Nicht nur der deutsche Fußball, auch der erfolgreichste deutsche Wrestling-Export ist im Aufwind: Ludwig Kaiser, der Sohn der deutschen Catch-Legende Axel Dieter, erlebt beim boomenden Showkampf-Marktführer WWE aktuell das größte Hoch seiner Karriere.
„90er-Stars wären gern nochmal jung“
Vor einigen Wochen feierte der 33-Jährige aus Pinneberg seinen bislang größten Sieg gegen Ex-Champion Sheamus, bei der nahenden erstes Deutschland-Großveranstaltung Bash in Berlin am 31. August dürfte der technisch versierte Modellathlet weiter in den Blickpunkt rücken. (NEWS: Alle Neuigkeiten zu WWE)
Im SPORT1-Interview spricht Kaiser (bürgerlich: Marcel Barthel) über seinen Aufstieg, das historische Deutschland-Event - und wie er die EM-Mission des DFB-Teams sieht.
Ludwig Kaiser: „Es ist bei WWE wie im Fußball“
SPORT1: Herr Kaiser, Ihr Sieg über den langjährigen Topstar Sheamus war nach sieben Jahren bei WWE ein großer Meilenstein, für den es auch viel Fan- und Expertenlob gab - haben Sie nun Blut geleckt?
Ludwig Kaiser: Schon lange - ich weiß ja, wo ich hinwill und was ich kann. Und ich glaube, dass das auch die Firma das weiß. Ich bin ja mittlerweile schon eine Weile hier, aber alles, was passiert, ist eine Frage des richtigen Timings. In meinem Leben ist für mich bis jetzt immer irgendwie alles genau so gefallen, wie es hätte sein sollen. Es ist bei WWE wie im Fußball: Du musst die Gelegenheiten nutzen, die du bekommst. Wenn du als Joker in der 80. Minute kommst, dann tue alles, um in den 10 Minuten einen reinzuhauen. Ich für meinen Teil habe das bei WWE immer gemacht und langsam kommen die Lorbeeren, die ich mir hart erarbeitet habe. Ich kann garantieren: Was gerade kommt, ist nur der Anfang. Wir stehen vor guten Zeiten, auf jeden Fall.
SPORT1: Sheamus ist rund 25 Kilo schwerer als Sie, haben solche David-gegen-Goliath-Matches für Sie einen besonderen Reiz. Ihr Vater stand einst ja auch einige Male mit der nochmal deutlich schwereren Legende Bull Power im Ring, dem späteren Vader ...
Kaiser: Ja, die Idee David gegen Goliath ist reizvoll - ich würde es jetzt weniger auf die Körpermasse beziehen, sondern darauf, dass Sheamus mittlerweile auch einfach eine absolute Legende ist. Er hat so gut wie alles erreicht, was man erreichen kann in dieser Firma. Und nun komme eben ich, ein paar Jahre jünger und hungrig, es den Etablierten zu zeigen - Clash der Generationen! Wobei ich betonen möchte: Sheamus steht mit seinen 46 Jahren noch irre gut im Saft und gibt weiter absolut Vollgas, ich halt aber auch. Mal schauen, was noch kommt und ob der irische Herr noch mehr will (lacht).
SPORT1: Sie sind seit einigen Monaten als Einzelwrestler unterwegs, das Team mit Ihrem langjährigen Partner Giovanni Vinci / Fabian Aichner ist aufgelöst. Blicken Sie zufrieden auf die Zeit zurück - oder hätte man aus dem Team vielleicht noch etwas mehr rausholen können?
Kaiser: Ich möchte diese Frage ganz ehrlich beantworten: Wenn man mich gefragt hätte, wäre es schon vorher Zeit gewesen, getrennte Wege zu gehen. Wenn ich auf die Zeit zurückblicke, sehe ich sie als eine Art von Kompromiss: In einem Team präsentiert man sich als Einheit, gleichzeitig ging es mir auch schon immer darum, meine individuellen Qualitäten durchscheinen zu lassen, um auf mich aufmerksam zu machen und auf eigenen Beinen zu stehen. Und es ist bei Giovanni und mir an einen Punkt gekommen, an dem er mehr von dem Zusammenspiel hatte als ich.
SPORT1: Harte Worte.
Kaiser: Wie gesagt, ich möchte ehrlich sein. Wenn man sich uns anschaut, muss man feststellen, dass sein Weg woanders hingehen wird als meiner. Das weiß ich, das weiß auch er, denke ich. Jeder geht hier seinen Weg und wenn Giovanni hintendran bleibt, ist das schade für ihn, aber ich muss letztlich auf mich schauen. Ich mache hier mein Ding, lebe meinen Kindheitstraum, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten, auf dem allerhöchsten Niveau, das es geben kann. Und ich bekomme mit, dass ich positiv auffalle, dass sich Köpfe nach mir drehen, jedesmal, wenn ich da rausgehe. Dass Leute, die mich sehen, erzählen: Das ist der nächste Soundso. Jetzt liegt es daran, dass ich unter Beweis stelle, dass diese Leute Recht haben.
Bash in Berlin: „Werden die Hütte abreißen“
SPORT1: Für Ihr Heimspiel in Berlin ist noch kein Match offiziell angekündigt. Wissen oder ahnen Sie schon, was im August auf Sie zukommen wird?
Kaiser: Nein, tatsächlich noch keine Ahnung. Wir leben hier bei WWE stark im Moment und haben einen vollen Termin- und Reisekalender: Vor ein paar Monaten Australien, dann Frankreich, dann Saudi-Arabien, jetzt gerade Schottland und dann bald der allererste Premium-Live-Event auf deutschem Boden. Wird ein legendärer Tag und ich freue mich extrem, weil viele meiner Freunde und Familie da sein werden. Aber noch ist es bis dorthin ein längerer Weg, auf den ich mich hier Schritt für Schritt konzentrieren muss. Sicher ist nur: Wenn Berlin und die vorausgehende Deutschlandtour kommt, werde ich da sein und wir reißen alle zusammen die Hütte ab.
SPORT1: WWE befindet sich aktuell im größten Boom seit Jahrzehnten. Wie viel davon ist aus Ihrer Sicht schon in Deutschland angekommen - gefühlt ist ja immer noch die große Deutschland-Blüte Anfang der Neunziger mit Bret Hart und Co. die Messlatte.
Kaiser: Global betrachtet gehe ich so weit zu sagen: WWE befindet sich gerade in der besten aller Zeiten. Ich glaube, dass inzwischen auch jeder, der in den Neunzigern hier aktiv war, sich wünschen würde, nochmal jung zu sein und hier mitzumischen. Was Deutschland angeht: Wir haben da ja eine spezielle Mentalität, lassen uns nicht so leicht von Gewohnheiten abbringen und von Trends mitreißen, blicken erstmal skeptisch und vorsichtig auf alles, was da kommt. Ich hab dazu hier ja schon in der Vergangenheit meine Meinung gesagt, aber zu der Meinung gehört auch: Wenn wir Deutschen mal von etwas begeistert sind, dann sind wir es auch richtig und 100-prozentig „committed“. Und ich glaube, Bash in Berlin wird eine wunderbare Gelegenheit, die Begeisterung hier an diesen Punkt zu bringen. Die Popularität von WWE und dem Wrestling an sich ist hier gestiegen, das merke ich. Wir sind in der richtigen Spur.
SPORT1: Eine traurige Nachricht, die das deutsche Wrestling vor kurzem erschüttert hat, war der plötzliche Tod von „Bad Bones“ John Klinger. Sie standen oft mit ihm im Ring - wie haben Sie die Nachricht aufgenommen?
Kaiser: Es ist absolut tragisch und es tut mir sehr leid für seine Hinterbliebenen, ich kenne aus der gemeinsamen Zeit in Deutschland auch seinen Sohn und habe ihn sehr gerne. Persönlich stand ich John nicht so nahe wie anderen, aber ich habe großen Respekt vor seinen Leistungen: Er gehörte zum harten Kern einer Generation im deutschen Wrestling, die wirklich hart für die Szene geackert hat. Er war jemand, der wirklich geliebt hat, was er tat. Ich wünsche seiner Familie ganz viel Kraft.
SPORT1: Mit Österreich-Star Gunther, Ihrem engen Weggefährten aus der Zeit bei wXw und Co., sind Sie bei WWE weiter verbunden. Beim SummerSlam in eineinhalb Monaten trifft er auf World Champion Damian Priest. Was glauben Sie: Kommt er mit dem Titel nach Berlin?
Kaiser: Wenn man mich fragt: natürlich - keine Zweifel am Ringgeneral (lacht)! Wir sind ja beste Freunde, seit Jahrzehnten mittlerweile, und ich weiß, was er kann, und bin sehr zuversichtlich. Aber natürlich bin ich am Ende genauso gespannt wie alle anderen, wie es ausgehen wird in Cleveland.
Heim-EM? „Ich bin voll am Start!“
SPORT1: Als Fußball-Fan dürften Sie gerade auch ein Auge auf die EM in Deutschland haben.
Kaiser: Absolut, ich bin voll am Start und echt aufgeregt! Löst leider auch Heimweh aus, nachmittags den Grill anwerfen und mit den Kumpels alle Spiele durchgucken geht jetzt nicht mehr. Aber ich hab auch so richtig Bock.
SPORT1: Was trauen Sie dem DFB-Team zu beim Heimturnier?
Kaiser: Viel. Man hat ja schon bei den letzten Testspielen gemerkt, dass sich etwas bewegt hat. Ich glaube, mit Julian Nagelsmann ist für uns ein Traumszenario Wirklichkeit geworden. Ich bin ein großer Fan seiner Herangehensweise - endlich mal ein Bundestrainer, der nicht nach Name und Reputation aufstellt, sondern nach Form und Leistung. Dieser große Block aus Leverkusen- und Stuttgart-Spielern im Kader: Genau so musste es nach dieser Saison sein! Und man sieht, es ist ein richtiges Team auf dem Feld, das füreinander arbeitet, das Spirit und Feuer hat. Die Abwehr sieht viel, viel stabiler aus als bei den vergangenen Turnieren und im Mittelfeld Wirtz und Musiala als Duo zu haben: absolut unfassbar und richtig, richtig cool. Dazu Kroos mit all seiner Erfahrung und filigranen Spielkunst: Ich bin richtig, richtig happy mit dieser Mannschaft. Mit dieser Besetzung kann sie bei dem Turnier alles erreichen.