Es war ein Moment, der Wrestling-Fans in ähnlichem Maße erschütterte wie Schalke-Fans die verpasste Meisterschaft 2001 oder Bayern-Fans das „Drama dahoam“.
Taker-Schock war reales Drama
Am 6. April 2014 endete bei WWE die legendäre Siegesserie des soeben unter Tränen in die WWE Hall of Fame eingezogenen Undertaker bei WrestleMania. Am Samstag, Tag 1 der diesjährigen 40. Auflage der Megashow, jährt sich der Schocker, den viele Fans bis heute nicht ganz verdaut haben.
Obwohl es sich bei der Niederlage gegen Brock Lesnar um einen inszenierten Drehbuch-Kniff und handelte: Nach 21 Siegen in über zwei Jahrzehnten war „The Streak“ emotional derart aufgeladen, dass das Ende bei WrestleMania 30 ähnliche Schockwellen auslöste - und bei den über 70.000 Zuschauern im Superdome von New Orleans für regelrechte Grabesstimmung sorgte.
Und was für den damals 49 Jahre alten Undertaker das eigentlich Bittere war: Die Umsetzung des großen Moments lief ganz und gar nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte.
Undertaker verletzte sich frühzeitig schwer
Der Taker erlitt nach wenigen Minuten im Ring eine nicht gleich erkannte Kopfverletzung, die sich später als schwere Gehirnerschütterung herausstellte - allem Anschein nach war die harte Landung nach einem zunächst unscheinbar wirkender Beinfeger Lesnars außerhalb des Rings die Ursache.
Der Deadman war danach völlig von der Rolle, bewegte sich langsam, wirkte orientierungslos. Das Match wurde trotzdem wie geplant noch rund 20 Minuten durchgezogen - und war aus logischen Gründen weit von der Qualität der Kämpfe entfernt, für die der Taker in den Jahren zuvor gegen Shawn Michaels, Triple H und CM Punk noch bürgen konnte.
Eine gedrückte Atmosphäre herrschte deshalb schon, bevor Lesnar den Taker dreimal mit seinem Finisher F-5 zu Boden beförderte und den Kampf beendete.
Nach Gehirnerschütterung war jede Erinnerung weg
Was sich derweil hinter den Kulissen ereignete, war aber das eigentliche Drama: Der Taker musste in einen Ambulanzwagen verfrachtet und ins Krankenhaus gebracht werden (Lesnar und WWE-Boss McMahon fuhren noch während der Show hinterher). Wie heftig es den Taker erwischt hatte, berichtete er fünfeinhalb Jahre später in einem Interview mit Ex-WWE-Kollegen "Stone Cold" Steve Austin.
Der Taker erzählte, mit den Tränen ringend, dass er den kompletten Kampf vergessen hätte - und nicht nur den: „Meine letzte Erinnerung war ein Gespräch mit meiner Frau um 15.30 Uhr nachmittags.“ Das nächste, an was er sich erinnere, seien die Morgenstunden im Krankenhaus, gegen 4 Uhr. Er hätte seinen Namen vergessen, seinen Geburtstag, den Ort, an dem er sei, alles. Nur der Name von Ehefrau Michelle McCool sei ihm noch eingefallen.
Das Erlebnis des Kontrollverlusts sei traumatisch gewesen.
WWE: Ex-Boss Vince McMahon traf die Entscheidung
Ein anderer Aspekt, der erst später aufgeklärt wurde: Wie kam es hinter den Kulissen zum Entschluss, den Undertaker verlieren zu lassen?
Zunächst wurde nach dem Match kolportiert, dass der Undertaker selbst die Entscheidung getroffen hätte, seine Serie zu beenden und den früheren UFC-Schwergewichtschamp Lesnar (mit dem er sich hinter den Kulissen gut versteht) als Bezwinger ausgewählt hätte.
Im Jahr darauf aber stellte der damalige WWE-Boss McMahon klar, dass alles auf ihn zurückging.
"Niemand weiß besser, dass es wichtig ist, dem Business etwas zurückzugeben, als der Undertaker, als Mark Calaway. Und irgendwann ist die Zeit gekommen, es zu tun", sagte McMahon, ebenfalls in einem Talk mit Austin: "Und die Person, die zu diesem Zeitpunkt am meisten davon profitieren konnte, war Brock."
McMahon strich heraus, dass der Taker immer selbstlos gehandelt hätte, dass die Ankündigung seiner Niederlage aber wohl auch für ihn „ein Schock“ gewesen wäre: „Man muss manchmal schwere Entscheidungen treffen. Das ist mein Job. Und ich glaube, ich habe den richtigen Entschluss zum richtigen Zeitpunkt gefällt.“
Der Taker selbst kritisierte später: Ihm wäre im Nachhinein lieber gewesen, wenn statt Lesnar der jüngere Topstar Roman Reigns „The Streak“ gebrochen hätte.
Bei WrestleMania 31 war er wieder da
Zum damaligen Zeitpunkt schien es, als ob die Karriere des Takers an ihr Ende gelangt wäre. Dass er bei WrestleMania 31 gegen den im Vorjahr tragisch verstorbenen Bray Wyatt dann doch zurückkam, hatte erklärtermaßen damit zu tun, dass der Taker das recht traurige Schauspiel im Jahr davor wohl nur ungern als Schlusspunkt stehen lassen wollte (allerdings sollen auch finanzielle Aspekte eine Rolle gespielt haben).
Die 2020 veröffentlichte WWE-Doku "Undertaker: The Last Ride" verdeutlichte allerdings, wie sehr das Trauma gegen Lesnar nachhallte: Kurz vor seinem Einmarsch gegen Wyatt kauerte der von Selbstzweifeln gepeinigte Taker hinter den Kulissen, musste vom alten Rivalen Triple H aufgerichtet und motiviert werden.
Im darauffolgenden Sommer knüpfte der Dead Man dann mit zwei weiteren Matches gegen Lesnar an die WrestleMania-Niederlage an: Beim SummerSlam 2015 am 23. August gewann der Undertaker nach einem Tiefschlag - denkwürdigste, x-fach als GIF geteilte und zum Meme gewordene Szene: der Moment, in dem sie die beiden abgekämpft aufrichteten und plötzlich wütend-verzweifelt übereinander zu lachen begannen.
Bei Hell in a Cell am 25. Oktober 2015 - nach dem Höhepunkt der ersten Fehde gegeneinander 2002 ihr zweites Duell im berüchtigten Höllenkäfig - gab es den abschließenden klaren Sieg Lesnars.
Beide Duelle waren deutlich besser als das bei WrestleMania, die Alterserscheinungen konnte der Taker trotzdem nicht verbergen - nach dem SummerSlam war er wieder schwer mitgenommen und erlitt nach seinem Auszug einen Kollaps.
Nichtsdestotrotz setzte der Taker seine Hall-of-Fame-Karriere weiter fort, erst sein WrestleMania-Match gegen AJ Styles 2020 scheint sein letztes gewesen zu sein. Der inzwischen 59-Jährige hat sich bislang an die Ankündigung gehalten, auch wenn er erklärtermaßen bis heute mit der Vergänglichkeit seines Ringruhms hadert.
Während der Taker den Fans trotz seines zwiespältigen Spätwerks in bester Erinnerung ist, sind die anderen handelnden Personen von damals ins Zwielicht geraten: Boss McMahon ist in diesem Jahr wegen schwerer Vorwürfe des Sexhandels und der Vergewaltigung zurückgetreten. Auch Lesnar legt gerade eine unfreiwillige Pause ein, nachdem bekannt wurde, dass McMahon ihm sexuelle Dienste seiner Ex-Mitarbeiterin Janel Grant versprochen haben soll.
The Streak: Die Siegesserie des Undertaker bei WrestleMania:
1991: Sieg über „Superfly“ Jimmy Snuka bei WrestleMania VII
1992: Sieg über Jake „The Snake“ Roberts bei WrestleMania VIII
1993: Sieg über Giant Gonzalez bei WrestleMania IX
1995: Sieg über King Kong Bundy bei WrestleMania XI (1994 fehlte der Undertaker verletzt)
1996: Sieg über Diesel bei WrestleMania XII
1997: Sieg über Sycho Sid bei WrestleMania 13
1998: Sieg über Kane bei WrestleMania XIV
1999: Sieg über The Big Boss Man bei WrestleMania XV
2001: Sieg über Triple H bei WrestleMania X-7 (2000 fehlte der Undertaker verletzt)
2002: Sieg über Ric Flair bei WrestleMania X-8
2003: Sieg über The Big Show und A-Train bei WrestleMania XIX
2004: Sieg über Kane bei WrestleMania XX
2005: Sieg über Randy Orton bei WrestleMania 21
2006: Sieg über Mark Henry bei WrestleMania 22
2007: Sieg über Batista bei WrestleMania 23
2008: Sieg über Edge bei WrestleMania 24
2009: Sieg über Shawn Michaels bei WrestleMania 25
2010: Sieg über Shawn Michaels bei WrestleMania 26
2011: Sieg über Triple H bei WrestleMania 27
2012: Sieg über Triple H bei WrestleMania 28
2013: Sieg über CM Punk bei WrestleMania 29