuliert wird", meint der Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung: "Und dann kommt natürlich die Placebowirkung bei Sportlern dazu, die nach meiner Einschätzung über 30 Prozent liegt, bei Einzelnen sogar mehr."

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Seine Einschätzung ist klar: "Wissenschaftlich bewiesen ist das nicht, was da alles gemacht wird. Auch die Ketonstoffe sind in ihrer Wirkung fraglich. Sie sind ein moderner medizinischer Tausendsassa, auch in der Krebstherapie versuchen es einige damit."

Der Biochemiker und Sportwissenschaftler Prof. Wilhelm Schänzer von der Deutschen Sporthochschule in Köln ist ebenfalls skeptisch.

"Die mit dem Begriff Ketone verwendeten Supplemente sind aus meiner Sicht Substanzen, wie z.B. im wesentlichen ß-Hydroxybuttersäure, die der menschliche Organismus auch vermehrt bei Hunger bildet", befindet der Doping-Experte: "Diese Ketone werden nach Umwandlung im Organismus zur Energiegewinnung verwendet. Meine Einschätzung zur Leistungssteigerung ist sehr skeptisch. Die Nahrungsergänzungsmittelindustrie versucht damit natürlich, Gewinn zu machen."

Was sind Ketone?

Ketone sind an sich ein körpereigener Stoff, produziert von der Leber als eine Art Reserve-Energie, wenn die Glukose-Vorräte verbraucht sind.

"Nahrungsergänzungsmittel sollen auf vielfältige Weise wirken", erklärt Sörgel: "Mineralien wie Magnesium sollen für den Muskel gut sein, Kreatin für den Eiweißaufbau, und jetzt eben auch Ketonkörper, die den Organismus auf Fettverbrennung umstellen. So bleibt die Energieversorgung des Körpers mit Kohlehydraten unbeeinflusst. Die abgebauten Fette stellen länger anhaltend Energie zur Verfügung."

Zumindest an der belgischen Universität Leuven wurde die leistungssteigernde Wirkung der chemischen Präparate erforscht und bestätigt.

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AG2R und FDJ lehnen Präparate ab

Dennoch stürzen sich anscheinend nicht alle Teams so begeistert auf das vermeintliche Wundermittel: Die französische Zeitung L'Équipe zitierte die Ärzte der Teams AG2R, Arkea Samsic und FDJ, die von Ketonpräparaten absehen und abraten würden. Zu ungewiss seien die Langzeitfolgen für den Körper.

"Die Datenlage, was Ketone langfristig bewirken, ist extrem spärlich. Ich würde sie niemandem empfehlen", sekundierte auch die Schweizer Ernährungsspezialistin Joelle Flück im Blick. An gleicher Stelle relativiert Triathlet Jan van Berkel: "Ketonekörper werden als das nächste Wundermittel gehandelt, das sind sie aber nicht." Sie seien banale Energieträger wie Kohlehydrate oder Fette.

"Da wird alles genommen, was die Küche hergibt"

Sörgel sieht das vermeintliche Wundermittel als einen neuen Ansatz der Branche, noch mehr aus den Athleten herauszuholen.

"Es ist ein Wechsel von Anabolika, Eigenblutdoping und Epo auf eine Vielzahl von in der Wirkung zweifelhaften Stoffen", erklärt der Experte bei SPORT1: "Bei Epo und Blut lag der Fokus auf Sauerstoffversorgung und mehr Energie für den Muskel, jetzt heißt es direkt Energie in den Stoffwechsel bringen und so die Leistungsfähigkeit des Muskels erhöhen."

Kritisch sieht Sörgel auch den sorglosen Umgang mit den erlaubten Substanzen und findet es bedenklich, wie Athleten den Einsatz erlaubter Hilfsmittel zum Äußersten treiben. "Da wird alles genommen, was die Küche hergibt und die Chance hat, den Stoffwechsel Richtung Leistungssteigerung zu dirigieren", zitiert ihn die Süddeutsche Zeitung

Seine Forderung an die Branche: "Totale Transparenz, bei allen Medikamenten."