Sonntagmorgen gegen 10 Uhr Ortszeit, 555 South Lamar Street, die dritte von 23 Etagen des repräsentativen Omni Hotels in Dallas.
„Bekomme absurden Haufen Geld“
„Bitte nicht vorab twittern“, schreibt der Ansprechpartner von WWE, es soll erstmal nur „eine ausgewählte Gruppe“ im Bilde sein, dass die weltgrößte Wrestling-Liga hier ihren großen Fang präsentiert. (NEWS: Alle Neuigkeiten zu WWE)
Cody Rhodes kommt, der Mann, der am Tag zuvor bei der Megashow WrestleMania 38 vor knapp 78.000 jubelnden Zuschauern sein großes Comeback gefeiert hat. Eineinhalb Tage, bevor er sich bei der TV-Show Monday Night RAW unter Tränen erstmals wieder an ein WWE-Publikum wendet, stellt er sich den Medien vor.
Es gibt ein größeres Video-Interview mit dem landesweit bekannten Kampfsport-Journalisten Ariel Helwani - und eine Pressekonferenz mit rund 20 Medienvertretern aus alle Welt, SPORT1 unter ihnen.
Es könnte ein Routinetermin sein, aber es wird mehr als das. Der „American Nightmare“ ist in Redelaune. Erzählt ausführlich, offenherzig und teils ähnlich anrührend wie seine RAW-Ansprache am Tag danach. Und nährt das immer mehr aufkeimende Gefühl, an diesem WrestleMania-Wochenende den Beginn von etwas Großem mitzuerleben.
- Die Tops und Flops der Megashow WrestleMania mit Vor-Ort-Eindrücken aus Dallas: Heelturn - der SPORT1 Wrestling Podcast - die aktuelle Folge auf SPORT1, Spotify, Apple Podcasts, Google Podcasts, Podigee und überall, wo es Podcasts gibt
Einen Wechsel wie den von Cody Rhodes gab es lange nicht
Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die Rückkehr des 2016 abgewanderten Rhodes die wichtigste WWE-Verpflichtung seit etwas mehr als 20 Jahren ist.
Nicht, dass der 36 Jahre alte Rhodes der größte Star wäre, den das Showkampf-Imperium des ewigen Vince McMahon in diesem Zeitraum geholt hat. Und er ist auch nicht zwingend der, der noch der größte Star werden könnte. Es sind die Implikationen des Wechsels, die es so nicht mehr gegeben hat, seit im Jahr 2001 World Championship Wrestling (WCW) untergegangen ist, der bis dahin letzte große WWE-Rivale.
Rhodes ist der erste große Star, der vom neuen Konkurrenten AEW kommt - den er selbst mitgegründet und als „Executive Vice President“ unter Boss Tony Khan auch mitgelenkt hatte.
Cody von WWE behandelt wie ein König
Mit dem Erfolg oder Misserfolg des Projekts Rhodes wird in den kommenden Jahren viel stehen und fallen: Alle anderen prominenten Free Agents der Zukunft werden genau verfolgen, wie Rhodes einschlägt, wie er behandelt wird, ob sich der Wechsel als gute oder schlechte Idee erweisen wird.
Allen voran das von Rhodes bei AEW protegierte Supertalent Maxwell Jacob Friedman (MJF), das 2024 auf den Markt kommen wird und schon jetzt genüsslich mit dem zu erwartenden „Bieterkrieg“ um seine Dienste kokettiert.
Die Personalie Rhodes ist für WWE der Schlüssel zu vielen weiteren - und der erste Eindruck ist, dass es McMahon wohlbewusst ist. Skeptiker, die befürchteten, dass Rhodes bei WWE wieder in dem Karriere-Niemandsland ankommen würde, das er vor sechs Jahren frustriert und erklärtermaßen auch „wütend“ verlassen hatte, sehen sich getäuscht.
Der verlorene Sohn - der nicht in jeder Hinsicht als der Typ Wrestler gilt, den WWE als Topstar sieht - wird bei seiner Wiederkehr behandelt wie ein König, überhäuft mit Geld, Prunk und Privilegien.
„Ich bekomme einen absurden Haufen Geld“
„Ich bekomme einen absurden Haufen Geld bezahlt und ich darf ich selber sein“, lautet Rhodes‘ erstes, zufriedenes Resümee. Neben einem Topstar-Gehalt (Roman Reigns und Brock Lesnar sollen je um die 5 Millionen Dollar jährlich verdienen, andere Aushängeschilder zwischen 2 und 4) bekommt er auch die bei WWE nicht selbstverständliche Freiheit, weiter auf eigene Rechnung andere Showbiz-Projekte voranzutreiben.
Gleich bei seinem Debüt sprang ins Auge, dass McMahon im Fall Rhodes nicht in sein oft gewohntes Muster gefallen ist, den Charakter eines Neuankömmlings sofort einzuverleiben und nach eigenem Bilde umzuformen. Es gab keine Rückkehr zu „Dashing Cody“ oder gar zu „Stardust“: Rhodes‘ selbst kreierte Rolle blieb unangetastet (“Sie ist ja nicht kaputt“, soll McMahon laut Rhodes gesagt haben). Sogar sein AEW-Theme - an dem Rhodes selbst die Rechte hat - blieb bei WWE dasselbe.
- Folgen Sie den SPORT1-Wrestlingexperten Martin Hoffmann (@Wrestlerzaehler) und Marcus Hinselmann (@heelturnmarcus) auf Twitter
An Rhodes‘ Comeback-Promo mit der emotionalen Hommage an den 2015 verstorbenen, legendären Vater Dusty Rhodes war auch klar erkennbar, dass sie Rhodes‘ eigene Handschrift trägt, dass er auch bei WWE weiter kreative Freiheit genießt. Die Art von Freiheit, die bei AEW allgemein üblich ist, bei WWE nur für etablierte Topstars. Es war schon in mehreren Fällen der Knackpunkt für zwischen WWE und AEW schwankende Stars und Talente.
Rhodes selbst hatte nach seinem WWE-Abggang 2016 von einem „kaputten System“ bei WWE gesprochen, mit AEW eine Alternative zu schaffen, war sein erklärter Antrieb. Nun sagt er, dass er bei WWE sein wesentliches Ziel sei, anderen vorzuleben, „ohne Furcht ich selbst zu sein“, selbstbewusst zu vertreten, was für einen selbst funktioniere - ohne von der großen Firmenmaschinerie „eingeschüchtert“ zu sein, so wie er es in jüngeren Jahren gewesen wäre.
Cody lässt ungeklärte Fragen zu AEW-Abgang offen
Bei AEW funktionierte das für Rhodes am Ende nicht so, wie anfangs gedacht. Als kreativer Mitentscheider wurde er - ebenso wie die anderen EVPs Kenny Omega und Nick und Matt Jackson schon nach wenigen Monaten entmachtet. Boss Khan war zum Schluss gekommen, dass zu viele Köche den Brei verderben würden.
AEW ist mit Khan als Alleinverantwortlichem seitdem gut gefahren, an Rhodes jedoch soll mehr als an den anderen Mitgründern genagt haben, sich nicht umfassender einbringen zu können. So wie er es von Vater Dusty gelernt hatte, der auch als kreativer „Booker“ eine Legende war.
In der PK bestätigt Rhodes das nicht, er bewahrt Stillschweigen über die genauen Gründe für die Entfremdung, deutet nur an, dass „nichts Schändliches, nichts Skandalöses“ passiert sei. Man habe sich schlicht „auseinander entwickelt“.
Das „wirklich gute Angebot“ von WWE hätte ihm dann die Entscheidung leicht gemacht. Er sei froh, mit AEW einen Arbeitgeber mitgeschaffen zu haben, „der nun viele Familien ernährt“. Er hätte so kein schlechtes Gewissen gehabt, „nun etwas für mich selber zu tun“.
Bei AEW in einer Sackgasse
Rhodes‘ Gefühl, dass ein Tapetenwechsel ihm guttun würde, kam nicht von ungefähr: Von einem größeren Teil der AEW-Fans wurde er zuletzt böse ausgebuht, er selbst fühlte sich als „Gatekeeper“ für aufstrebende Stars, der selbst nicht mehr vorangekommen sei.
Die Karriere-Sackgasse war teils selbst verschuldet, Rhodes‘ Entschluss, nie mehr den bösen „Heel“ spielen zu wollen, engte ihn ebenso ein wie die selbst getroffene Wahl, sich mit einer inszenierten Klausel selbst aus dem Rennen um den World Title von AEW zu nehmen.
„Ich wollte die Fans nicht erbosen“, begründet Rhodes diese Entscheidung, er hätte sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollen, den Gürtel nur wegen seiner Backstage-Macht zu tragen. Genutzt hatte es letztlich nichts: „Die Fans sind ja trotzdem pissig geworden.“
Bei WWE dagegen wird Rhodes aktuell empfangen wie ein Heilsbringer und auch wenn das selbst noch mit Vorsicht genießt (“Der erste Auftritt ist eine Freikarte“): Er versprüht Topstar-Aura, drängt sich auf für eine Blockbuster-Story, in der er dem großen Titel nachjagt, den seinem Vater in seinem reichhaltigen Vermächtnis fehlt.
WWE rettete Rhodes-Familie vor der Pleite
Vater Dusty hatte zu seinen Lebzeiten ein gespaltenes Verhältnis zu McMahon, war selbst durch seine prägende Rolle bei WCW bzw. Vorgänger Crockett Promotion Konkurrent, sein eigene Zeit in der früheren WWF wirkte auf viele Kritiker eher wie eine Verhöhnung der Legende.
Cody weist in der PK darauf hin, dass er das etwas anders sieht: „Diese Zeit hat unserer Familie viel Geld eingebracht“, sagt er - und zeigte sich zudem dankbar dafür, dass WWE Vater Dusty durch seine spätere Wiedereinstellung 2005 aus höchster finanzieller Not gerettet hätte.
„Wir waren pleite“, erinnert sich Cody, berichtete, dass sein Vater damals „Millionen Dollar“ mit einem eigenen Ligaprojekt verspielt hätte, die Familie hätte zwischenzeitlich ihre Stromrechnung nicht bezahlen können.
Rhodes ist bei der Schilderung dieser Episode den Tränen nahe. Eineinhalb Tage später überkommen sie ihn bei RAW, als er über seinen toten Vater, seine neun Monate alte Tochter Liberty und die unvollendete Mission seiner Familie spricht.
Cody Rhodes und WWE: Es ist eine große Geschichte - geschäftlich und persönlich.