War es die impulsive Kurzschlussreaktion auf den Sturz eines langjährigen Vertrauten? Oder hat er ein Milliarden-Unternehmen mit eiskaltem Kalkül an der Nase herumgeführt?
Lesnar erpresst WWE eiskalt-genial
Im Moment einer historischen WWE-Zäsur durch den Rücktritt von Ex-Boss Vince McMahon hat Brock Lesnar in jedem Fall für ein denkwürdiges Nachspiel gesorgt - und die Unruhe im erschütterten Showkampf-Imperium am Ende effektiv für seine Zwecke genutzt. (NEWS: Alle Neuigkeiten zu WWE)
Nach übereinstimmenden Medienberichten hat der frühere Schwergewichts-Champion der UFC am Freitag die Arena verlassen, nachdem er von der Nachricht des McMahon-Abgangs hörte. „Wenn er raus ist, bin ich es auch“, sollen sinngemäß seine Worte gewesen sein, wenige Stunden vor Beginn der TV-Show Friday Night SmackDown, in der er eine tragende Rolle spielen sollte.
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Lesnar kam am Ende doch und prügelte wie gewohnt los, dem Fernsehpublikum fiel der Eklat nicht auf, wenn es die Online-Nachrichten nicht verfolgte. Dennoch muss man einen Schritt zurückgehen, um sich zu vergegenwärtigen, welche Tragweite die Aktion des 130-Kilo-Manns hatte.
Vince McMahons Abgang war minutiös geplant
McMahons Abgang unter massiven Vorwürfen vertuschter Belästigung und sexueller Nötigung weiblicher Untergebener war minutiös geplant: Am Freitagmorgen um 10.09 Uhr US-Ostküstenzeit versandte WWE die allgemein positiv aufgenommene Nachricht der Rückkehr des beliebten „Triple H“ Paul Levesque in seinen Job als Talentvorstand. McMahons Rücktritts-Tweet folgte um 16.05 Uhr - fünf Minuten nach Schließung der New Yorker Börse, um einen sofortigen Kurseinbruch der WWE-Aktie infolge verunsicherter Aktionäre zu vermeiden.
Der langjährige Branchen-Experte Dave Meltzer berichtet in seinem Wrestling Observer, dass alles darauf ausgerichtet war und ist, das Signal eines geordneten Übergangs in Richtung Wall Street zu senden, dass die neue Doppelspitze aus Vince-Tochter Stephanie McMahon und Ex-Medienagent Nick Khan geschlossen agiert und alles im Griff hat.
Und in genau dieser Atmosphäre, kurz nach McMahons Tweet und wenige Stunden vor Beginn der meistgesehenen TV-Show der Promotion, übermittelte der langjährige Topstar Lesnar - am kommenden Samstag im Hauptkampf der zweitgrößten WWE-Show SummerSlam - die Botschaft: Tschüss.
Meltzers Observer-Kollege Bryan Alvarez twitterte um 16.48 Uhr die später mehrfach bestätigte Meldung: „Aus mehreren Quellen: Brock Lesnar hat SmackDown verlassen.“
„Das Letzte, was in dem Moment gewollt war“
„Das Letzte, was in dem Moment gewollt war, war dass der berühmteste Mann im Kader plötzlich abhaut, dass Anarchie ausbricht in dem Moment, in dem Vince weg ist“, beschreibt Meltzer in seiner Radioshow das ihm übermittelte Stimmungsbild.
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Lesnar spielte in einer extremen Drucksituation mit dem Feuer, mit der Angst, viele Millionen Dollar am Aktienmarkt zu verbrennen - und wird es gewusst haben.
Wie genau die neue WWE-Führung ihn zur Umkehr bewegt hat, ist unbekannt. Freundliche Worte dürften eher nicht gereicht haben, unfreundliche auch nicht. Der 45 Jahre alte Lesnar - Topverdiener mit angeblich 5 Millionen Dollar Jahresgehalt - ist ein gemachter Mann, von WWE finanziell unabhängig und hat sich von Drohungen nie beeindrucken lassen.
Lesnar ließ WWE schon einmal eiskalt auflaufen
Man denke zurück an die Zeit nach Lesnars tatsächlichen WWE-Abgang 2004, als der damalige Jungstar die Liga verließ, um sich als NFL-Footballer zu versuchen. Nachdem das nicht klappte, brach Lesnar den Auflösungsvertrag mit WWE und trat bei der japanischen Liga NJPW an, ließ es auf einen Rechtsstreit ankommen.
Der verlief im Sande, Lesnar ging erfolgreich zur UFC - und handelte 2012 ein lukratives WWE-Comeback aus, mit bis dahin einzigartigen Privilegien wie einem stark erleichterten, auf Großevents fokussierten Teilzeit-Tourplan (wie ihn nun auch Champion, Rivale und SummerSlam-Gegner Roman Reigns genießt).
Der mit Frau Rena (Ex-WWE-Beauty Sable) auf einer Farm in Kanada lebende Lesnar verließ WWE auch danach immer mal wieder und wartete strategisch günstige Zeitpunkte ab, um mit Boss Vince neue, noch bessere Verträge zu verabreden.
Wie groß der persönliche Ärger über Vinces Aus bei Lesnar wirklich war und sein Handeln geleitet hat, ist Spekulation. Klar ist: Eine strategisch günstige Verhandlungsposition ergab sich auch am Freitag - und Lesnar hatte allem Anschein nach die nötige Cleverness und Kaltschnäuzigkeit, es darauf ankommen zu lassen.
20.30 Uhr: Brock Lesnar wieder in der Arena
Meltzer zufolge soll Lesnar um 20.30 Uhr Ortszeit wieder in der Halle gewesen sein, das zuvor hektisch umgeschriebene Drehbuch konnte nochmal angepasst werden, Lesnar beschloss die Show um 21:56 Uhr mit einer Attacke auf Jungstar Theory.
Die neue WWE-Führung hat ihren ersten Super-GAU abgewendet, dem großen SummerSlam-Match Reigns vs. Lesnar steht nichts mehr im Wege.
Wie viel Lesnar sich das hat kosten lassen: Das „Beast“ dürfte genießen und schweigen.