Das besonders tragische an der Geschichte von Andrew „Test“ Martin ist, dass er sehr genau wusste, was ihm drohte.
Eine beklemmende WWE-Tragödie
„Ich bin gerade 32 Jahre alt geworden und war schon auf acht Beerdigungen“, sagte der frühere WWE-Star 2007 in einem Interview: „Es ist schlimm, aber es hat meine Augen geöffnet und dazu geführt, dass ich meinen Fuß aus dem Grab genommen habe. Ich will nicht Teil dieses Clubs werden.“ (NEWS: Alle Neuigkeiten zu WWE)
Zwei Jahre später starb Martin mit nur 33 Jahren - und wurde zu einem weiteren tragischen Beleg für die damals endemischen Probleme der Wrestling-Branche.
Eine Hochzeit war Tests berühmtester WWE-Moment
Martin galt einst potenziell großer WWE-Star der Zukunft, entdeckt von keinem Geringeren als Bret „The Hitman“ Hart, dem der 1,98 Meter große Kanadier bei einem Restaurantbesuch in der Heimat Kanada zufällig ins Auge sprang – Martin arbeitete als Türsteher für die Planet-Hollywood-Filiale in Toronto.
Unter Hart und seinem kürzlich verstorbenen Weggefährten Leo Burke absolvierte Martin ein achtmonatiges Trainingscamp, mit dabei waren unter anderem auch die späteren Topstars Adam Copeland und Jey Reso (Edge und Christian). Bald darauf wurde der Hüne von WWE (damals: WWF) rekrutiert und größer herausgebracht.
Seinen berühmtesten Auftritt hatte Martin heute vor 25 Jahren bei einer inszenierten Hochzeit mit Stephanie McMahon, Tochter von WWE-Gründer Vince McMahon. Wie immer bei Wrestling-Heiraten gab es eine dramatische Wendung: Die Zeremonie wurde gesprengt vom heutigen WWE-Vorstand Paul Levesque alias Triple H, der enthüllte, dass er Stephanie in Las Vegas schon selbst geheiratet hatte, scheinbar unter Ausnutzung von Trunkenheit.
Später stellte sich heraus, dass Triple H und Stephanie unter einer Decke steckten - der Beginn der Drehbuchromanze zwischen den beiden, die sich zu einer realen Ehe entwickelte.
Karriere-Knick mündet in Entlassung
Der damals 24-jährige Martin war bei WWE nicht so erfolgreich wie der damalige Widersacher Triple H es wurde, dennoch war der athletische Big Man mehrere Jahre lang ein markantes Gesicht der Attitude Era, der damaligen Boomphase der Liga.
Martin stand im Ring mit Dwayne „The Rock“ Johnson, dem Undertaker und zahllosen anderen Stars der Ära und hielt diverse Titel, unter anderem den traditionsreichen Intercontinental Title und zwei Tag-Team-Titel an der Seite von Hall-of-Fame-Mitglied Booker T.
Später bildete Martin auch ein Duo mit Scott Steiner, mit Stacy Keibler als Managerin - Martin war auch mehrere Jahre privat liiert mit der späteren Lebensgefährtin von Hollywood-Star George Clooney.
Zum damaligen Zeitpunkt hatte Martin schon einen gewissen Karriere-Knick und wurde schließlich Ende 2004 von WWE entlassen. Eine Wiedereinstellung im Frühjahr 2006 verbesserte Martins Ruf letztlich nicht, im Gegenteil: Der Versuch, ihn im damaligen ECW-Kader als Gegenspieler des jungen Bobby Lashley neu zu etablieren, floppte. Hinzu kam ein Positivtest auf Steroide - und kurz darauf die zweite Entlassung.
Tod durch Überdosis im Jahr 2009
Vor und nach seinem zweiten WWE-Engagement war Martin mehrfach in den Negativschlagzeilen: Er hatte Probleme mit Medikamentenabhängigkeit, wurde 2008 wegen Fahrens im benebelten Zustand verhaftet, im Jahr vorher gab es Gerüchte um eine lebensbedrohliche Überdosis.
Martin, damals liiert mit Ex-WWE-Kollegin Barbara Blank (Kelly Kelly), begab sich im Sommer 2008 in eine von WWE finanzierte Entzugstherapie, die er nach Schilderung von Kollegen mustergültig absolvierte.
Am 13. März 2009 beobachtete eine Nachbarin, dass Martin leblos in seiner Wohnung in Tampa auf der Couch lag. Die von der Frau alarmierte Polizei konnte nur noch seinen Tod feststellen. Als Ursache wurde später eine wohl versehentliche Überdosis Oxycodon festgestellt. Das missbrauchsanfällige Opioid hat in den USA als „Hillbilly Heroin“ traurige Berühmtheit erlangt und hatte auch eine Rolle beim Tod von Hollywood-Schauspieler Heath Ledger ein Jahr zuvor gespielt.
Das persönliche Drama Andrew Martins war auch deshalb beklemmend, weil immer wieder ersichtlich war, dass Martin ein reflektierter Mensch war, dem wohlbewusst war, in welcher Gefahr er schwebte.
Brandbrief nach Tod von Eddie Guerrero
Ende 2005 bewegte er die Szene mit einem ausführlichen persönlichen Statement zum Tod seines Ex-Kollegen Eddie Guerrero, der zugleich ein Brandbrief über die Zustände bei WWE in seiner Branche allgemein war.
„Wer ist der Nächste? Wer ist der Nächste, der sterben wird?“, schrieb Martin bei der damals populären Social-Media-Plattform MySpace: „Ich allein kenne 15 bis 20 Leute, die frühzeitig gestorben sind, meist aufgrund von Schmerzmitteln. […] Warum sterben so viele Wrestler wegen solcher Dinge und Football- und Eishockeyspieler nicht? Die Antwort ist einfach: Wrestler, WWE-Wrestler vor allem, arbeiten fünf Tage pro Woche, das ganze Jahr und legen im Ring eine harte Landung nach der anderen hin.“
Seine Entlassung trotz Verletzung kritisierte Martin in dem Zusammenhang als fatales Signal von WWE an die Wrestler, sich im Zweifel lieber noch mehr zu schinden und in die Schmerzmittelabhängigkeit zu driften, statt ihrem Körper lebenswichtige Erholung zu gönnen.
Wer von Martins drastischem Alarmruf mitbekommen hatte, war umso irritierter davon, dass er nur wenige Monate später wieder bei WWE unterschrieb - und dabei muskulöser denn je aussah.
Andrew Martin litt an CTE
Den Verdacht, dass Martin seinen Körper mit Steroidmissbrauch weiter geschädigt hatte, bestätigte der spätere Positivtest. Martins Reaktion stand im krassen Widerspruch zu seinen nachdenklichen Tönen im Jahr zuvor: Er verharmloste Steroide in einem weiteren Posting als „kosmetische“ Angelegenheit, die im Wrestling als Showsport eigentlich erlaubt und kein Anti-Doping-Thema sein sollten.
Martins Einlassungen waren ein Faktor dabei, dass ihm der damalige WWE-Hauptkonkurrent keinen festen Vertrag gab. Es war zu einem Zeitpunkt, als die Branche wegen der Mord-Tragödie um Chris Benoit unter verstärkter öffentlicher Beobachtung war. Wie sich durch Untersuchungen nach Martins Tod herausstellte, war auch er wie Benoit von mangelhaft behandelten Kopfverletzungen geschädigt und litt unter der Gehirnkrankheit CTE.
Martin hatte in diversen Interviews auch offenbart, dass sein Verhältnis zum Wrestling immer ein zwiespältiges war und die Branche mit spätestens 35 verlassen wollte. Er hoffte auf eine zweite Karriere als Schauspieler, hatte in seinen letzten Lebensjahren zwei kleine Rollen in Low-Budget-Horrorfilmen.