Hulk Hogan wurde unter seiner Regie zum Superstar, der Undertaker zur Legende, Dwayne „The Rock“ Johnson und John Cena bauten ihre in Hollywood weitergeführten Weltkarrieren unter ihm auf.
Der Sturz eines eiskalten Herrschers
Er lockte Sportlegenden und Promis wie Muhammad Ali, Mike Tyson, Arnold Schwarzenegger und Floyd Mayweather auf seine Bühne - auch sein guter Geschäftsfreund Donald Trump wurde auf ihr handgreiflich. (NEWS: Alle Neuigkeiten zu WWE)
Vincent Kennedy McMahon war der Mann hinter RAW und SmackDown, hinter WrestleMania, dem Royal Rumble. Der Mogul, der aus einer von vielen regionalen Showkampf-Promotions in den USA das globale Wrestling-Imperium WWE geschaffen hat - und noch vor kurzen den Eindruck vermittelt hatte, dass er es bis zu seinem letzten Atemzug regieren würde.
Stattdessen ist der 76-Jährige nun zurückgetreten, nach eine Serie von Skandal-Enthüllungen, die auch für ihn, den scheinbar Allmächtigen, nicht folgenlos bleiben konnten.
Es ist das Ende einer sagenhaft erfolgreichen Business-Geschichte, in der McMahon nach Schätzung von Forbes 2,4 Milliarden Dollar Privatvermögen angehäuft hat, aber auch einige Fehlschläge, viele Feinde, Skandale und moralische Mitverantwortung für vermeidbare Tragödien wie den Unfalltod von Owen Hart 1999.
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Vince McMahon wuchs in zerrütteten Verhältnissen auf
McMahon wurde am 24. August 1945 in der Kleinstadt Pinehurst in North Carolina geboren. Er ist Wrestling-Promoter in dritter Generation, aber so glatt wie seine Familiengeschichte auf den ersten Blick nahelegt, war sein Lebensweg nicht.
Vater Vince McMahon Sr., der die einstige (W)WWF zuvor geleitet hatte, verließ die Mutter seines Sohns, als der ein Baby war. Der irischstämmige Vince Jr. wuchs als Vinnie Lupton in zerrütteten Verhältnissen auf, wurde nach eigenen Angaben auch Opfer häuslicher Gewalt durch einen seiner Stiefväter.
Mit seinem lieblichen Erzeuger trat McMahon erst als Teenager in Kontakt und folgte ihm dann in dessen Fußstapfen. Der Traum, selbst eine aktive Karriere zu verfolgen, wurde ihm von Vince Sr. ausgeredet.
WWE-Boss brach mit der Tradition - und expandierte
Der junge Vince trat im Programm seines Vaters zunächst als Ringsprecher und später als langjähriger Kommentator in Erscheinung, abseits der Kamera wuchs er unter anderem als Promoter des skurrilen Boxer-Wrestler-Fights zwischen Ali und dem Japaner Antonio Inoki 1976 in seine eigentliche Kernrolle hinein.
1983 übernahm er das Geschäft von seinem im Jahr darauf verstorbenen Vater, mit weit größeren Ambitionen als dieser. Vince Jr. kündigte das traditionelle Gentlemen‘s Agreement der regionalen US-Promoter, sich gegenseitig nicht Konkurrenz zu machen und strebte nach nationaler Dominanz.
McMahon führte die WWF aus dem Ligenverbund NWA heraus und expandierte aggressiv von der Ostküste aus in alle Landesteile, mit dem Anfang 1984 zum Champion gekürten Hulk Hogan als Aushängeschild.
Andere Ligen, die ihr Territorium nicht preisgeben wollten, drängte McMahon mit oft eiskalten Schachzügen aus dem Geschäft, berüchtigt wurden vor allem der „Black Saturday“, an dem er die Liga Georgia Championship Wrestling feindlich übernahm und sein brutaler Zermürbungskampf mit Ric Flairs damaliger Heimatliga Jim Crockett Promotions, die vergeblich versuchte, sich dauerhaft als zweite Kraft zu etablieren.
Zu McMahons Vision gehörte immer auch, über das Wrestling hinauszudenken: Sein Konzept lautete „Sports Entertainment“, weshalb er auch viel in Promi-Gastspiele investierte: Er engagierte Rocksängerin Cyndi Lauper für mehrere Auftritte mit Hogan, bei der ersten WrestleMania 1985 agierte TV-Star Mr. T (B.A. Baracus aus dem A-Team) als Partner des Hulksters, Ali als Gastringrichter.
Den vorläufigen Höhepunkt des von ihm entfachten Booms erreichte McMahon 1987 mit der dritten WrestleMania, als der Titanenkampf zwischen Hogan und dem legendären Andre The Giant angeblich über 90.000 Fans in den Pontiac Silverdome bei Detroit lockte.
Krise und Steroid-Prozess in den Neunzigern
Die erste große Krise erlebte McMahon in den Neunzigern, als der begeisterte Hobby-Kraftsportler zunächst mit der Gründung der World Bodybuilding Federation (WBF) als zweitem Standbein einen teuren Flop erlebte (wie später auch in zwei Anläufen mit der Football-Liga XFL), zudem zehrte ein großer Steroid-Prozess an seinem Ruf und gefährdete seine Geschäftsgrundlage.
In der Aufsehen erregende Gerichtsverhandlung wurde McMahon vorgeworfen, den vielfach bezeugten Missbrauch von Anabolika durch seine Stars nicht nur geduldet, sondern auch eingefordert zu haben - unter dem Druck der Ereignisse trat McMahon die Führung seines Unternehmens zwischenzeitlich an Ehefrau Linda ab.
Das Geschworenengericht sah die konkreten Vorwürfe aber letztlich nicht als belegbar an, der unter anderem auch von Hogan entlastete McMahon wurde freigesprochen.
Legendäre Fehde mit Stone Cold Steve Austin in der Attitude Era
McMahon erlebte dennoch weitere Krisenjahre: Der von Milliardär Ted Turner finanzierte Crockett-Nachfolger World Championship Wrestling (WCW) warb Hogan und andere Stars wie den „Macho Man“ Randy Savage und Lex Luger ab und nahm der WWF im berühmten Monday Night War zwischenzeitlich die Marktführerschaft ab.
Die Popularität des WWF-Chefs bei den Fans erreichte zudem einen Tiefpunkt durch den von ihm veranlassten „Montreal Screwjob“, den unwürdigen Abgang des langjährigen Publikumslieblings Bret „The Hitman“ Hart.
Mit den neuen Stars Stone Cold Steve Austin und The Rock und einer neuen, an ein erwachseneres Publikum gerichteten Ausrichtung - der Attitude Era - schaffte McMahon Ende der Neunziger jedoch die Trendwende und kreierte einen neuen Boom. Der Rivale WCW ging 2001 unter, McMahons Lebenswerk gelangte zurück auf den Thron, auf dem es bis heute verweilt - wenngleich der neue Konkurrent AEW (All Elite Wrestling) das Monopol zuletzt erfolgreich brach.
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Auch vor der Kamera spielte McMahon beim Wiederaufstieg seines Unternehmens eine entscheidende Rolle: Als „Mr. McMahon“ gibt er seit der Attitude-Zeit den Oberschurken, lenkte in der enorm erfolgreichen Fehde mit Hogan-Erbe Austin seine tatsächliche Unbeliebtheit gekonnt in produktive Bahnen um. Auf seine alten Tage krönte sich McMahon - der bis heute immer mal wieder Prügel im WWE-Ring einsteckt - dabei auch kurz selbst zum Champion und wurde noch unerwartet zur Kultfigur: Sein angeberischer „Power Walk“ wurde unter anderem von UFC-Megastar Conor McGregor kopiert.
Vor der Kamera ironisierte McMahon immer wieder sein Image als größenwahnsinniger Testosteron-Bolzen und zeigte dort auch keine Scheu, sich selbst zu blamieren - was nichts daran ändert, dass er nicht erst seit den jüngsten Enthüllungen eine hoch umstrittene Figur ist.
Verstörende Auftritte außerhalb des Rings
McMahon wirkte immer stark geprägt von den archaischen Branchensitten der Starke-Männer-Welt, in der er aufgewachsen ist, von Freund-Feind-Denken und altmodischer Menschenführung. Bei einem Teil seiner Stars findet das Anklang, der Undertaker charakterisiert ihn als verschrobene Vaterfigur, andere Ex-Stars wie Rekord-Champion Bruno Sammartino oder CM Punk schieden in Verbitterung, wieder andere sind hin- und hergerissen.
So sehr sich WWE mittlerweile in ein modernes Großunternehmen verwandelt hat, sein Kerngeschäft soll McMahon bis zuletzt immer noch wie einen autoritären Hofstaat regiert haben. Moralische Skrupel scheinen ihn auch eher weniger zu beschäftigen, zu erleben zuletzt unter anderem bei seinem Business-Deal mit dem diktatorisch regierten Saudi-Arabien.
Ein irritierendes Bild hatte McMahon vor allem dann abgegeben, wenn er sich mit der Realität außerhalb der von ihm kontrollierten Scheinwelt auseinanderzusetzen hatte. Ein bis heute verstörender Anblick ist etwa ein TV-Interview aus dem Jahr 2003, das 16 Jahre danach durch ein vielbeachtetes, kritisches Feature des Late-Night-Talkers John Oliver neue Beachtung fand: McMahon wies im Gespräch mit HBO jegliche Verantwortung für die zahlreichen frühen Tode ehemaliger WWE-Wrestler von sich - und versuchte schließlich wütend, dem über McMahons Kälte sichtlich geschockten Interviewer die Moderationskarten aus der Hand zu schlagen.
Skandal-Enthüllungen am Ende zu massiv
Ans Aufhören schien McMahon nie zu denken - im Gegenteil riss er in den vergangenen Jahren wieder mehr Kontrolle an sich, zu Ungunsten des eigentlich als Kronprinz ausgeguckten Schwiegersohn „Triple H“ Paul Levesque und seiner Tochter Stephanie, die nun mit dem früheren Sportagenten Nick Khan die neue Firmen-Doppelspitze bildet.
Das lang nicht für möglich gehaltene Ende des Moguls wurde nun herbeigeführt, indem lange vertuschte, skandalöse Geheimnisse McMahons nach außen getragen wurden. Einen ersten Enthüllungs-Report des Wall Street Journal über eine durch Schweigegeld verheimlichte Affäre mit einer Mitarbeiterin schien er noch überstehen zu können (und versuchte es auch eindeutig).
Dann jedoch folgten weitere, noch massivere Offenbarungen, allen voran ein angeblicher sexueller Übergriff gegen eine Wrestlerin im Jahr 2005, die er zu Oralsex gezwungen haben soll - und ihr 2018, dem Jahr nach der Entstehung der #MeToo-Bewegung, 7,5 Millionen Dollar gezahlt haben, nicht mit den Vorwürfen an die Öffentlichkeit zu gehen.
Auch wenn viele Fans und Szenekenner immer noch nicht glauben konnten, dass der Bericht McMahons Ende bedeuten würde; Er war untragbar geworden - auch weil das Muster der Enthüllungen altbekannten Vorwürfe wie der Vergewaltigungs-Beschuldigung der früheren Ringrichterin Rita Chatterton neue Glaubwürdigkeit verlieh.
Trotz der enormen Vorwurfslast erntete McMahon in seinem „WWE-Universum“ weiter Sympathie, als Tochter Stephanie den WWE-Fans am Freitag den Schritt bei der Show SmackDown verkündete, gab es Buhrufe. Stephanies Aufforderung, ihn mit dem Sprechchor „Thank you, Vince“ zu verabschieden, wurde bereitwillig gefolgt.
Der Einfluss von Vince McMahon dürfte bei WWE und im Wrestling allgemein noch lange fühlbar sein - egal, wie konsequent er sich als Mehrheitseigner wirklich in die Rente zurückziehen wird.