Bei WWE sehen sie bis heute als großen und wegweisenden Sieg, was der New Yorker Richter Jacob Mishler am 23. Juli 1994 verkündete.
Der Skandal, der WWE fast zerstörte
Nicht schuldig, lautete der Urteilspruch im Strafprozess „United States vs. McMahon“, dem Steroidprozess, der damals das Potenzial barg, WWE-Boss Vince McMahon und sein Wrestling-Imperium zu Fall zu bringen. (NEWS: Alle Neuigkeiten zu WWE)
Der wendungsreiche, teils bizarre und in vielerlei Hinsicht irrwitzige Kriminalfall, in dem auch Megastar Hulk Hogan eine tragende Rolle spielte, beschäftigt die Szene auch noch Jahrzehnte danach - der aktuelle Sex- und Schweigegeld-Skandal um McMahon weckte in dieser Woche viele Erinnerungen an die existenzielle Krise von damals.
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Was genau aber war seinerzeit passiert?
Steroid-Skandal bei WWE: Vince McMahon 1993 vor Gericht
McMahon war vom New Yorker Bezirksstaatsanwalt angeklagt worden, der Kernvorwurf, der an den Grundfesten der damaligen WWF rüttelte: McMahon soll mitverantwortlich für die systematische Weitergabe von Steroiden an seine Stars gewesen sein und sie zum Missbrauch aufgefordert haben, um sie muskulöser und damit für das Publikum interessanter zu machen. Wie heute legte McMahon damals seine Führungsrolle vorübergehend nieder, überließ sie Ehefrau Linda.
Man muss wissen: Zu einem Fall für die Justiz wurde das Thema Steroide erst 1988 - nach der ersten Blütezeit der damaligen WWF um Aushängeschild Hogan. Der Verkauf der Präparate zu nicht-medizinischen Zwecken war in den USA damals verboten worden, unter dem Eindruck eines zunehmenden Bewusstseins für ihre gesundheitlichen Gefahren.
Auf Grundlage dessen war im Jahr 1991 der in Szenekreisen als berüchtigt geltende George Zahorian zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Zahorian, eigentlich Urologe, versorgte zahlreiche Wrestler mit den Substanzen, vor dem offiziellen Verbot auch bei WWE-Shows. Unter anderem belastete ihn der 2015 verstorbene WWE-Hall-of-Famer „Rowdy“ Roddy Piper, auch nach dem Verbot noch gedealt zu haben (für die Wrestler war der Ankauf auch damals noch nicht strafbar). Auch McMahon und Hogan sollen Kunden Zahorians gewesen sein - der in den Achtzigern auch teilweise vor den WWE-Kameras auftauchte.
Vor allem aufgrund der Erkenntnisse aus dem Verfahren kam McMahons Fall 1993 zur Anklage - zu einem Zeitpunkt, als die strengeren Steroidgesetze und die Causa Zahorian schon einige folgenschwere Entwicklungen bei WWE in Gang gesetzt hatten.
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Bret Hart und Shawn Michaels profitierten
Als Reaktion auf die neue Lage hatte WWE zum ersten Mal eine Anti-Doping-Politik eingeführt und auch gegen große Stars angewandt, unter anderem verloren 1992 der als Hogan-Erbe aufgebaute Ultimate Warrior und der „British Bulldog“ Davey Boy Smith (beide im mittleren Alter verstorben) zwischenzeitlich ihre Jobs, weil sie illegal Wachstumshormone erworben haben sollen.
Nicht zufällig erlebten in genau diesem Zeitraum auch Bret „The Hitman“ Hart und der junge Shawn Michaels Karriere-Schübe - Wrestler, die nicht über die Muskelmasse der Achtziger-Ikonen verfügten.
All das war in dem Steroidprozess aber nicht Thema, die Kernfrage lautete: Hatte Vince McMahon nach 1988 Verstöße gegen geltendes Recht begangen - in dem Zuständigkeitsbereich des Gerichts?
Es war der springende Punkt, dass die Staatsanwaltschaft McMahon - der seinen Geschäftssitz in Connecticut hat - nachweisen musste, im Raum New York das Gesetz gebrochen zu haben. Genau das gelang den Strafverfolgern nicht - auch wenn sie bei dem Versuch viel Brisantes ans Licht brachten.
Brisanter Vorgang um Dealer-Doc George Zahorian
Eine bemerkenswerte Zeugenaussage machte vor allem die damalige WWE-Büroangestellte Anita Scales: Sie behauptete, dass ihre Firma 1989 drauf und dran war, den später verurteilten Zahorian offiziell anzustellen, obwohl sein Ruf ihm schon damals vorausgeeilt gewesen sei. Er hätte sonst wegen einer Gesetzesänderung im Staat Pennsylvania nicht mehr zu den Shows gedurft.
Die resolut auftretende Scales berichtete von drängenden Anrufen Zahorians, aber auch von WWE-Producern wie Pat Patterson und Joe Scarpa (Chief Jay Strongbow). Letzterer hätte ihr vielsagend übermittelt: „The boys need their candies“ - „Die Jungs brauchen ihre Süßigkeiten“.
Auch Vinces Ehefrau und Geschäftspartnerin Linda McMahon hätte schließlich zu Gunsten Zahorians auf sie eingewirkt, dann aber eine 180-Grad-Wende vollzogen. Ein internes Memo bestätigte, dass Linda McMahon Patterson anwies, Zahorian von allen weiteren WWE-Shows auszuschließen und „ihn einzuweihen, welche Schritte das Justice Department gegen ihn zu unternehmen gedenkt“.
Linda McMahon hatte einen Insider-Tipp bekommen, dass Zahorian im Visier der Justiz war. Ihr Verhalten in diesem und anderen Skandalen rund um WWE wurde später auch zum Thema, als sie in der Politik eine zweite, mit Familienfreund Donald Trump verbundene Karriere machte.
Hulk Hogan mit bizarrem Auftritt vor Gericht
Weil WWE Zahorian rechtzeitig fallen ließ, hatten die Ankläger letztlich nichts in der Hand, was vor Gericht standhielt, auch der Auftritt von elf als Zeugen der Anklage auftretenden Wrestler nahm einen anderen Verlauf als von vielen erwartet.
Für großes mediales Aufsehen sorgte vor allem Hulk Hogan, der damals mit McMahon zerstritten und zum Konkurrenten WCW gewechselt war - wo der Milliardär, Medienmogul und McMahon-Erzfeind Ted Turner regierte. Deswegen und weil Hogan selbst Immunität mit Blick auf eigene potenzielle Steroidvergehen zugesichert worden war, schien sich eine Schlammschlacht anzubahnen, auch die WWE-Verteidigung rechnete wohl damit: McMahon-Anwältin Laura Brevetti hatte vor Hogans Kreuzverhör einen auffällig dicken Aktenordner ausgepackt.
Es kam letztlich alles anders: Hogan gab wie McMahon eigenen Steroidkonsum zu (nach eigenen Angaben jeweils nur, solange er erlaubt war), entlastete ansonsten aber seinen Ex-Boss: Aufforderungen und Ermunterungen hätte es von ihm nie gegeben. Die letzten Worte des Hulksters im Zeugenstand, wenige Wochen vor seinem ersten WCW-Match gegen Ric Flair: „Kauft unseren Pay Per View!“
Nailz erwies der Anklage einen Bärendienst
Fast alle anderen Wrestler äußerten sich ähnlich wie Hogan, der einzige, der McMahon klar belastete, erreichte letztlich das Gegenteil von dem, was er bewirken wollte: Kevin Wacholz alias Nailz wirkte getrieben von Rachegedanken für seine vorausgegangene Entlassung und verstrickte sich in Widersprüche.
Die Verteidigung von WWE wies zudem genüsslich auf einen augenfälligen Schwachpunkt in Wacholz‘ Argumentation hin: Er trug bei seinen WWE-Auftritten einen Ganzkörper-Sträflingsanzug, unter dem seine Muskeln gar nicht zu sehen waren.
Auch andere Belastungszeugen und Indizien wurden von den gut vorbereiteten WWE-Anwälten erfolgreich seziert - Brevetti und ihr Kollege Jerry McDevitt blieben danach nicht umsonst Jahrzehnte lang treue Weggefährten der Liga. McDevitt steuerte McMahon später unter anderem auch durch den Prozess nach dem Todessturz von Owen Hart 1999 und ist auch nun wieder sein Rechtsvertreter.
Der damals 83 Jahre alte Richter Mishler verwarf schon während des Prozesses mehrere Anklagepunkte, die sich als nicht haltbar erwiesen. Am Ende war es dann keine Überraschung mehr, dass die Geschworenen McMahon - der den Prozess mit einer Halskrause aufgrund einer angeblich damals akuten Nackenverletzung bestritt - nach 16-stündiger Beratung einstimmig freisprachen.
Freispruch - aber eine wesentliche Frage blieb offen
Die McMahon-Dynastie stellt das Urteil bis heute als Ruhmesblatt dar, als folgerichtiges Happy End einer vermeintlichen Hexenjagd von Staat und Medien: Vinces damals jugendliche und vom Prozess sichtlich verstörte Tochter Stephanie McMahon - nun Interimschefin der Liga - verglich den Prozess 2001 gar auf irritierende Art und Weise mit den Terror-Attacken am 11. September („Vor einigen Jahren haben Menschen versucht, meine Familie zu zerstören […] Genau so fühlt sich Amerika jetzt“).
Auch WWE-Kritiker vertreten die Meinung, dass die Ermittler sich damals von einer zu geringen Beweislast zu viel versprachen und den McMahons damit in die Hände spielten. Eine „smoking gun“, einen klaren Beleg, dass McMahon seine Stars aktiv zu Steroidmissbrauch aufgefordert hätte, blieben die Ermittler schuldig.
Unbeantwortet im Raum blieb dabei eine wesentliche, juristisch womöglich gar nicht fassbare Frage: Die Frage, ob die ungeschriebenen Gesetze der Branche damals so eindeutig waren, dass für die Wrestler so oder so klar war, dass Steroidmissbrauch der Karriere dienen würde.
Weitere Steroid-Skandale bei WWE folgten
Die Frage nach diesen ungeschriebenen Gesetzen ist unverändert aktuell, denn auch nach 1994 gab es bei WWE Steroidskandale - und der Umgang der Promotion mit dem Thema blieb widersprüchlich.
Die infolge der Causa Zahorian eingeführten, unangekündigten Dopingtests wurden von WWE 1996 wieder abgeschafft. Erst unter dem erneut ansteigenden öffentlichen Druck nach dem frühen Tod von Eddie Guerrero 2005 wurde die bis heute gültige „Wellness Policy“ eingeführt, die aber auch bald Schwachpunkte offenbarte.
Im Jahr 2007 - in dem die Tragödie um Chris Benoit WWE in eine neue Krise stürzte - flogen diverse prominente WWE-Stars als Kunden der als Steroid-Netzwerk entlarvten Online-Apotheke Signature Pharmacy auf, unter ihnen Edge, Randy Orton, John Morrison, Booker T, Mr. Kennedy und der inzwischen verstorbene Umaga.
Bei WWE sind diese Ambivalenzen selten Thema, aktuell arbeitet die Liga sogar an einer Serie, die den Prozess aus ihrer Sicht erzählen soll - mit mutmaßlich klar verteilten Helden- und Schurkenrollen. Vince McMahon wird für letztere kaum vorgesehen sein.