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Hannawald: "Das ist ein Kasperltheater, das die Österreicher aufziehen"

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Hannawald: "Das ist ein Kasperltheater, das die Österreicher aufziehen"

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Hannawald: „Für mich Kasperltheater“

Die österreichischen Skispringer haben die 73. Vierschanzentournee dominiert. Viele Fans wundern sich über die plötzliche rot-weiß-rote Dominanz. Sven Hannawald klärt im SPORT1-Interview auf.
Sven Hannawald äußerte sich zum Tournee-Abschneiden der Deutschen und Österreicher
Sven Hannawald äußerte sich zum Tournee-Abschneiden der Deutschen und Österreicher
© IMAGO/Eibner
Die österreichischen Skispringer haben die 73. Vierschanzentournee dominiert. Viele Fans wundern sich über die plötzliche rot-weiß-rote Dominanz. Sven Hannawald klärt im SPORT1-Interview auf.

Daniel Tschofenig vor Jan Hörl und Stefan Kraft, dazu Maximilian Ortner auf Rang fünf und Michael Hayböck auf Platz sieben - Österreichs Skispringer sprangen bei der 73. Vierschanzentournee der internationalen Konkurrenz bei allen vier Stationen um die Ohren. Für die anderen blieb nur die Rolle des staunenden Zuschauers. Auch für Pius Paschke, der als Favorit in den Saisonhöhepunkt gestartet war.

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Dass die Österreicher von Anfang an so überlegen waren, warf Fragen auf. Nicht minder verwundert waren die Fans aber über das schwache Abschneiden des DSV-Teams. Haben die deutschen Springer inzwischen ein Tournee-Trauma? Sven Hannawald, der das prestigeträchtige Event im Winter 2001/02 als letzter Deutscher gewinnen konnte, nennt im SPORT1-Interview mögliche Antworten.

SPORT1: Herr Hannawald, immer noch rätseln die Fans, warum die Österreicher auf den vier Schanzen der Tournee so viel besser waren als die deutschen Adler. Was ist Ihre Erklärung?

Sven Hannawald: Da die Österreicher in geballter Form als Team erfolgreich waren, gehe ich davon aus, dass sie im Sommer oder auch am Anfang des Winters etwas gefunden haben, was das Material angeht, speziell die Anzüge. Ich glaube, dass sie eine gute Stoffqualität hatten. Es war aber nicht nur das Material, sondern auch die Sprünge haben auf absolut hohem Niveau funktioniert, so dass sie sich so weit absetzen konnten.

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SPORT1: Sie gehören also nicht zu denjenigen, die die Erfolge misstrauisch beäugen und meinen, dass die Österreicher sich womöglich unerlaubterweise einen Vorteil verschaffen?

Hannawald: Nein. Es gibt Regeln, sei es beim Anzug, bei der Bindung oder bei den Schuhen. Der FIS ist bei den Kontrollen nichts aufgefallen, sonst hätten wir ja eine Meldung bekommen. Ich habe auch aus den inneren Kreisen nichts munkeln gehört. Was die Bindung angeht, haben sie sie einmal abgedeckt, in Bischofshofen hat sich dann Daniel Tschofenig im Auslauf ohne Abdeckung der Bindung gezeigt. Das ist für mich ein Kasperltheater, das die Österreicher aufziehen, wenn sie merken, dass sie zwei Schritte vor allen anderen sind. Ich möchte nicht von Bloßstellen reden. Aber sie machen sich schon darüber lustig und genießen es, dass alle anderen glauben, es sei da eine Wunderbindung dabei.

„Zehn Tage Glück wird da niemand haben“

SPORT1: Die Deutschen warten indes seit Ihrem historischen Triumph 2002 weiter auf den ersten Gesamtsieg. Gehörten Sie auch zu denjenigen, die vor dieser Tournee an einen Erfolg geglaubt hatten?

Hannawald: Ja, absolut. Es ist zwar nicht leicht, als Träger des Gelben Trikots mit den ganzen Erwartungen und der Favoritenrolle zurechtzukommen. Aber Pius (Paschke, Anm. d. Red.) war dominant. Er hat sich auf verschiedenen Schanzenprofilen bei unterschiedlichen Bedingungen durchgesetzt und hatte die Österreicher im Griff. Dementsprechend waren es noch bessere Voraussetzungen als in den letzten Jahren. Ich bin kein Pokerspezialist, aber ich hatte echt ein gutes Gefühl, dass wir am 6. Januar die deutsche Hymne hören. Auch nach dem Malheur in Engelberg (nur die Plätze 10 und 18, Anm. d. Red.) hatte ich die Hoffnung gehabt, dass Pius das Thema über Weihnachten in der Familie neutralisieren kann. Aber am Ende musste ich leider wieder einsehen, dass die Deutschen den Zug wieder verpasst haben. Obwohl ich sagen muss: Selbst wenn alles perfekt weitergelaufen wäre, hätte es Pius oder auch Andreas Wellinger mit den starken Österreichern sehr schwer gehabt.

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SPORT1: Da drängt sich schon der Verdacht auf, dass es vor allem der enorme Druck ist, dem die DSV-Adler nicht standhalten. Vor allem auch deswegen, weil sie bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen auch in der jüngeren Vergangenheit Erfolge feierten. Haben die deutschen Springer ein Tournee-Trauma?

Hannawald: Zunächst einmal. Für mich steht die Tournee über allem, über Olympische Spiele, über Weltmeisterschaften. Da reden wir über Tageserfolge. Wenn man einen guten Tag hat, kann man auch mal Glück haben und Olympiasieger oder Weltmeister werden. Aber zehn Tage lang diesem Druck, der sich immer weiter intensiviert, standzuhalten und lernen damit umzugehen, macht es so schwer, die Tournee zu gewinnen. Zehn Tage Glück wird da niemand haben. Ich kann es schon nachvollziehen, dass sich das deutsche Team so ein wenig rausnimmt aus dem Ganzen, um sich zu schonen und Energie zu sparen. Andererseits sehe ich es an den Österreichern und an meinem eigenen Beispiel: Wenn du dich dem komplett entziehst, fehlt dir das Adrenalin der Tournee, das du spürst, wenn du mittendrin bist. Wenn du nur im Zimmer sitzt, kriegst du davon nichts mit. Ich habe damals alles aufgesaugt, selbst heute als Experte habe ich an den Schanzen noch Gänsehaut. Wenn du die Tournee auf dich wirken lässt, wirst du nicht müde.

„Bin der Letzte, der an Stefan Horngacher zweifelt“

SPORT1: Ist das der große Unterschied zur heutigen Generation der deutschen Springer?

Hannawald: Das ist zumindest der einzige Punkt, bei dem ich im Nachhinein sehe, dass es immer gleich gemacht wird. Anhand der Österreicher habe ich klar gesehen, wie die damit umgehen. Das soll nicht heißen, dass es dann zum Selbstläufer wird. Auch wir (Martin Schmitt und er, Anm. d. Red.) sind zu unserer Zeit unterschiedlich mit den Themen umgegangen. Ich war offener als Martin und habe mich mehr den Fans hingegeben. Im Hinblick auf die kommende Saison sollte man den einzelnen Springern etwas mehr Verantwortung übergeben und die Leine etwas länger lassen. Da gibt es einen Andreas Wellinger, der mit Interviews kein Problem hat, und einen Markus Eisenbichler, der sich weiter in seinem Hotelzimmer versteckt.

SPORT1: Muss man nach diesem schwachen Abschneiden aus Ihrer Sicht auch Bundestrainer Stefan Horngacher in Frage stellen?

Hannawald: Nein. Ich bin der Letzte, der an Stefan Horngacher zweifelt. Ich weiß, er hat die Erfahrung, mit Kamil Stoch die Tournee zu gewinnen – und das sogar mit allen vier Springen. Am Ende des Tages liegt es am einzelnen Springer. Ich sehe da Philipp Raimund als Beispiel. Der hat sich in Garmisch wieder gefunden und haut dann in Innsbruck wieder so einen Hund in seinen Sprung rein und vermasselt sich damit sein Ergebnis. Daran sehe ich, dass es nicht an Stefan Horngacher liegt. Ich möchte dennoch einen kleinen Denkanstoß geben, nach der Tournee andere Parameter für sich anzunehmen. Auch ehemalige Skispringer wie Jens Weißflog oder Helmut Recknagel sagen, dass man die Tournee so aufnehmen muss wie sie kommt. So hoffen wir Außenstehende, Denkanstöße in die interne Diskussion mitzugeben, damit wir am 6. Januar endlich mal wieder die deutsche Hymne hören.

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„Schwierigkeiten werden nicht kleiner“

SPORT1: Ende Februar beginnt die nordische Ski-WM. Was macht Ihnen Hoffnung darauf, dass das deutsche Team in Norwegen wieder um Siege mitspringt?

Hannawald: Dass das Team mehr Zeit hat, gewisse Dinge aufzunehmen, und es bis dahin vielleicht auch ein klareres Bild gibt, was der Grund für das so dominante Auftreten der Österreicher war. Da müssen natürlich alle anderen Nationen ihre Hausaufgaben machen, um den Österreichern schnellstmöglich hinterherzukommen. Es ist andererseits noch viel Zeit, im Training, in den Lehrgängen und auch in den Wettkämpfen dranzubleiben und bei der WM den Spieß umzudrehen.

SPORT1: Schauen wir zum Schluss noch etwas weiter in die Zukunft. Zuletzt schlug Sportdirektor Horst Hüttel Alarm im Hinblick auf den fehlenden Nachwuchs. Teilen Sie die Sorge, dass sich Deutschland mittelfristig von der internationalen Spitze verabschieden muss?

Hannawald: Die Schwierigkeiten werden nicht kleiner. Denn das Leben der Jugendlichen hat sich verändert. Es gibt viel mehr Möglichkeiten, wie sich Kinder oder Jugendliche weiter entwickeln können. Wenn wir früher nicht fernsehen durften und uns langweilig war, sind wir die Schanzen runtergesprungen (lacht). Heute haben sie durch Social Media vielmehr Möglichkeiten. Entsprechend bleiben viele Talente irgendwo liegen, die du so nicht mehr zum Skispringen bringst. Dazu kommt, dass es Deutschland schon aus geografischen Gründen schwerer hat als Österreich, das praktisch entlang der Alpen liegt. Dort liegt immer irgendwo Schnee, folglich werden mehr Talente angelockt als in Deutschland. Diese wenigen Talente sollte man in Zukunft noch effektiver fördern. Ansonsten wird die rot-weiß-rote Party weitergehen, die wir aus deutscher Sicht ja crashen wollen.