Es war ein historischer Showdown zweier Wrestling-Ikonen - und seine Geschichte schien sich eigentlich von selbst zu erzählen.
Ein ruinöser Egotrip Hulk Hogans
Auf der einen Seite „Hollywood“ Hulk Hogan, der Showkampf-Star schlechthin. Auf der anderen Seite Sting, in seiner damals neuen Rolle als dunkel-faszinierender Superheld über ein Jahr lang erfolgreich zum neuen, großen Publikumsliebling aufgebaut. (NEWS: Alle Neuigkeiten zu WWE)
In sehr gekonnter Weise inszenierte der damalige WWE-Rivale World Championship Wrestling (WCW) heute Nacht vor 25 Jahren den Titelkampf der beiden als Duell der Duelle - und machte den Event Starrcade 1997 damit zum meistgekauften Pay Per View der Ligageschichte.
Aus heutiger Sicht ist das Match jedoch vor allem für sein desaströs verkorkstes Ende in Erinnerung. Ein Ende, das in vielerlei Hinsicht ein Vorbote für den rapiden Niedergang der 2001 von WWE aufgekauften Promotion sein sollte. In einer unrühmlichen Hauptrolle: das gefürchtete Ego des Hulksters.
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Hulk Hogan vs. Sting: Ein lange vorbereitetes Gigantenduell
Hogan hatte sich im Sommer 1996 bekanntermaßen noch einmal völlig neu erfunden, wandelte sich vom umjubelten Helden zum stets in schwarz gekleideten Bösewicht. (HINTERGRUND: Warum Hulk Hogan böse wurde - und was der Plan B war)
Als Anführer der legendären New World Order (nWo) startete er bald darauf eine über ein Jahr lange Regentschaft als World Champion, die als Schreckensherrschaft inszeniert wurde (unterbrochen von einem wenige Tage langen Intermezzo mit Stings altem Weggefährten Lex Luger als Titelträger).
Kurz nach Weihnachten 1997 sollte diese Story abgeschlossen und Hogan von einer neuen Identifikationsfigur gestürzt werden: Steve Borden alias Sting.
Stings Karriere verlief lange wechselhaft
Die bis heute mit über 60 Jahren noch beim jetzigen WWE-Rivalen AEW aktive Legende hatte schon damals eine über zehn Jahre lange und wechselhafte Karriere hinter sich.
Als farbenfroher „Surfer Sting“ war der Ex-Bodybuilder aus Omaha im US-Bundesstaat Nebraska zwar schon seit Ende der Achtziger ein anerkannter Topstar bei WCW: Ein Klassiker gegen Ric Flair im Jahr machte den einstigen Tag-Team-Partner des jungen Ultimate Warrior schon 1988 praktisch über Nacht zum großen Hoffnungsträger des Wrestling-Projekts von Milliarden-Mogul Ted Turner (The Ultimate Warrior: Sein kontroverses Leben, sein tragischer Tod).
Ganz so erfolgreich, wie sie es sich erhofft hatten, war Sting aus kommerzieller Sicht jedoch lange nicht geworden - und mit der Verpflichtung Hogans im Jahr 1994 schien er dauerhaft in die zweite Reihe zurückzufallen. Es änderte sich, als ein prominenter Kollege eine Idee hatte, die Stings Karriere in völlig neue Sphären schoss. (HINTERGRUND: Diese fürstlichen Privilegien standen in Hulk Hogans WCW-Vertrag)
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Scott Hall hatte die Idee, den Kultfilm „The Crow“ zu kopieren
Es war Hogans in diesem Jahr verstorbener NWO-Mitgründer Scott Hall, der Sting einen Einfall nahebrachte, der ähnlich genial war wie sein eigener, dem Film „Scarface“ entlehnter Kubano-Charakter Razor Ramon.
Für Sting ließ sich Hall einmal mehr von der Kinoleinwand inspirieren und übertrug ein dort erprobtes Erfolgsrezept in den Wrestling-Ring: das der düsteren Comic-Verfilmung „The Crow“, die 1994 zum Kult-Hit avancierte - dessen Mythos auch genährt wurde durch den tragischen Tod seines Hauptdarstellers. Brandon Lee (Bruces Sohn) wurde am Filmset mit einer versehentlich scharf geladenen Pistole erschossen.
Sting legte sich ab 1996 eine optisch quasi identische Aufmachung zu und ihm wurde auch eine ähnliche Story auf den Leib geschrieben: Er vollzog die Wandlung ursprünglich, weil er sich vom Misstrauen der anderen (von Täuschungsmanövern der NWO in die Irre geführten) Publikumslieblinge von WCW verraten fühlte - und Hogan und die NWO auf eigene Faust zu bekämpfen begann.
Großer Showdown bei Starrcade 1997
WCW inszenierte Sting effektvoll als Mysterium, der monatelang kein Match mehr bestritt und immer wieder nur unter den Hallendächern darauf lauerte, sich in den Ring abzuseilen und den Mitglieder der NWO nachzujagen.
Als dramaturgisch brillanter Schachzug stellte sich auch die Idee heraus, Sting kein Wort mehr sprechen und sich nur noch mit Mimik und Gestik verständigen zu lassen - auch in dem Moment, in dem sich seine große Story zuspitzte: Als er vom damaligen WCW-Commissioner JJ Dillon gefragt wurde, was oder wen er denn eigentlich wolle, deutete er wortlos auf ein Fanplakat, auf dem Hogans Name stand.
Der große Kampf wurde angesetzt für Starrcade am 28. Dezember 1997, dem WCW-Pendant zu WrestleMania. Und sein Ende war so logisch wie folgerichtig: Sting besiegte Hogan, nahm ihm den Titel ab und wurde von den anderen WCW-Lieblingen gefeiert. Das Problem war nur: Das Ende lief nicht so, wie es hätte laufen sollen.
Ringrichter Nick Patrick tut nicht, was er sollte - und ändert alles
Das Drehbuch des Matches sah eigentlich vor, dass dem Sieg Stings ein letzter großer Betrugsversuch des Bösewichts Hogan vorausgehen sollte: Der mit ihm im Bund stehende Ringrichter Nick Patrick sollte bei einem Pinfall-Versuch Hogans zu schnell zählen und ihm damit den vermeintlichen Sieg schenken.
Der frisch verpflichtete Bret „The Hitman“ Hart - eineinhalb Monate im „Montreal Screwjob“ bei WWE auf ähnliche Weise real aufs Kreuz gelegt - sollte dann als „Deus ex Machina“ eingreifen, das Match neu anläuten und Sting den Weg zum Sieg ebnen.
Was jedoch stattdessen passierte: Patrick zählte Hogans Cover in normalem Tempo durch - und ließ stattdessen ihn wie den Betrogenen aussehen. Eine völlig unsinnige und für Sting schädliche Verkehrung der Drehbuch-Logik in ihr Gegenteil.
Was war geschehen?
Hulk Hogan hintertrieb offenbar die Absprache
Ein Patzer Patricks wäre die einfache Erklärung gewesen, schnell jedoch kam der Verdacht einer realen Verschwörung auf Stings Kosten auf: Hogan schien Patrick tatsächlich überredet zu haben, den „Fast Count“ zu unterlassen, normal zu zählen und ihn damit besser dastehen zu lassen.
Der damalige WCW-Boss Eric Bischoff widersprach dem Verdacht nicht („Ich glaube nicht, dass es Nicks Fehler war. Es war ein Fehler der Producer und vielleicht auch der Wrestler“). Patrick beschuldigte 2020 bei Sportskeeda Hogan relativ deutlich, der Urheber der Farce gewesen zu sein.
Hogan hätte auf ihn eingeredet einen „netten, langsamen Count“ zu machen – er sei wegen dessen Einfluss „zwischen den Stühlen gestanden“ und hätte letztlich einen Kompromiss versucht: „Ich habe schneller als gewohnt gezählt, aber nicht lächerlich schnell.“
Sting selbst - der gegen Hogan (anders als zum Beispiel Bret Hart) nie einen persönlichen Groll zu hegen schien - äußerte sich stets zurückhaltender: Er wisse bis heute nicht so genau, was eigentlich an dem Abend genau gelaufen sei, sagte er 2017 ESPN.
Man muss wissen: Hogan hatte gemäß seines WWE-Vertrags „kreative Kontrolle“ über all seine Matches und Storys. Mit der Art und Weise, wie er Patrick bearbeitete, hintertrieb er aber dennoch einen fest verabredeten Plan. Der Wrestling-Journalist Dave Meltzer berichtete zum Jubiläum am Mittwoch, dass Bischoff ihm Wochen das Finish des Matches mehrere Wochen im Voraus in einem Telefongespräch offenbart hätte. Alles sei dann auch so passiert wie damals angekündigt – nur eben ohne den „Fast Count“ und damit sinnentleert.
Seltsames Ende wurde zum bösen Vorzeichen
Die Wirren mündeten in einem kurzfristig angesetzten TV-Rückmatch mit erneut strittigem Ende, einer Vakantierung des Titels und schließlich einem weiteren Pay-Per-View-Kampf bei Super Brawl im Februar, in dem Stings klarer Sieg gegen Hogan nachgeholt wurde.
Aus heutiger Sicht ist das verkorkste Starrcade-Match aber weit mehr in Erinnerung. Es wurde zum Symbol dafür, wie WCW eine gut begonnene Idee nicht zu einem sinnvollen Ende führen konnte - und zum bösen Vorzeichen für die Ego-, Planungs- und Führungsprobleme, die die Liga erst die Marktführerschaft und dann die Existenz kosteten.
Hogan spielte dabei weiter eine prekäre Rolle: Ein Jahr nach Starrcade 1997 folgten Starrcade 1998, die ähnlich fehlgeleitete Beschädigung des aufstrebenden Phänomens Bill Goldberg - und der berühmt-berüchtigte „Fingerpoke of Doom“, der alles noch schlimmer machte.