Was läuft da grad wirklich hinter den Kulissen des Wrestling-Imperiums WWE und innerhalb der Familie des milliardenschweren Patriarchen Vince McMahon?
Serviert WWE-Boss seine Tochter ab?
Wenige Wochen, nachdem dessen im Vorstand sitzende Tochter Stephanie McMahon eine Auszeit aus familiären Gründen angekündigt hat, sorgen die Neuverteilung ihres Verantwortungsbereichs und ein in Inhalt und Tonfall bemerkenswerter Enthüllungs-Report für Aufsehen.
Die neuen Entwicklungen befeuern unter Branchen-Insidern Spekulationen, dass der Abgang der 45-Jährigen doch endgültig sein könnte. (NEWS: Alle Neuigkeiten zu WWE)
Es wäre der neue Höhepunkt einer Familiensaga mit Shakespeareschen Zügen: Im Lauf der vergangenen 12 Monate war bereits Stephanies Bruder Shane McMahon von Papa Vince de facto gefeuert worden, während ihr Ehemann und Vorstandskollege „Triple H“ Paul Levesque einen beträchtlichen Teil seiner firmeninternen Macht verlor - und das nicht nur wegen der schweren Herzprobleme, die ihn im vergangenen Jahr heimgesucht hatten.
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Stephanie McMahon für ihre WWE-Rolle vielbeachtet
Die seit jungen Jahren vor und hinter der WWE-Kamera aktive Stephanie war in den vergangenen Jahren als „Chief Brand Officer“ für die Markenpflege des Familienunternehmens zuständig und wurde zusammen mit ihrem Mann für die Nachfolge Vinces aufgebaut.
Unter allen Führungsfiguren der Promotion hatte Stephanie speziell in der Business- und PR-Welt eine Schaufenster-Rolle, sie erhielt diverse Preise und lobende Erwähnungen in Auflistungen herausragender weiblicher Bosse. Erst im vergangenen Jahr setzte Forbes sie auf Platz 2 in einem Ranking der wichtigsten Marketingchefinnen der Welt.
Auch WWE sonnte sich gern im guten Image Stephanies, die öffentlich auch als treibende Kraft des wachsenden Erfolgs ihrer lang deutlich untergeordneten Frauendivision im Ring dargestellt wurde.
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Umso mehr lässt nun aufhorchen, wie der Business Insider Stephanie und die Umstände ihrer Beurlaubung unter Berufung auf innere WWE-Kreise darstellt.
„Firmen-Insider“ wirft Stephanie Versagen vor
Der von Claire Atkinson - Chefkorrespondentin des Medienressorts der in New York ansässigen Website - geschriebene Bericht setzt die offizielle Darstellung von Stephanies Abgang als „Auszeit“ betont in Anführungszeichen. Er behauptet stattdessen, Stephanie sei „in ihrer Rolle in der Firma ersetzt worden“, als Teil eines von Vater Vince durchgeführten „Shakeups“, eine von Vince selbst oft benutzte Formulierung.
Der zweite große Rumms-Faktor des Berichts: Er zitiert einen „Firmeninsider“, der spricht wie jemand, der etwas zu sagen hat - und Stephanie und ihrer Abteilung ein recht vernichtendes Zeugnis ausstellt.
Demnach hätte WWE eigentlich das Ziel, 100 Millionen Dollar pro Jahr durch „brand partnerships“ mit anderen Firmen zu generieren, wie es etwa die unter ähnlichen Voraussetzungen operierende UFC vormache. Jedoch: „Wir haben dieses Wachstum nicht gesehen. Wenn jemand eine Firma verlässt, ist das für gewöhnlich das Ergebnis davon, dass etwas nicht funktioniert. Wir haben da vor einigen Monaten stärker die Kontrolle übernommen.“
Deutlicher kann man die Botschaft „Sie hat versagt - jetzt müssen Bessere ran“ kaum übermitteln.
Ist Stephanie in Vince McMahons Augen diskreditiert?
Der Bericht, der in den vergangenen Tagen auch in anderen relevanten Wirtschaftsmedien wie dem Sports Business Journal Widerhall gefunden hat, sorgt für jede Menge Gesprächsstoff: Von wo kommen die Anwürfe gegen Stephanie? Spiegeln sie die Sicht von Boss Vince wieder? Und was ist dran?
Der langjährige Branchenkenner Dave Meltzer widerspricht einem Kernpunkt des Berichts in seinem Wrestling Observer: Stephanies Beurlaubung - über die auch er schnell berichtet hatte, dass „mehr“ dahinterstecke als offiziell kommuniziert - sei sehr wohl ihr eigener Entschluss gewesen. Sie sei von sich aus gegangen und nicht gegangen worden.
Die Kritik an Stephanie decke sich dagegen mit Berichten, die auch ihm zugetragen worden seien. Sicher sei auch: In ihre bisherige Rolle als CBO werde sie nicht zurückkehren, dass ihr die Rückkehr nun ganz versperrt sei, sei auch denkbar, womöglich gerade wegen ihres selbst gefällten Entschlusses.
„Er mag es nicht, wenn Leute gehen“, zitiert Meltzer in seinem Podcast Vertraute Vince McMahons, er könnte daher auch die Auszeit der dreifachen Mutter als Mangel an Hingabe an den Job auffassen. Der alte Vince ist als Workaholic und Firmenlenker der alten Schule bekannt, in seine eigene Lebensphilosophie passt ein familiäres Sabbatical eindeutig nicht, auch und erst recht nicht im Alter.
WWE-Boss nahm die Zügel zuletzt wieder in die Hand
Seit rund zwei Jahren fällt auf, dass Vince jegliche Tendenzen eines Rückzugs aus der vorderen Firmenreihe hat fallen lassen und die Fäden selbst wieder in die Hand genommen hat.
Unter anderem nahm er Schwiegersohn Levesque - schon vor dessen Herzproblemen - die Kontrolle über den Nachwuchskader NXT ab und veranlasste eine Umgestaltung in seinem Sinne. Stein des Anstoßes war offenbar, dass Levesque es mit NXT nicht geschafft hat, den Aufstieg des 2019 gegründeten Konkurrenten AEW aufzuhalten. Mittlerweile arbeiten diverse, von WWE im Zuge des Revirements entlassene Levesque-Vertraute ebendort (William Regal, Samoa Joe).
Eine weitere auffällige Tendenz ist der Machtgewinn des seit Sommer 2020 als Präsident und „Chief Revenue Officer“ agierenden Nick Khan: Der ehemalige Sportmedien-Agent hat sich bei WWE als Dealmaker und Verhandler milliardenschwerer Rechteverträge profiliert.
Neue Marketing-Expertin kommt von Manchester United
Infolge des jüngsten Umbruchs ist erst an diesem Montag auch eine weitere neue Führungskraft mit weniger Wrestling-Stallgeruch installiert worden: Die Britin Catherine Newman - zuletzt Marketing-Chefin bei Manchester United und zuvor im Medienbereich bei Times und Financial Times aktiv - schließt sich WWE als Executive Vice President und Head of Marketing an.
Es sieht so aus, als ob Newman im Wesentlichen Stephanies Job übernimmt, während deren Zukunft ebenso ungewiss ist wie die Frage, wer nun eigentlich Vinces Nachfolger werden soll.
Als Firmenlenker wäre Khan aktuell wohl die naheliegende Wahl, als kreativer Gestalter des Wrestling-Produkts kommt er nicht infrage.
Vince selbst hat jüngst in einem Interview mit WWE-Kommentator und Ex-NFL-Star Pat McAfee bekundet, dass er über seine Nachfolge „nicht viel nachdenke“ - und hinterließ den starken Eindruck, dass er selbst der Macher bleiben wird, so lange er kann.