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Kaum noch Doping-Tests: Olympia 2021 in Tokio könnten unfaire Spiele werden

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Kaum noch Doping-Tests: Olympia 2021 in Tokio könnten unfaire Spiele werden

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Tokio 2021 - Die Spiele der Doper?

Doping-Tests gibt es wegen Corona kaum noch. Doch überführte Sportler werden bei Olympia 2021 dabei sein - es drohen unfaire Spiele, warnen Athleten und Experten.
Gamze Bulut dürfte von der Olympia-Verschiebung profitieren, befürchtet Fritz Sörgel
Gamze Bulut dürfte von der Olympia-Verschiebung profitieren, befürchtet Fritz Sörgel
© SPORT1-Grafik: Marc Tirl/Getty Images/Imago/iStock
Doping-Tests gibt es wegen Corona kaum noch. Doch überführte Sportler werden bei Olympia 2021 dabei sein - es drohen unfaire Spiele, warnen Athleten und Experten.

Unverhofft kommt oft – und in diesem Fall trifft das Glück nachgewiesene Doping-Sünder.

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Zahlreiche überführte Athleten hätten die Olympischen Spiele in Tokio verpasst – Beispiele gefällig?  Gamze Bulut, türkische Läuferin, der nach ihrem Olympiasieg von 2012 über 1500 Meter eine Vier-Jahres-Sperre auferlegt bekam. 

Oder die Schwimmer Conor Dwyer (USA / zweimalige Staffel-Olympiasieger 2012) und Roland Schoeman (Südafrika / Gold bei den Spielen 2004 in Athen und noch immer aktiv), der irische Boxer Michael O’Reilly (WM-Dritter 2015), dazu Ruth Jebet (Bahrain/Goldmedaillengewinnerin 2016 über 3000 m Hindernis), die ukrainische Mittelstreckenläuferin Natalja Krol, (Europameisterin von 2016 und 2018 über 800 Meter) sowie nach aktuellem Stand 61 (!) Gewichtheber.

Doch die Coronavirus-Pandemie und die damit verbundene Verlegung auf nächstes Jahr gibt Athleten die nun die Zeit, Tokio nach ihrer Sperre doch noch in Angriff zu nehmen. Regelkonform, aber mit reichlich Konkfliktpotenzial unter den Athleten.

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Denn zum Dilemma kommt erschwerend dazu, dass in der Coronakrise Dopingkontrollen fast vollständig auf Eis gelegt sind. Das Risiko nun beim Dopen erwischt zu werden, tendiert gegen null.

Die Hemmschwelle, zu illegalen Substanzen zu greifen sinkt gewaltig – eine Hypothese, die Doping-Experte Fritz Sörgel nicht als "aus der Luft gegriffen" ansieht: "Aus jahrzehntelanger Erfahrung des Dopingmissbrauchs wissen wir: Es wird vermehrt von denen gedopt wird, die eher unter dem Radar schwimmen und diese Mittel als ihre einzige Chance wahrnehmen, an die Spitze zu gelangen“, warnt der Pharmazeut gegenüber SPORT1 und prophezeit den Spielen 2021 ein schlechtes Licht.

Die wenigen verbliebenen Kontrollen würden schließlich kaum für Sportler aus der zweiten Reihe verwendet werden.

Olympia 2021 "unglückliche Entscheidung"

In Deutschland etwa sind bislang rund 95 Prozent aller Doping-Tests ausgesetzt, bestätigte Mario Thevis der Funke Mediengrupe, der das Kölner Doping-Kontrollabor leitet. Grund dafür ist die Ansteckungsgefahr mit dem mutierten Erreger, die während der Kontrollen befürchtet wird. Seit Anfang Februar setzte die chinesische Anti-Doping Agentur ihre Tests deshalb aus - weitere Labore folgten diesem Beispiel.

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Das Event im nächsten Jahr auszutragen, bezeichnet Sörgel daher als "eine unglückliche Entscheidung". Denn vieles habe das IOC mit dieser Entscheidung nicht bedacht, bemängelt der Leiter des Instituts für Biomedizinische und Pharmazeutische Forschung in Nürnberg. Der Wissenschaftler glaubt nicht daran, dass die Tests zeitnah wieder vollständig anlaufen können. Mit einer vollständigen Auslastung der Kontrollen rechnet Sörgel sogar erst wieder im Januar - "wenn alles gut geht", schiebt der Dopingexperte ein. "Dann haben wir bis sieben Monate vor Olympia nicht richtig kontrolliert. Das zeigt das ganze Dilemma um die Spiele 2021."

Die unfairsten Spiele aller Zeiten?

Stehen uns also die unfairsten Olympischen Wettbewerbe seit es Dopingkontrollen gibt bevor? Auch Athleten fangen an, sich über diese Befürchtung zu Gedanken zu machen.

Im SPORT1-Interview sprach Zehnkampf-Weltmeister Niklas Kaul diese Problematik an – jedoch mit der Hoffnung, die Verlegung könnte dem Kontroll-System Zeit geben, sich neu aufzustellen.

"Das Testsystem kann derzeit leider nicht mehr so lückenlos funktionieren. Wenn Olympia dieses Jahr stattgefunden hätte, wie sauber wären dann die Spiele geworden? Ich hoffe, dass es so fair zugeht, wie es nur eben geht", sagte der 22 Jahre alte Ausnahmesportler.

Drastischere Worte wählte Kugelstoßerin Christina Schwanitz in der ARD-Sportschau: "Die Leute können sich doch jetzt vollstopfen mit irgendwelchem Zeug, und nächstes Jahr in Tokio sehen sie aus wie ein Bär", klagt die 34-Jährige. "Wenn sie es zeitig genug absetzen, sind sie trotzdem wieder sauber - nur eben mit 20 Kilo mehr Muskelmasse."

Die NADA versucht derweil, Sportler trotz aller Umstände vor illegalen Substanzen abzuschrecken. Einen Zeitraum, wann die Kontrollen wieder hochgefahren werden, nennt die Agentur aber noch nicht. "Sofern es die Lage zulässt", teilte ein Sprecher der Deutschen Presse-Agentur (dpa) mit. Die Anti-Doping Behörde versichert: "Die Logistik ist weiterhin in vollem Umfang vorhanden und das Kontrollsystem kann sehr schnell wieder in gewohnter Quantität und Qualität anlaufen."

Sebastian Coe droht Betrügern

Auch Sebastian Coe, Präsident des Leichtathletik-Weltverbandes, versucht bedrohlich auf Sportler einzureden, die jetzt mit leistungssteigernden Mittel liebäugeln: "Ich möchte eine ganz klare Botschaft an die Athleten senden: Sitzen Sie nicht da und denken Sie, dies sei eine testfreie Zeit! Das ist sie nicht", sagte der Brite der Deutschen Welle. Wenn sich jemand nicht an die Regeln des Sports hält "werden wir Sie erwischen."

Anti-Doping Kämpfer Fritz Sörgel kommt zu einer anderen Einschätzung der Lage. "Die Entscheidungsträger sagen natürlich, sie hätten alles im Griff – was sollen sie auch anderes machen? In diesem Fall aber lügen die Zahlen nicht und man sieht, dass eben nichts im Griff ist." Je länger Kontrollen auf Eis gelegt sind, desto schwieriger sei es, die Logistik wieder auf das erforderliche Level hochzufahren, warnt er. "Es könnte sein, dass viele Mitarbeiter dann einen anderen Job – etwa in der Industrie mit besserem Verdienst – suchen."

USADA: Doping Kontrollen via Webcam 

Doch auch der Dopingexperte muss die Zwickmühle anerkennen, in der Doping-Behörden momentan stecken. Trotz aller Diskussionen um den Coronavirus, die Anzahl an Tests hoch zu halten, sei höchstens mit regelmäßigen Corona-Tests für Kontrolleure und Athleten zu bewerkstelligen, sagt Sörgel. Viele Abstriche würden also für den Sport gebraucht werden – das führt zu hitzigen Debatten, wie auch das Beispiel Bundesliga-Neustart deutlich zeigt.

Einen interessanten Weg dagegen geht die US-Amerikanische Anti-Doping Agentur (USADA), um auch während der Krise Dopingproben zu nehmen: Sie führen Kontrollen per Webcam durch. Momentan befänden sich die "Webcam-Kontrollen" in einer Testphase, berichtet USADA-Chef Travis Tygert.

Sportler, darunter Schwimm-Star Katie Ledecky beteiligten sich freiwillig daran. Vor laufender Kamera führen die Athleten die Urinproben durch und schicken diese selbst an das USADA-Labor, ähnliches ist auch mit Blutproben geplant. Ob das die Athleten mitmachen? "Es war sehr angenehm", meint Ledecky in den New York Times.

Sörgel sieht Protestaktionen skeptisch

Was sich wohl nicht ändern lässt: Dass Athleten bei In Tokio 2021 Seite an Seite mit eigentlich suspendierten Sportlern antreten werden. "Das ist sogar eigentlich das schlimmste an der ganzen Geschichte, dass die davon profitieren können", findet Sörgel. Er fordert Lösungen, doch gleichzeitig gibt es kaum Hoffnung, juristisch festgelegte Sperren ein ganzes Jahr lang zu verlängern.

Möglicherweise könnte es, wie 2016 etwa bei der russischen Schwimmerin Julija Jefimova geschehen, zu Buhrufen kommen.

Sörgel erwartet weniger von den Fans solche Protestaktionen: "Ich glaube eher, dass es in Athleten-Kreisen brodeln wird." Der Anti-Doping Kämpfer hätte für Proteste, wie sie etwa dem Schwimmer Sun Yang bei der Weltmeisterschaft 2019 widerfuhr, Verständnis: "Mir tun die Athleten einfach Leid. Ich kann ihren Ärger voll verstehen. Es ist bitter, dass Sünder nun doch noch in den Kampf um Medaillen eingreifen können."

Andererseits hat man in unserer Gesellschaft nach abgesessener Strafe das Recht auf Eingliederung in die Gesellschaft - das gilt eben auch für Sportler. Angesichts von mehreren 100.000 Toten auf der ganzen Welt ist die Olympia-Teilnahme von überführten Dopern sicher nicht die schlimmste Folge der Coronakrise.

Immerhin: Alle, die sich bislang für Olympia 2021 qualifiziert haben, dürfen auch im nächsten Jahr starten.

Mitarbeit: Christian Scharbert