Seine Familiengeschichte ist ein Stück Wrestling-Historie, deutsche und internationale. Er selbst knüpft daran an, mit bahnbrechenden Errungenschaften bei WWE.
Bei WWE bahnt sich ein deutscher Hammer an
Marcel Barthel ist der erste Deutsche, der vom globalen Showkampf-Marktführer zweimal zum Champion gekürt wurde. Als Teil der Gruppierung Imperium und aktueller Träger des NXT-Tag-Team-Titels ist er ein Pfeiler der Dienstagsshow, auch bei RAW und SmackDown hatte er schon Auftritte, der Modellathlet befindet sich aktuell auch körperlich in der Form seines Lebens.
Der 31-Jährige ist mit beeindruckendem Erfolg in die Fußstapfen seines 2015 verstorbenen Vaters Axel Dieter getreten, der in der Nachkriegs-BRD einer der erfolgreichsten „Berufsringer“ des Landes war.
In der neuen Episode von Heelturn - der SPORT1 Wrestling Podcast (auf SPORT1, Spotify, Apple Podcasts, Podigee und überall, wo es Podcasts gibt) spricht Barthel ausführlicher denn je über seine besondere Geschichte - und enthüllt dabei auch bislang unbekannte Details seiner Karriere.
Unter anderem schildert Barthel ein dramatisches Erlebnis zu Beginn der Corona-Pandemie, dessen Ausgang großen Einfluss auf seinen weiteren Werdegang bei WWE hatte. Zudem nimmt er Stellung zu einem heißen Gerücht, das auch seiner WWE-Zukunft eine neue Wendung geben könnte.
Marcel Barthel von Vater Axel Dieter geprägt
Der gebürtige Pinnebeger kommt, wie er selbst sagt, „ein bisschen aus einer anderen Ecke“, als praktisch alle Wrestler-Kollegen - weil er schon als Kind Einflüsse mit auf den Weg bekam, die so nur noch wenige Wrestler und auch Fans seiner Generation beschäftigten.
„Ja, ich war auch ein Hulk-Hogan-Kind, mochte The Rock, Kurt Angle, Shawn Michaels“, sagt Barthel SPORT1, „aber eben auch Mile Zrno, Steve Wright, Axel Dieter.“ Leute, über die er mit seinen gleichaltrigen Freunden eher keine Unterhaltungen führen konnte. Umso größer leuchten die Augen von Nostalgikern mit einem Faible für das deutsch-europäische „Catchen“, das Barthels Vater zwischen den fünfziger und achtziger Jahren entscheidend mitgeprägt hatte.
Der 1933 geborene Dieter, Zeitgenosse von WWE-Rekordchampion Bruno Sammartino, stand mit Legenden zahlreicher Länder und Generationen im Ring. Zrno und Wright - Vater des in den Neunzigern bei WWE-Rivale WCW erfolgreichen „Das Wunderkind“ Alex Wright, der auch Trainer von Barthels Partner Fabian Aichner ist - waren nur zwei seiner legendären Weggefährten.
Dieter kämpfte mit deutschsprachigen Szene-Ikonen wie Horst Hoffmann und „Big“ Otto Wanz, US-Stars wie Larry „The Axe“ Hennig (Vater von „Mr. Perfect“ Curt Hennig) und Bob Windham (Blackjack Mulligan, Großvater von „The Fiend“ Bray Wyatt) und am Ende seiner Laufbahn auch mit dem jungen Bret „The Hitman“ Hart und Bull Power, dem späteren Big Van Vader.
Vom Teenie-Talent zum Weltklasse-Techniker
Der weit gereiste und fünfmal verheiratete Dieter lebte für seine Passion mehr als für alles andere. Entsprechend groß war seine Freude, als sein sechstes, 57 Jahre nach ihm geborenes Kind dasselbe Feuer fing.
„Ich hätte Bundeskanzler werden können, es hätte ihm nicht dasselbe bedeutet wie ein zweitklassiger Profiringer zu sein“, sagt Barthel, für den sein Vater bis zu dessen Tod Mentor und Wegbegleiter war. Barthel nannte sich vor seiner WWE-Zeit auch „Axel Dieter Jr.“ und kämpfte lange in den alten schwarzen Stiefeln seines Papas, die der ihm in seiner Jugend als symbolisches Geschenk überreicht hatte: „Als ich dann mein Debüt gefeiert habe, passten sie tatsächlich wie angegossen.“
Barthel profitierte von dem reichhaltigen Erfahrungsschatz des Vaters, der ihm unter anderem riet, sich einen echten Kampfsporthintergrund als Amateurboxer und -ringer zu erarbeiten, bevor er 2008 als 17-Jähriger seine ersten Schritte in der deutschen Szene machte.
Aus dem anfangs teils skeptisch betrachteten Talent hat sich ein Ausnahme-Wrestler entwickelt, der seinen modernisierten europäischen Stil im Lauf der Jahre auf Weltklasse-Niveau gehoben hat. Bei WWE hat er sein Handwerk weiter verfeinert, unter der Anleitung von Vorbildern wie Triple H und Shawn Michaels (“als würde ich Maradona und Pelé nahe sein“), aber auch weniger bekannten Backstage- und Trainer-Größen wie Matt Bloom (A-Train), Norman Smiley und Robbie Brookside.
WWE-Ritterschlag in erschütterungsreichem NXT-Jahr
Auch bei WWE ist Barthel weiter gekommen, als manche es ihm zugetraut hätten: Gerade auch die zweite Titel-Kür beim Halloween Havoc im Oktober - mit leicht variiertem Charakter als „Impeccable German“ mit Faible für europäische Edelmode - ist ein nicht zu unterschätzendes Zeichen der Wertschätzung im Kontext eines erschütterungsreichen Jahres.
Im NXT-Kader wurden zuletzt ein großer und umstrittener Ausrichtungswechsel und zahlreiche Entlassungen vollzogen - unter anderem ließ WWE auch den Vertrag von Barthels Landsmann und Imperium-Partner Axel Tischer alias Alexander Wolfe auslaufen. (Axel Tischer im Heelturn-Interview über sein Aus und „leere Versprechungen“ bei WWE)
Das Aus für Tischer, der nach seiner Ansicht bei WWE schlicht „ein bisschen Pech“ gehabt hätte, nennt Barthel „einen Schock“, mit dem er und auch seine Kollegen „nicht gerechnet hätten“. Für ihn persönlich hätte es vor allem die Sinne geschärft, dass er nicht „in einer Traumwelt“ lebe: „Jedes berufliche Verhältnis ist temporär, das ist bei WWE so wie überall sonst auch.“
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Barthel legte für Durchbruch 20 Kilo zu
Um seinem besonderen Beruf gerecht zu werden, unternimmt Barthel größte Anstrengungen: „Wir stehen morgens auf, machen die erste 20, 30 Minuten Cardio. Dann Essen, dann zwei, zweieinhalb Stunden Fitnessstudio, dann meistens zwei Stunden im Ring, dann noch mal Essen, nachher nochmal 20 Minuten Highspeed-Cardio. Man lebt wirklich nur für diesen Beruf, dafür, bei jedem Event optisch top auszusehen und Top-Leistung zu bringen.“
Als wesentlichen Schlüssel für seinen eigenen Erfolg hebt Barthel auch Imperium-Anführer Walter Hahn alias WALTER hervor: Der Österreicher war vor 13 Jahren einer seiner ersten Gegner, die beiden verbindet ein gemeinsamer Karriere-Pfad und eine langjährige Freundschaft.
WALTER sei derjenige gewesen, der ihm 2013 den Rat gegeben hätte, 20 Kilo an Masse zuzulegen, um als Wrestler ernster genommen zu werden - und hätte ihm und seinem aus Südtirol stammenden Partner Aichner auch in diesem Jahr den entscheidenden Schub gegeben, noch härter als vorher an Performance und Look zu arbeiten.
Wegen Corona beinahe aus den USA ausgesperrt
Dass Barthel nun dort steht, wo er steht, hat er aber auch einer glücklichen Fügung im Frühjahr vergangenen Jahres zu verdanken.
„Ich war in Deutschland, als Amerika kurz davor war, die Grenze zuzumachen“, enthüllt Barthel: „Ich hatte nach langer Zeit ein Wochenende mit Freunden und Familie in Hamburg geplant, musste vorher aber noch meine Visa-Angelegenheiten in Berlin klären. Normalerweise dauert das immer mindestens zwei Tage, damals lag alles zum Glück nach nur einem Tag im Briefkasten. Genau zwei Stunden später bekam ich den Anruf: Du musst SOFORT zum Airport, wir haben für dich noch einen Flieger gebucht, die machen dicht.“
Letztlich saß Barthel „im letzten Flieger, der noch in Orlando angekommen ist, ich war der Allerallerletzte bei der Passkontrolle. Hätte ich den Flug verpasst, wäre ich sechs bis acht Monate in Deutschland festgesessen - und meine Karriere hätte definitiv eine ganz andere Richtung genommen.“
Mit WALTER zu RAW oder SmackDown?
Barthel entging einem Szenario, in dem er womöglich einen entscheidenden Anschluss bei WWE verloren hätte und ist nun an einem Punkt, an dem ihm alle Türen offen stehen - womöglich sogar eine mehr, als bislang bekannt war.
Es gibt Gerüchte, dass WALTER seine persönliche Haltung, nicht wie Barthel und Aichner in die USA ziehen zu wollen, überdacht hat. Das Schwergewicht, das aktuell ebenfalls in auffälligem Maß an seinem körperlichen Erscheinungsbild arbeitet, wäre in dem Fall ein sicherer Kandidat für eine Hauptkader-Beförderung. Viele Experten sehen in ihm bei richtigem Einsatz sogar ein Main-Event-Kaliber in einer Reihe mit Roman Reigns und Brock Lesnar.
Steigt WALTER - am Wochenende in einem Gastspiel für die alte Heimatliga wXw in Deutschland zu sehen - bei WWE auf, dürfte das auch für Barthel und Aichner der Türöffner zu RAW oder SmackDown sein.
„Zu den persönlichen Dingen von WALTER weiß ich nicht mehr und kann ich nichts dazu sagen“, meint Barthel zu dem Thema. Gewiss sei allerdings: „WALTER gehört meiner Meinung nach zu den Top 3 der Welt. Wenn bei ihm tatsächlich eine Veränderung zur Debatte stünde: The sky is the limit. Ich traue ihm zu, in jeder Promotion der Welt bei der wichtigsten Show des Jahres im Main Event zu stehen.“
Und zu seinen persönlichen Aussichten bei RAW oder SmackDown: „Nicht alles liegt in unserer Hand, aber ich kann mir vieles vorstellen. Ich bin jetzt 31 und noch lange nicht fertig, mit dem, was ich machen will. Fabian, Walter und ich: Wir können ganz nach oben, das Potenzial ist da, keiner macht und verkörpert das, was wir tun, so wie wir es tun. Wenn nicht jetzt, wann dann? Wenn nicht wir, wer dann?“
Klingt nach einem spannenden Jahr 2022 für das deutschsprachige Wrestling ...