Am Tag danach ist die Ordnung zumindest im Gesamtklassement wieder einigermaßen hergestellt. Das Drama um Chris Froome am Mont Ventoux auf der zwölften Etappe hat die Tour de France aber nachhaltig erschüttert.
Jogger Froome: Zu Unrecht in Gelb?
Die Organisatoren müssen sich nach dem Crash des Spitzenreiters viele unangenehme Fragen gefallen lassen.
SPORT1 nennt die wichtigsten Fakten.
- Wie konnte es dazu kommen?
Wegen des heftigen Winds am Mont Ventoux über der Baumgrenze verkürzten die Organisatoren die Etappe um sechs Kilometer. Das Problem: An der neuen Ziellinie war längst nicht alles bereit.
Eine Bergankunft zieht bei der Tour immer die Massen an, entsprechend nötig sind Absperrungen. Diese hatten die Helfer aber nur teilweise talwärts transportieren und an den neuen Schlüsselstellen platzieren können.
Etwas mehr als einen Kilometer vor dem Ziel fehlten die schützenden Gitter. Fans blockierten die Straße, ein Motorrad kam zum Stehen, direkt vor Richie Porte, Bauke Mollena und eben Froome, die alle vollkommen chancenlos jeweils in ihren Vordermann crashten. Zudem raste von hinten noch ein weiteres Motorrad in Froome hinein und zerstörte sein Fahrrad.
- Warum ist Froome gelaufen?
Der Spitzenreiter selbst erklärte im französischen Fernsehen: "Ich habe mir gesagt, 'Ich habe kein Fahrrad und mein Auto mit einem neuen Rad ist fünf Kilometer hinter mir. Also laufe ich mal ein bisschen.'"
Froome war unmittelbar vor der Ein-Kilometer-Marke und hoffte womöglich auch, dass es genügen würde, diese zu erreichen. Zu diesem Zeitpunkt war nämlich noch längst nicht klar, wie die Jury entscheiden würde.
Normalerweise bekommt ein Fahrer die gleiche Zeit wie seine aktuellen Begleiter gutgeschrieben, wenn er auf den letzten drei Etappenkilometern stürzt. Das gilt so automatisch aber nicht für die Bergankünfte.
- Darf er das überhaupt?
Die Regeln der Tour besagen: Jeder Fahrer muss eine Etappe mit einem Rad beginnen und im Ziel mit einem ankommen - selbst wenn dieses beschädigt ist und es keinen Ersatz gibt.
Was dazwischen passiert, ist jedoch nicht genau festgelegt.
Die Jury beriet, ob sie Froome bestrafen soll und entschied sich dagegen. Schließlich hatte er keinen Vorteil aus seiner Jogging-Einlage.
- Wie waren die Reaktionen?
Die vielen französischen Fans an der Strecke und im Ziel bejubelten zunächst Froomes Unglück und buhten ihn anschließend aus, als er am Abend doch noch das Gelbe Trikot überreicht bekam.
Im Fahrerlager war die Mehrheit jedoch eindeutig auf Froomes Seite.
"Ich bin zufrieden mit der Entscheidung", sagte etwa Adam Yates, der zunächst die Spitze der Tour von Froome übernommen hatte. "So will ich das Gelbe Trikot nicht bekommen. Ich möchte es mit meinen Beinen gewinnen."
Stattdessen richtete sich die Wut der Fahrer gegen die Organisatoren. "Wenn man die Zuschauer nicht kontrollieren kann, was kann man kontrollieren?", schimpfte etwa Richie Porte, Froomes ehemaliger Teamkollege.
"Das Problem sind nicht die Motorräder, sondern die Zuschauer. Sie sind die ganze Zeit aggressiv und schubsen die Fahrer. Das ist doch verrückt!"
Der viermalige Zeitfahrweltmeister Fabian Cancellara urteilte bei Twitter: "Was für ein Skandal für die Tour. Keine Sicherheit und zu viel Chaos am Mont Ventoux."
- Gab es das schon einmal?
In dieser Form sicher nicht. Der Träger des Gelben Trikots rennt einen der bedeutendsten Gipfel der Tour de France hoch - dieses Bild ist schon jetzt Radsportgeschichte.
Schon häufiger geriet der Spitzenreiter jedoch in akute Not. Lance Armstrong etwa musste 2003 in Gap eine Abkürzung über ein Feld nehmen, als er bergab die Kontrolle verlor. Er rannte mit seinem Rad auf der Schulter zurück auf die Straße.
Schlimme von Außenstehenden verursachte Unfälle gab es dagegen schon häufiger: 1994 etwa löste ein auf der Zielgeraden fotografierender Polizist in Armentieres einen Massensturz aus, 2011 fuhr ein TV-Fahrzeug in zwei Fahrer hinein.