Verabscheuungswürdig, peinlich, enttäuschend: Diskus-Star Robert Harting hat den deutschen IOC-Präsidenten Thomas Bach nach der Olympia-Zulassung für russische Sportler trotz des massiven Dopingbetrugs mit scharfen Worten attackiert.
Harting: "Bach nicht mehr tragbar"
"Ich stehe ihm mit tiefer Enttäuschung gegenüber. Für mich ist er etwas, was ganz weit weg ist, wovor ich mich ekle und womit ich nichts zu tun haben will", sagte Harting in Kienbaum im Gespräch mit SPORT1.
Zuvor hatte er erklärt: "Er ist für mich Teil des Doping-Systems, nicht des Anti-Doping-Systems. Ich schäme mich für Thomas Bach."
"Neue Enttäuschungsdimension"
Bach habe kurz vor Beginn der Spiele in Rio de Janeiro (5. bis 21. August) "keinerlei Interesse, den Schmerz der sauberen Athleten zu fühlen". Nach der Entscheidung des IOC mit Bach an der Spitze sei für Harting ein Stück weit die "Welt untergegangen. Und ich kann das eigentlich nicht verstehen."
Das IOC und Bach haben "eine neue Enttäuschungsdimension erreicht", sagte der 31 Jahre alte Berliner.
Die Entwicklungen der vergangenen Tage, ein russisches Team trotz der Beweise für ein systematisches und staatlich geschütztes Dopingsystem nach Rio zu lassen, seien "ein furchtbares Signal", so Harting gegenüber SPORT1: "Er ist für mich als IOC-Präsident nicht weiter tragbar. Er nimmt meine Werte als Athlet nicht wahr."
Dass die russischen Leichtathleten im Gegensatz zu Athleten anderer Sportarten international weiter gesperrt sind, bezeichnete Harting als "richtige Maßnahme. Das ist vielleicht ein Weckruf."
"Echt traurig"
Am Sonntag hatten Bach und sein Exekutiv-Komitee trotz der Enthüllungen im McLaren-Report der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA beschlossen, ein russisches Team unter bestimmten Auflagen für die Spiele an der Copacabana zuzulassen.
Dafür hagelte es für Bach internationale Kritik, zumal die IOC-Ethikkommission der Doping-Whistleblowerin Julija Stepanowa den Start als "neutrale Athletin" in Rio verwehrte. Das sei "echt traurig", sagte Harting.
Zwar habe die 800-m-Läuferin der Leichtathletik mit ihrer Dopingvergangenheit "Schaden zugefügt. Aber der Schaden, den sie von der Leichtathletik abgewendet hat, ist viel größer."
Schadensersatzklage durch Stepanowa?
Allerdings wäre ein Start Stepanowas ein "Schlag ins Gesicht von Wladimir Putin gewesen", meinte Harting, der in einer Stiftung mithilft, Geld für die ins Ausland geflüchtete Kronzeugin zu sammeln.
Russlands Präsident Putin gilt als Vertrauter Bachs.
Diese Verbindung sei für einen Start Stepanowas nicht gerade hilfreich gewesen, sagte Harting und brachte eine Schadensersatzklage durch die Russin ins Spiel.
Hambüchen zwiegespalten
Auch Spitzen-Turner Fabian Hambüchen stellte das Vorgehen des IOC in Frage:
"Es ist ganz schwierig für uns Sportler, dazu groß etwas zu sagen. Aber wenn das Doping staatlich organisiert ist, was durch den McLaren-Report ja nachgewiesen wurde, ist das schon eine krasse Nummer. Wir stehen alle für einen sauberen und fairen Sport. Darum ist diese Entscheidung als schwierig zu beurteilen", sagte der zweifache Olympia-Medaillengewinner zu SPORT1.
Bach kontert Harting-Kritik
Thomas Bach hat in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur zu einem Konter gegen die Harting-Kritik angesetzt.
"Es ist eine nicht akzeptable Entgleisung, wenn man jemanden, der nicht der eigenen Meinung ist, in derartiger Art und Weise beleidigt", sagte Bach.
Harting peilt Gold an
Harting selbst bereit sich derzeit in Kienbaum intensiv auf Rio vor, nachdem er kurz nach dem Saisonende 2014 im Training einen Kreuzbandriss im linken Knie erlitten und die komplette Saison 2015 verpasst hatte.
Wegen eines Muskelfaserrisses im Brustmuskel und einer Entzündung im rechten Knie musste er zudem im Frühling im Training kürzer treten.
Trotzdem peilt der Weltmeister von 2009 bis 2013 wieder Gold an.
"Die anderen Jungs kochen auch nur mit Wasser - hoffentlich", sagte Harting, der mit 68,04 m hinter seinem Dauerrivalen und Weltmeister Piotr Malachowski (68,15) aus Polen und seinem jüngeren Bruder Christoph (68,06) im Moment die Nummer drei der Welt ist.