Vor ihrer WWE-Karriere war Bianca Crawford eine Athletin auf Höchstniveau: All-American-Hürdenläuferin am College, Powerlifterin, Crossfit-Profi.
WWE-Phänomen mit Ansage an Rousey
Ein Knorpelschaden beendete diese Karriere - und machte sie letztlich zu einem Weltstar: WWE-Hall-of-Famer Mark Henry entdeckte die heute 33-Jährige fürs Wrestling.
Die schillernde „EST of WWE“ - zu deren erklärten Vorbildern auch die verstorbene Sprint-Ikone Florence Griffith-Joyner zählt - hat sich mit ihren teils atemberaubenden Aktionen und ihrem stadionfüllenden Charisma zur absoluten Vorzeige-Performerin entwickelt. (NEWS: Alle Neuigkeiten zu WWE)
Im vergangenen Jahr gewann sie bei WrestleMania gegen Sasha Banks den historischen ersten Hauptkampf zweier afroamerikanischer Frauen. Vor eineinhalb Monaten legte sie gegen Ronda-Rousey-Bezwingerin Becky Lynch den nächsten Meilenstein hin - und steht nun als RAW-Damenchampion an der Spitze der Division.
Im SPORT1-Interview spricht die in Knoxville geborene Belair (geführt vor dem jüngsten Eklat um ihre Kolleginnen Banks und Naomi) über ihren ungewöhnlichen Weg an die WWE-Spitze, den Wirbel um die diesjährige Main-Event-Ansetzung, ihren ebenfalls bei WWE aktiven Ehemann, das Vertrags-Beben um Topstar Roman Reigns, Champ-Kollegin Ronda Rousey - und die nahende Megashow in Europa.
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SPORT1: Bianca Belair, in wenigen Monaten werden Sie wohl Teil von Clash at the Castle sein, dem größten Europa-Event von WWE seit 30 Jahren. Der SummerSlam 1992 im Londoner Wembley-Stadion, das große Vorbild, hat hier viele Fans geprägt. Sie waren damals drei Jahre alt - was verbinden Sie damit?
Belair: Ich habe ja eine etwas andere Geschichte als die meisten anderen WWE-Superstars. Als ich bei WWE angekommen bin, hatte ich beim Thema Wrestling-Geschichte noch etwas nachzuholen und habe mir daher so viele große Matches und Events angeschaut, wie ich nur konnte. Dieser wurde mir damals mit am häufigsten empfohlen, besonders wegen des Matches zwischen Bret Hart und dem British Bulldog - und das hat dann auch bei mir definitiv am meisten Eindruck hinterlassen. (20. Todestag: Die Tragödie des British Bulldog)
SPORT1: Ein Frauenmatch gab es damals allerdings nicht, WWE war damals noch deutlich männerdominierter als heute - ein zusätzlicher Anreiz, dem legendären Vermächtnis etwas hinzuzufügen?
Belair: Ja, ich bin definitiv zur richtigen Zeit bei WWE, die Frauen stehen jetzt in vorderer Reihe und sind die Zukunft. Auch bei Clash at the Castle werden wir Frauen da rausgehen mit dem Ziel, etwas Denkwürdiges zu schaffen und am Ende des Abends in den sozialen Medien zu trenden.
SPORT1: Ihre Kollegin und Rivalin Becky Lynch kommt aus Europa, viele andere weibliche wie männliche WWE-Stars auch. Ist da die Vorfreude nochmal größer?
Belair: Definitiv. Ich habe selbst erlebt, dass es zusätzlich aufregend ist, „nach Hause zu kommen“. Ich merke das bei den Europäerinnen und Europäern hier jetzt auch schon - bei Drew (McIntyre), bei Nikki ASH, bei Doudrop. Und daran, dass sich mehr Fans für Ticket-Vorbestellungen registriert haben als bei jedem anderen WWE-Event in der Geschichte, merkt man ja auch, dass die Vorfreude überall groß ist.
Belair war vor ihrer WWE-Karriere kein Wrestling-Fan
SPORT1: Viele andere WWE-Stars waren Wrestling-Fan von Kindesbeinen an, Sie wurden als „Fachfremde“ von WWE gescoutet. Wie sehr war das spürbar auf Ihrem Weg durch das Nachwuchsprogramm der Promotion?
Belair: Ich muss sagen: Ich beneide diejenigen, die Fans seit frühester Kindheit waren. WWE als Kind zu erleben muss überwältigend sein, diese Erfahrung fehlt mir. Ich bin mit 27 Jahren hinzugestoßen, ohne jede Wrestling-Erfahrung, unter den Voraussetzungen hat man was aufzuholen und zu beweisen, letztlich habe ich damit ja jemand anderem den Platz weggenommen, von dem er lebenslang geträumt hat. Es ist ein Privileg, dessen musste ich mir immer bewusst sein und immer wieder beweisen, dass ich es auch verdiene, dass ich dazugehöre. Ich wollte nie einen Hehl daraus machen, dass ich bei null angefangen habe, nicht irgendwas vortäuschen, was nicht da war. Aber was immer da war: Ich bin ehrgeizig und hungrig - und bei WWE habe ich so etwas wie eine Seelenverwandtschaft gefunden, ich hatte wirklich so ein Gefühl in Richtung: „Dich habe ich mein ganzes Leben lang gesucht, wo warst du nur vorher - ich liebe dich!“ (lacht) Es hat gepasst, auch weil ich von Anfang an versucht habe, meine eigene Note reinzubringen: athletische Elemente aus dem Crossfit und der Leichtathletik, aber zum Beispiel auch bei meinem Auftritt, ich hatte schon dort meine eigenen Anzüge designt.
SPORT1: WWE hat im Lauf der Jahrzehnte vielen Quereinsteigern aus anderen Sportarten, den Weg zum Wrestling zu ebnen versucht, unter anderem ja auch Ex-Fußballnationalkeeper Tim Wiese. Bei weitem nicht alle haben es am Ende geschafft - und kaum ein Späteinsteiger war so erfolgreich wie Sie. Was haben Sie richtig gemacht, was andere falsch gemacht haben?
Belair: Ich kann nicht für alle sprechen, aber: Es ist ein Handwerk, das besondere Fertigkeiten abverlangt. Ich habe seit frühester Kindheit quasi alle Sportarten ausprobiert, trotzdem bin ich hier mit dem Gefühl angekommen, praktisch nichts zu wissen. Als ich angekommen war, hatte ich anfangs auch noch den Gedanken, dass ich ja nebenbei noch für Crossfit trainieren könnte, weil ich das Thema noch nicht ganz abgehakt hatte - aber ich habe sofort gemerkt: keine Chance! Man muss hier alles andere los- und sich voll auf diese Aufgabe einlassen. Ein wichtiger Unterschied zu anderen Sportarten ist auch: Dort trainierst du und bestreitest dann einen Wettbewerb, in dem dein Körper das Kommando übernimmt, eine competition. WWE ist aber mehr als eine competition, es ist eine performance: mit dem Publikum zu interagieren, eine Geschichte zu erzählen, eine Persönlichkeit zu sein, mehr als eine Athletin zu sein, einen It-Faktor zu verkörpern. Das ist nochmal eine ganz andere Herausforderung, aber genau in diese Herausforderung, in diese Kunst habe ich mich auch besonders verliebt.
Wirbel um WrestleMania Main Event: Belair sieht‘s gelassen
SPORT1: Ihr WrestleMania-Match gegen Becky Lynch mit seinem ganzen Drum und Dran war das beste Beispiel für eine große Show-Performance. Lynch war es davor - auch im Gespräch mit uns - auch ein besonderes Anliegen, ihr Match als den eigentlichen Main Event des Abends dazustellen, ein Thema, um das es generell aus mehreren Gründen Wirbel gab. Wie wichtig war Ihnen das?
Belair: Ganz klar: Den Main Event von WrestleMania will jeder gern bestreiten. Becky hatte diese Ehre schon, ich auch im vergangenen Jahr mit Sasha Banks. Ich freue mich für jeden, mit dem ich diese Ehre teilen kann - denn wer immer diesen Platz bekommt, hat ihn auch verdient. Dass es in diesem Jahr an Tag 1 das Match zwischen Stone Cold Steve Austin und Kevin Owens war, war richtig cool, besonders für Kevin, aber auch für die Fans, zum Beispiel auch für meinen Bruder, der im Publikum saß und Stone Cold bewundert. Ich hab mir das Match hinterher angeschaut, mit meinem Titelgürtel auf der einen und einem Eispack auf der anderen Schulter - davon gibt es auch ein Bild, eine schöne Erinnerung. Man kann selbst nicht immer im tatsächlichen Main Event stehen, was ich aber in der Hand habe und was mein Anspruch ist: Ich will immer eine „main event performance“ abliefern. Ich hab nach dem Match gegen Becky backstage den Satz gehört: Ihr habt es den anderen schwer gemacht, das zu toppen. Und diesen Satz zu hören, muss immer unser Ziel sein.
SPORT1: Ein großes Thema der vergangenen WWE-Wochen. Topstar Roman Reigns wird künftig deutlich seltener zu sehen, andere müssen die Lücke füllen. Nehmen Sie das auch als Chance für die WWE-Frauen wahr, ihren Wert noch mehr unter Beweis zu stellen?
Belair: Definitiv. Wobei mein Anspruch ist: Ich will, dass die Frauen am Ende des Abends Gesprächsthema Nummer 1 sind, auch wenn Roman auf der Card ist. Ich freue mich für Roman, wenn er jetzt anderen Projekten nachgehen kann, ist das großartig für ihn. Aber ich möchte nicht sagen, dass Roman gehen muss, damit wir glänzen können, das tun wir längst.
Auch Belairs Mann Montez Ford hat große Ziele bei WWE
SPORT1: Auch Ihr Ehemann Montez Ford ist WWE-Wrestler, kein Geringerer als Dwayne „The Rock“ Johnson sieht ihn als kommenden WWE-Champion - und auch mein Kollege Marcus Hinselmann hat kürzlich in unserem Wrestling-Podcast Heelturn gesagt, dass er vom Glauben abfällt, wenn es nicht so kommt. Muss er sich Sorgen machen?
Belair: Natürlich nicht (lacht). Die Zukunft ist bei Montez in guten Händen, er wird großartige Dinge tun. Wobei ich der Meinung bin, dass er und Angelo Dawkins auch im Team als Street Profits noch viel vor sich haben, man hat kürzlich bei RAW in dem Match gegen RK-Bro gesehen, was in ihnen steckt, die müssen diesen Titel auch mal wieder halten. Ich weiß, wie verbunden die beiden sind, auch wenn sie irgendwann mal einzeln unterwegs sein werden, werden sie der größte Fan des jeweils anderen bleiben. Und wenn es so kommt - ganz klar: Montez Ford ist die Zukunft. Ich weiß, ich bin da ein bisschen befangen, aber es ist so: Montez Ford ist definitiv die Zukunft.
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SPORT1: Der größte weibliche Star, mit dem Sie noch nicht bei WWE im Ring waren, ist die in diesem Jahr zurückgekehrte UFC-Hall-of-Famerin Ronda Rousey. Haben Sie ein mögliches „Dream Match“ da schon im Kopf?
Belair: Absolut. Ich habe in ihrer Abwesenheit viele Dinge erreicht, die sie erreicht hat, jetzt ist sie Champion bei SmackDown, ich bei RAW. Ich will gegen sie antreten, ganz klar. Ich bin mit vollem Herzen Athletin und sie ist mit die beste Athletin, die wir haben – und das wird auch aus mir das Beste herausholen, das wird ein großartiges Match geben. Außerdem ist da diese Sache, dass sie sagt, sie sei die böseste Frau des Planeten, „The BaddEST Women on the Planet“ nennt - aber ich bin „The EST“, der Superlativ gehört doch mir (lacht). Das müssen wir klären im Ring, eines Tages.