Der frühere WWE-Champion Big E war einer der wenigen, die von der sich anbahnenden Schreckensnachricht wussten.
Der traurige Tod eines sanften Riesen
Sein guter Freund Jonathan Huber - bei WWE bekannt als Luke Harper, bei AEW als Brodie Lee - würde sterben. 10 Tage nach dessen 41. Geburtstag. 13 Tage nach dem neunten Hochzeitstag mit Ehefrau Amanda, der Mutter seiner beiden Söhne Brodie und Nolan, damals acht und drei Jahre alt.
Der Körper des Superschwergewichts wurde von einer schweren und rätselhaften Lungenkrankheit befallen, die den 125-Kilo-Mann um fast 50 Kilo abmagern ließ und die sich letztlich als unkurierbar herausstellte.
Big E gehörte zu den wenigen Eingeweihten, ebenso Cody Rhodes, der in diesem Jahr zu WWE zurückgewechselte Ringrivale Hubers. Die beiden spielten am Ende noch einmal eine besondere Rolle in der Geschichte, die am 26. Dezember 2020 ein trauriges Ende nahm.
Als Luke Harper bei WWE weltbekannt
Bis kurz vor seinem viel zu frühen Ableben galt Huber in der Szene als unterschätztes und unvollendetes Phänomen: Ein in besonderem Maße athletischer 2-Meter-Hüne, unter Kollegen wegen seiner menschlichen und professionellen Qualitäten beliebt und hoch anerkannt - dessen Karriere aber etwas glücklos verlaufen war.
Bei WWE hatte Huber die Rolle seines Lebens als Teil von Bray Wyatts Wyatt Family, der als schauriger Clan aus den Sümpfen der Südstaaten präsentiert wurde, was bei Huber immer eine ironische Geschichte war: In Wahrheit konnte sein biografischer Hintergrund kaum gegensätzlicher sein, er kam wie Frau Amanda aus Rochester, New York, allertiefstes Yankee-Territorium.
Nichtsdestotrotz hielt der damalige Harper das mit Stars wie John Cena, Roman Reigns und dem Undertaker rivalisierende Bündnis stärker zusammen, als es auf den ersten Blick den Anschein hatte: Huber war mit seiner jahrelangen Erfahrung in den Independent-Ligen der arrivierteste Ringhandwerker der Gruppe. Auch sein kreativer Input und seine Fähigkeit, beunruhigende Präsenz zu erzeugen, waren für das Erfolgsprojekt integral.
WWE-Aus im Frust
Huber hatte die Hoffnung, bei WWE auch als Einzelwrestler eine gewisse unsichtbare Grenze zu überschreiten, vergeblich: Als Luke Harper blieb er festgelegt auf die Sidekick-Rolle. Er durfte Sekundär- und Tag-Team-Titel mit Partner Erick Rowan halten, aber nie mehr.
In einem intimen und tief bewegenden Nachruf in The Players‘ Tribune berichtete Witwe Amanda vor einem Jahr, dass ihr Mann vor allem enttäuscht war, dass WWE seine Bemühungen ignorierte, sich in der Fehde zwischen Wyatt und Randy Orton 2017 als dritter Mann für das WWE-Titelmatch bei der Megashow WrestleMania 33 zu empfehlen - trotz vielversprechender Publikumsreaktionen, die entsprechende Andeutungen auslösten.
Amanda bestätigte auch Berichte, dass ihr Mann beim damals noch amtierenden WWE-Boss Vince McMahon auf skurril anmutende Vorbehalte gestoßen war (“Vince hat ihm gesagt, dass seine Stimme nicht zu seinem Körper passt“).
Im April 2019 verlor Huber die Geduld mit WWE: Er bat um seine Entlassung, als er mitbekam, dass McMahon den Daumen senkte über einen letzten Versuch der kreativen Zuarbeiter, ihn größer herauszubringen.
Brodie Lee bei AEW auch eine Parodie von Vince McMahon
Bei der jungen Promotion AEW startete Huber durch in neuer Rolle als Mr. Brodie Lee, zwielichtiger Anführer der bösartigen Sekte The Dark Order. Als das „intelligent monster“, das er bei WWE nie sein durfte, wandelte er auf den Spuren des 1988 ermordeten Phänomens Bruiser Brody (wobei erwähnenswert ist, dass der Name „Brodie“ auf der Filmfigur Brodie Bruce aus „Mallrats“ basiert - Darsteller Jason Lee ähnelte dem jungen Huber).
Huber nahm in der neuen Rolle auch eine kleine Rache an Ex-Boss McMahon: Er dichtete seinem Alter Ego diverse Marotten an, die er sich von ihm abgeschaut hatte - unter anderem McMahons Vorliebe für teure Steaks und seine stets wütende Reaktion auf Untergebene, die in seiner Gegenwart niesen.
Huber bestritt 2020 bei AEW ein großes World-Title-Match gegen Jon Moxley und regierte selbst als TNT-Champion. Highlight der Fehde mit Cody Rhodes, den er dem Titel abnahm: ein blutig-intensives „Dog Collar Match“, das von Fans und Experten mit Lob überschüttet wurde.
Eine späte Karriere-Blüte war erreicht - als aus dem Nichts das Schicksal losschlug.
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Todesursache: Lungenfibrose, kein Corona
Beim Wiederaufbautraining nach dem kräftezehrenden Kampf merkte Huber, dass mit ihm etwas nicht in Ordnung war: Er konnte eine Routineeinheit auf dem Laufrad nicht beenden, fühlte sich schlapp und geschwächt, schließlich so sehr, dass er sich in die Notaufnahme bringen ließ.
Die Mediziner merkten an seinen schockierend schlechten Sauerstoff-Werten, dass seine Lunge nicht mehr richtig arbeitete. Die naheliegende Diagnose Covid-19 wurde durch alle denkbaren Tests ausgeschlossen, doch es war kein Grund zum Aufatmen, buchstäblich.
Huber hatte eine Lungenfibrose erlitten, eine Schädigung und Vernarbung seiner Atmungsorgane. Die genaue Ursache konnte nie geklärt werden, die Spezialisten vermuteten eine auf tragische Weise unerkannte und verschleppte Lungenentzündung: „Er war in so guter Form, dass sein Körper sich wohl durch die Warnsignale durchgearbeitet hat“, berichtete Witwe Amanda.
Bis Ende November war Jon noch wach und ansprechbar, richtete am Krankenbett noch über den familiären Streit, ob Brodie Jr. an Halloween als sein Wrestlerkollege Orange Cassidy verkleidet durch die Straßen ziehen dürfte (“Kauf dem Jungen die verf***te Jeans-Jacke“).
Am 22. November 2020 erlitt Huber eine folgenschwere Panikattacke, seine schnellen, unkontrollierten Bewegungen waren Gift für die massiv geschwächte Lunge. Einen Monat später stellte sich heraus, dass eine potenziell rettende Transplantation nicht mehr möglich war - das Todesurteil.
Tod beeinflusste Personalien CM Punk und Bryan Danielson
Wohin die Karriere von Jon Huber alias Brodie Lee noch hätte führen können, ist Spekulation. Sicher ist: In einer Branche, in der ähnliche Tragödien oft geschmacklos ausgeschlachtet worden sind, erwarb sich AEW viel Anerkennung und Profil durch den ausnehmend würdevollen Umgang mit seinem Tod.
Der neun Monate später von WWE zu AEW gewechselte Topstar Bryan Danielson (Daniel Bryan) hielt danach fest, dass die Show entscheidend dazu beitrug, dass in ihm der Gedanke reifte, sich der neuen Liga anzuschließen. Auch CM Punk - dessen AEW-Karriere sich mittlerweise spektakulär zerschlagen hat - hob explizit hervor, dass der Umgang von AEW mit der Brodie-Tragödie Teil seiner Entscheidungsfindung war.
Bei AEW beginnt bis heute jede Show mit einer subtilen Würdigung Hubers: Der Satz „It‘s ... - and you know what that means“, mit dem die US-Kommentatoren alle AEW-Übertragungen einleiten, spielt auf einen Running Gag Hubers an. Die Erwähnung des jeweiligen Wochentags und den kryptischen Anhang postete er jahrelang täglich auf Twitter.
Big E und Brodie Lee verband enge Freundschaft
Bei WWE war es vor allem Big E, der das Andenken an Huber hochhielt - und seinem „unglaublichen Freund da oben“ auch seinen großen Titelgewinn im Herbst 2021 widmete.
Big E - der aktuell selbst schwer verletzt ist und um seine Karriere bangt - war dem unglaublichen Freund bis zum Ende nahe. Er gehörte - neben Cody, Shawn Spears und Tyler Breeze - zu den Wrestlern, die sich am Sterbebett verabschiedeten.
Amanda Huber enthüllte im vergangenen Jahr eine weitere große Geste von Big E und Rhodes: Sie rief die beiden als moralische Stütze in ihr Haus, als sie Brodie Jr. die Nachricht vom nahenden Tod des Vaters überbringen musste. Die beiden verbrachten den Abend mit der Familie, spendeten Trost, teilten die untragbare Last.
Frau Amanda spart Schattenseiten nicht aus
Witwe Amanda spart in ihrem Gedenken auch die Schattenseiten nicht aus.
In ihrem beeindruckend offenen Players‘-Tribune-Text berichtet die nun im Charity-Bereich von AEW arbeitende Ex-Wrestlerin auch von vielen Streits und Problemen, die sie mit ihrem Mann durchstehen musste.
Von der lange prekären Existenz ihres Mannes, der vor seinem WWE-Engagement noch als einfacher Büroarbeiter in einer Schulbehörde gearbeitet hatte. Vom Sexismus, den sie selbst in der Branche erlebte und wie ihre Erfahrungen sie auch in Konflikte mit ihrem Mann brachten, dem die Schattenseiten seines Geschäfts allzu klar waren.
Sohn Brodie Lee Jr. bei AEW mit Vertrag abgesichert
Jon sei kein einfacher Mensch gewesen, er hätte selbst unter dem frühen Tod seines eigenen Vaters im Jahr 2001 gelitten und sei von dem emotionalen Trauma, Bindungs- und Verlustängsten geplagt gewesen. Dass er sich schließlich in Therapie begeben hätte, „die unsere Beziehung gerettet und unsere Familie ermöglicht hat“, behielt sie als seine größte menschliche Leistung in Erinnerung.
Huber hinterließ die beiden Söhne Brodie und Nolan, der erstgeborene Brodie bekam bei AEW einen Job auf Lebenszeit garantiert und tritt vor der Kamera immer wieder als maskierter „Minus One“ mit der zu Sympathieträgern umdefinierten Dark Order auf.
Wie die beiden ihren Vater in Erinnerung behalten sollen? „Ich erzähle ihnen von einem 2 Meter großen Bösewicht, der unten an der Straße wohnte“, beschloss Mutter Amanda den Nachruf: „Er war ein Guter, wenn man ihn besser kennenlernte.“