„Ich kann Dinge, die auch manche Frauen nicht hinbekommen, die halb so schwer sind wie ich.“
Sie will beim Rumble die Welt verblüffen
Mit diesen Worten stellte sich die aus Ayrshire in Schottland stammende Kimberly Benson alias Doudrop vor viereinhalb Jahren vor, als sie ihren ersten WWE-Auftritt absolvierte.
Die 95 Kilo schwere Wrestlerin, damals als Piper Niven, früher auch als Viper bekannt, stach in dem Mae-Young-Classic-Turnier tatsächlich heraus durch ihre für ihr Gewicht besondere Athletik.
Mittlerweile hat sich das Powerhouse mit dem selbstironischen Namen (“dewdrop“ heißt übersetzt „Tautropfen“) zu einem aufstrebenden Star entwickelt, der nun vor seinem vorläufigen Karriere-Höhepunkt steht.
Beim Royal Rumble 2022 in der Nacht zum Sonntag fordert Doudrop RAW-Damenchampion Becky Lynch heraus und bekommt bei der Traditionsshow ihre bislang größte Bühne. Im SPORT1-Interview spricht die 30-Jährige darüber, was ihr das bedeutet, ihre Vorbilder als Fan und Wrestlerin - und wie sie den Umgang mit ihrem nicht alltäglichen Look auch als persönliche Mission sieht.
SPORT1: Doudrop, die Namensänderung des österreichischen Hoffnungsträger von WALTER in „Gunther“ war der vielleicht größte Aufreger der vergangenen WWE-Wochen. Auch Ihr Namenswechsel im Sommer - von Piper Niven auf Doudrop - hat vielen Ihrer Fans nicht gefallen ...
Doudrop: Nun, sechs Monate danach kämpfe ich bei einer der größten WWE-Shows überhaupt um den RAW-Damentitel. Das ist für mich in diesem Tempo zwar erstmal genauso überraschend wie für die meisten anderen - aber es zeigt für mich auch etwas: Es gibt Namenswechsel, es gibt Charakterwechsel, aber am Ende ist nichts so wichtig wie das Talent, das sich unter dieser Oberfläche befindet. Und ich bin sehr sicher: Das unglaubliche Talent, das die Person hat, von der wir hier reden, wird sich ebenso durchsetzen, egal was kommt.
- Das hausgemachte WWE-Problem um Roman Reigns: Heelturn - der SPORT1 Wrestling Podcast - die aktuelle Folge auf SPORT1, Spotify, Apple Podcasts, Podigee und überall, wo es Podcasts gibt
SPORT1: Ihre eigene Karriere haben Sie wie WALTER / Gunther in der europäischen Szene angefangen, waren als „Viper“ 2017 auch bei wXw in Deutschland zu Gast. Was sind Ihre Erinnerungen an diese Zeit?
Doudrop: Meine Freude am Reisen mit „den Mädels“, mit denen ich damals durch Europa und andere Länder getourt bin. Es ist das, was ich mit am meisten mag an dem, was ich tue. Damals in Deutschland war ich unterwegs mit Toni Storm, die ja auch bei WWE bis vor kurzem noch meine Kollegin war und mich früher auch schon begleitet hat. Wir haben uns einiges an billigem Wein geteilt, sind auch durch Japan getourt, die Schweiz, Frankreich und manch eine Spelunke mitten im Nirgendwo, in der wir uns schon mal gefragt haben: Ob das vielleicht der Ort ist, an dem wir sterben werden? (lacht) Da gab es viele Momente, die sich ins Herz eingegraben haben.
SPORT1: Auch Sie waren vor ihrer eigenen Wrestling-Karriere mal Wrestling-Fan. Was und wer hat Sie begeistert in Ihrer Kindheit?
Doudrop: Meine früheste Erinnerung ist: Ich lag als kleines Kind krank im Bett - Windpocken, glaube ich - und sehe beim Zapping durch Fernsehprogramm eine riesige Arena, ein Feuerwerk und die aufgeregt schreienden Jim Ross und Jerry „The King“ Lawler ...
SPORT1: ... das legendäre WWE-Kommentatoren-Duo der Attitude Era ...
Doudrop: ... und dann kam der Undertaker mit seinem Einzug - und ich war absolut gefesselt. Wrestling war für mich eine ziemlich ideale Mischung aus allem, was mich begeistert hat: Ich war ein tomboy, nicht typisch mädchenhaft, aber gleichzeitig trotzdem begeistert von Tanz, Gesang, glamouröser Unterhaltung. Da hat das Wrestling einen Nerv getroffen. Ich hab viele schöne Erinnerungen an den Undertaker, an Stone Cold Steve Austin, Triple H - oft beim Abendessen geschaut, während meine Mutter mich ermahnt hat, doch bitte auch den Teller im Auge zu behalten (lacht). Es war ein großer Spaß.
SPORT1: Was bedeutet Ihnen speziell der Royal Rumble - mit dem viele Fans eine besondere kindliche Begeisterung verbinden?
Doudrop: Der Royal Rumble war und ist auch mein Lieblings-Event und es ist für mich unglaublich, jetzt dabei zu sein, gerade auch, wenn ich dran denke, wie der Rumble weltweit so viele Fans verbindet, dass er auf Partys, in Bars und die Leute sich dort gemeinsam überraschen lassen, wer diesmal unangekündigt im Rumble-Match auftaucht. Und gerade auch weil es ja eine junge Tradition ist, dass die Wrestlerinnen da gleichberechtigt mitmischen, ehrt es mich, dabei zu sein. Und dann auch um den Titel antreten, gegen Becky Lynch, die Siegerin des ersten WrestleMania-Hauptkampfs der Frauen, die Beste der Besten aus meiner Sicht, eine unglaubliche Frau: Das ist schon monumental, eigentlich nicht zu toppen.
- Folgen Sie den SPORT1-Wrestlingexperten Martin Hoffmann (@Wrestlerzaehler) und Marcus Hinselmann (@heelturnmarcus) auf Twitter
SPORT1: Wenn man an Ihr RAW-Debüt als eher naiv wirkende Vollstreckerin von Eva Marie zurückdenkt und all die Wendungen, die Ihr Charakter seitdem hatte: Man hatte von außen den Eindruck, dass da nicht alles glatt und wie ursprünglich geplant gelaufen ist. Wie haben Sie das erlebt?
Doudrop: Nun, es war ... spannend, möchte ich es mal nennen. Aber ja, es gab auch Schwierigkeiten, man muss damit umgehen. Wenn etwas nicht so funktioniert, wie man es sich vorgestellt hat, ist das ja nicht die böse Absicht von irgendjemandem, der einen bewusst mal hierhin und mal dorthin schickt. Solche Dinge durchzustehen, gehört zum Job im Wrestling. Man muss auf Dinge reagieren, sich anpassen können, arbeiten mit dem, was dir gegeben wird, es zum Funktionieren bringen. Ich finde, es ist mir ganz gut gelungen und ich habe auch Spaß dran, denn mein Gefühl ist: Schritt für Schritt kommt bei Doudrop mehr meine eigene Vision durch und darum sollte es auch gehen. Etwas, was authentisch ist auf die eine oder andere Weise, hat bessere Chancen, dass Fans sich dafür begeistern.
SPORT1: Welche Einflüsse hatte der Doudrop-Charakter? War er gedacht als eine moderne Version von Bertha Faye, dem WWE-Charakter der leider früh verstorbenen Rhonda Singh, der in den Neunzigern gegen Alundra Blayze gestellt wurde?
Doudrop: Oh, ich bin froh, dass Sie Rhonda erwähnen, denn ich finde, wir haben mehr als eine Verbindung. Rhonda war in Japan der „Monster Ripper“, eine Zerstörerin, bei WWE dagegen eine bunte, poppige Figur. Viele mochten das nicht, aber ich fand phänomenal, was sie in beiden Rollen gemacht hat. Und für mich steckt da auch eine größere Sache dahinter: Ich will zeigen, dass wir „big persons“ vielfältig statt eintönig sind, ich will Vorbildern wie den japanischen Stars Bull Nakano, Aja Kong, Dump Matsumoto gerecht werden, die gezeigt haben, dass genau das geht.
SPORT1: Gibt es andere Botschaften, die Sie mit dem, was Sie im Wrestling tun, gern nach außen senden würden?
Doudrop: Mein größter Wunsch wäre, jemandem, der mich sieht, vermitteln zu können: Trau dich, du selbst zu sein. Es gibt in dieser Welt so viel Oberflächlichkeit, Falschheit, Künstlichkeit - da spiegelt das Wrestling das „wahre Leben“ wider. Und ich finde es erfrischend, in so einer Welt einfach authentisch zu sein, Talent statt Äußerlichkeiten für dich sprechen zu lassen. Die Botschaft zu verbreiten, dass es viele Arten von Schönheit gibt, dass ein hübsches Gesicht, große Brüste usw. schön und gut sind, aber dass ein gutes Herz das Wesentliche ist: Das ist mir wichtig.