Er war der erste deutschsprachige Wrestler, der bei WWE den Durchbruch schaffte.
Wrestling-Star forciert Beben
Er hielt zahlreiche Titel beim Showkampf-Marktführer, hinterließ mit seinen technisch herausragenden Matches so viel Eindruck, dass ihn Natalya Neidhart, Nichte der Ikone Bret „The Hitman“ Hart, im SPORT1-Interview als legitimen Erben ihres legendären Onkels adelte. (NEWS: Alle Neuigkeiten zu AEW)
Im vergangenen Jahr hat Claudio Castagnoli - ehemals: Cesaro - WWE nach elf Jahren verlassen und sich eine neue Herausforderung bei Konkurrent AEW gesucht. Der Schweizer - einst auch Ringpartner von Tim Wiese bei dessen WWE-Gastspiel - will nun dabei helfen, dass AEW auch im deutschsprachigen Raum noch stärker Fuß fasst.
Auf den Wechsel zum frei empfangbaren Sender DMAX am Sonntag soll nach dem Wunsch des 42 Jahre alten Modellathleten bald der nächste Paukenschlag folgen. Im SPORT1-Interview formuliert der „Swiss Superman“ seine Vision, spricht über die Gründe seines WWE-Abgangs - und räumt mit einer Spekulation rund um seine erste öffentliche Begegnung mit AEW-Boss Tony Khan auf.
SPORT1: Claudio Castagnoli, der Beginn des Wrestling-Jahrs 2023 wurde von einer tieftraurigen Nachricht überschattet, dem Unfalltod deines Kollegen Jay Briscoe. Sie kannten ihn über 15 Jahre lang. Wie behalten Sie ihn in Erinnerung?
Claudio Castagnoli: Im Moment fällt es mir immer noch schwer, dazu die richtigen Worte zu finden. Was ich sagen kann: Es war mir immer eine Freude, mit ihm im Ring zu stehen und ihn zu sehen. Wer wissen will, wie er als Mensch war: Das von ROH veröffentlichte Video, wie er zu Beginn der Corona-Quarantänezeit mit seiner kleinen Tochter ihre Cheerleader-Schritte übt, zeigt es am besten.
Claudio Castagnoli: Darum ging ich von WWE zu AEW
SPORT1: Das vergangene Jahr war für Sie ein Jahr der Veränderung, Sie haben WWE verlassen und bei AEW neu angefangen. Wie kam es dazu?
Claudio Castagnoli: Ich habe nach all den Jahren bei WWE so ein Bisschen das Gefühl bekommen, dass ich einen Wechsel brauche, eine neue Herausforderung, auch um mich nochmal weiter zu entwickeln. Und ich bin zum Schluss gekommen, dass AEW für mich die perfekte Adresse ist. Es hat sich richtig angefühlt.
- Warum ein neuer TV-Deal für AEW und die ganze Wrestling-Landschaft wegweisend wird: Heelturn - der SPORT1 Wrestling Podcast - die aktuelle Folge auf SPORT1, Spotify, Apple Podcasts, Google Podcasts und überall, wo es Podcasts gibt
SPORT1: Hatten Sie sich von Vornherein festgelegt? Oder waren Sie offen für das Gegenangebot von WWE, dort zu bleiben?
Castagnoli: Halbe halbe, sage ich mal. Ich hatte mir diesen Wechsel schon ein Bisschen in den Kopf gesetzt. Ich habe gesehen, dass es für mich bei WWE in eine gewisse Richtung gegangen war und die Richtung hat mir nicht so ganz gefallen. Von daher dachte ich: Ich kann etwas Neues gebrauchen. Und bei AEW würde ich super reinpassen. Auch wegen der vielen Leute, die ich dort schon kannte aus meiner Zeit vor WWE, mit denen ich gerne im Ring stand - einst vor 200 Leuten, jetzt quasi international (lacht). Und dann natürlich auch all die, mit denen ich noch gern in den Ring steigen wollte. Ich habe mir das Angebot von WWE natürlich auch angehört, aber wie man sieht, bin ich bei meiner Idee geblieben.
SPORT1: In mancherlei Hinsicht erinnert AEW eher an frühere Stationen von Ihnen, ist in mancher Hinsicht experimenteller als WWE. War das für Sie auch ein Reiz?
Castagnoli: Genau, denn dieses Experimentelle ist auch mit mehr Freiheiten verbunden, die mir gefallen. AEW hat da auch Einflüsse aus anderen Richtungen aufgegriffen, zum Beispiel auch von der kleinen Liga CHIKARA, in der ich und andere Kollegen wie Orange Cassidy früher auch waren. Ich glaube, dass bei AEW für jeden Fan-Geschmack was dabei ist. Ich will nicht zu viele Vergleiche ziehen, aber was mir an AEW in jedem Fall gefällt ist, dass der Fokus noch etwas mehr auf der Action und Arbeit im Ring liegt. Da fühle ich mich pudelwohl, denn im Herzen bin ich doch eher „Pro Wrestler“ als Entertainer.
SPORT1: Was in den vergangenen Monaten auch Thema bei der Fehde Ihrer Gruppierung Blackpool Combat Club mit der Jericho Appreciation Society war.
Castagnoli: Ja, und das fand ich auch sehr reizvoll. Jeder Fan hat ja eine unterschiedliche Meinung, was Wrestling sein soll und ob für ihn „Pro Wrestling“ oder „Sports Entertainment“ das Wahre ist. Da liegt es ja nahe, das auch vor der Kamera zu thematisieren und eine interessante Geschichte damit zu erzählen. Und mit keinem erzähle ich diese Geschichte lieber als mit Jon, Bryan und Wheeler (Castagnolis Teamkollegen Jon Moxley, Bryan Danielson und Wheeler Yuta, d. Red.).
- Folgen Sie den SPORT1-Wrestlingexperten Martin Hoffmann (@Wrestlerzaehler) und Marcus Hinselmann (@heelturnmarcus) auf Twitter
SPORT1: Sie sind schon lange dabei und jetzt ein Veteran in einer Umkleidekabine, in der auch viele junge Talente sind, die nach oben streben. Manch ein Veteran der von AEW hat sich kritisch geäußert, dass die Jungen nicht immer auf ihre Ratschläge hören. Wie erleben Sie es?
Castagnoli: Für mich ist es gerade eine schöne Herausforderung und Motivation, mich mit den jungen Leuten zu messen und mich zu testen, ob ich trotz meines Alters noch athletisch mithalten kann mit dem, was die jungen Talente machen. Natürlich kommt es auch manchmal zu Reibung, wenn es zwei unterschiedliche Generationen miteinander zu tun bekommen, die einen unterschiedlichen Blick auf das Wrestling haben und worauf es dabei ankommt. Aber ich kann für meinen Teil nur sagen, dass ich gerade auch deswegen unglaublichen Spaß dabei habe.
Umarmung mit Tony Khan: „Wer komische Sprüche machen will ...“
SPORT1: Vom Tag deines Überraschungs-Debüts bei AEW blieben auch die Szenen danach in Erinnerung, als Ihnen Tony Khan bei der Pressekonferenz nach dem Event euphorisch in die Arme fiel. Viele empfanden es als schöne Szene, andere lasen Irritation in Ihrem Gesichtsausdruck ...
Castagnoli: Zu 100 Prozent überinterpretiert (lacht). Dieser Abend war ein Riesenerfolg für uns beide und wir haben uns beide riesig darüber gefreut. Jeder zeigt seine Freude etwas anders. Wer da komische Sprüche drüber machen will, soll sie machen - ist kein schlechtes Zeichen, wenn über uns geredet wird. Ich jedenfalls mag Tonys Art. Der Mann hat einfach eine riesige passion fürs Wrestling und das merkt man seinem Produkt ja auch an. Ich teile diese Leidenschaft und es war speziell auch an dem Abend riesig für mich nach ein paar Monaten, in denen ich gar nicht mehr im Ring gestanden war, so empfangen zu werden von den Fans.
SPORT1: Der zweite große Moment war dann der Gewinn des ROH World Titles, Ihres ersten offiziell World Titles. Hinter dem Hall-of-Fame-Einzug des Undertakers war das auf unserer Facebook-Seite SPORT1 Wrestling der Post mit der zweithöchsten Reichweite 2022 - man hat gemerkt, wie viele Fans Ihnen das gegönnt haben. Wie viel haben Sie davon mitbekommen?
Castagnoli: Es war sehr cool und auch für mich sehr emotional. Durch die vielen Reaktionen habe ich gemerkt, wie viele Fans es gibt, die meine Karriere schon lange, teils von Anfang an verfolgen und mir treu geblieben sind und immer noch mitfiebern. Und da ich meine Karriere ja in Europa begonnen habe, bedeuten mir gerade die Reaktionen von dort sehr viel. Es ist für mich eine Freude, aber auch eine Verpflichtung, den Fans weiter das zu geben, was sie von mir erwarten. Dass sie sich darauf verlassen können, dass ich bei jedem Match in Top-Form bin, dass sie von mir das Beste bekommen, dass es im Ring abgeht. Wenn das mein Vermächtnis ist, dass ich diese Erwartung immer erfülle, bin ich sehr froh darüber.
Mit AEW 2023 nach Deutschland? „Das muss einfach sein!“
SPORT1: Ihre Weggefährtin Natalya hat Sie bei uns mal mit ihrem Onkel Bret Hart verglichen ...
Castagnoli: ... eine große Ehre, vielen Dank dafür!
SPORT1: Sie hat dabei auch darauf verwiesen, wie Bret in Deutschland geliebt wurde und dass die Anerkennung für Sie in Deutschland ebenfalls besonders hoch sei. Warum ist das so, aus Ihrer Sicht?
Castagnoli: Ich denke, die Freude am Wrestling ist in Deutschland sehr groß und das kommt mir entgegen. Gutes, technisches, auch hartes Wrestling ist mein Stil. Ich hatte ja bei WWE zu Beginn das „Gimmick“, dass ich fünf Sprachen spreche, aber ich sage immer gern, dass ich eigentlich sechs spreche. Was ich im Ring tue, ist für mich auch eine Sprache. Eine Sprache, die über alle Ländergrenzen verständlich ist, auch für die, die nicht verstehen, was ich sage. Dass ich auch außerhalb des Rings dieselbe Sprache spreche, hilft aber natürlich auch, eine besondere Verbindung zu schaffen.
SPORT1: In diesem Jahr geht es für AEW erstmals nach Europa, eine Show in London ist noch nicht terminiert, aber fix angekündigt. Spüren Sie da besondere Vorfreude?
Castagnoli: Natürlich - und ich hoffe vor allem auch, dass es auch nach Deutschland geht, denn das muss einfach sein! Ich kann jetzt nichts versprechen, denn ich weiß über Tonys Pläne noch nicht mehr als alle anderen, aber ich presche da jetzt mal vor: Es wäre einfach toll, wenn es dieses Jahr schon so weit wäre! Für mich nicht zuletzt auch deshalb, weil ich wegen der Pandemie und meines Wechsels jetzt bald vier Jahre nicht mehr in Deutschland wrestlen konnte. Die deutschen Fans bedeuten mir viel, meine Karriere ist mit vielen tollen Erinnerungen an sie verbunden und ich würde daran gern anknüpfen.